Neckar-Bergstraße. Die Idee kam ihnen in einem Urlaub in Schweden. Dort kann man nämlich einfach so sein Zelt für eine Nacht unter freiem Himmel aufschlagen. Dieses Jedermannrecht sollte es auch in Deutschland geben, fanden Ann-Sophie und Patrick aus der Lausitz. Doch weil man Gesetze nicht so einfach ändern kann, überlegten sie in einer gemütlichen Balkonrunde mit Freunden und bei einem Glas Wein, wie sich die Idee anders umsetzen ließe. Das war der Anfang der Plattform „1nitetent“, zur Vermittlung von Zeltplätzen für eine Nacht.
„Wir waren sicher, dass es auch anderswo Menschen gibt, die gastfreundlich sind“, erzählt Ann-Sophie. Denn schließlich gab es damals schon das Couchsurfen, also das Angebot, ein Bett für eine Nacht in den eigenen vier Wänden anzubieten. Doch wie sollte man so ein Projekt schultern, ganz ohne Geld? „Mit Fördermitteln kannten wir uns damals noch nicht aus“, gesteht die Mitgründerin. Also starteten sie und ihr Partner eine Crowdfunding-Initiative, um die nötigen Mittel einzusammeln. „Aber das Geld kam nicht zusammen“, berichtet Ann-Sophie und ergänzt: „Wir wollten uns trotzdem nicht davon abbringen lassen.“ Und so holten sie sich Unterstützung bei befreundeten Programmierern, die das nebenbei in ihrer Freizeit umsetzten.
Zelt für eine Nacht
1nitetent (one night tent) funktioniert wie Couchsurfen – nur draußen.
Anbieter tragen ihren Platz und Kontaktdaten auf einer Online-Karte ein.
Reisende und Wandernde können die Kontaktdaten abrufen und nach Absprache eine Nacht zelten.
Die Plätze sind für nur eine Übernachtung auf der Reise gedacht.
Der Service auf der Website und die Übernachtungen sind kostenlos.
Internet: www.1nitetent.de
Der Start war bescheiden. Im Juli 2018 ging es los, mit 35 Plätzen in zwölf Bundesländern und 692 Freunden, die das Angebot nutzten. Vor allem über soziale Medien und Netzwerke in der Lausitz wie „Raumpioniere“ und „Städter aufs Land“ warben sie für die Idee. „Es gab viele nette Menschen, die das unterstützten, und es war ziemlich schnell ein kleiner Selbstläufer“, freut sich die Mitgründerin.
Mehr als 1800 Plätze gibt es in ganz Deutschland
Heute gibt es bereits mehr als 1800 Plätze, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen. „Die beiden Bundesländer liefern sich immer ein Kopf-an-Kopf-Rennen“, scherzt Ann-Sophie. Wie oft gezeltet wird, darüber hat sie wenig Infos. Denn die Abwicklung erfolgt immer individuell zwischen Gastgeber und Nutzer.
Auf einer Onlinekarte sind die Plätze eingetragen. Wer Interesse an einer Übernachtung hat, klickt auf den Punkt und erhält die Kontaktdaten des Anbieters, eine Telefonnummer, eine E-Mail-Adresse oder beides. So lässt sich schnell klären, ob der Platz frei und der Gastgeber bereit ist. Denn alles ist freiwillig und für beide Seiten kostenlos.
Und wie trägt sich das Modell? „Wir machen nach wie vor alles ehrenamtlich und haben keine Einnahmequellen, außer Spenden“, erklärt die Mitgründerin. Mittelfristig soll es aber auch Einnahmen geben, um anstehende Investitionen zu finanzieren. „Wir arbeiten gerade an einer App“, verraten die Initiatoren von „1nitetentetent“.
In der Nähe größerer Städte gibt es Platzanbieter, die sich wieder abmelden. „Weil das Interesse zu groß ist“, erläutert Ann-Sophie. Aktuell bestehen in Baden-Württemberg 146 und in Hessen 106 Zeltplätze. Während der Corona-Krise boomte es, weil die Menschen verstärkt im Freien unterwegs waren. Während Mitbewerber versucht hätten, aus der Not Geld zu machen, seien sie ihrem Gratisprinzip treu geblieben. „Wir gehen einen Schritt nach dem andern“, sagen Patrick und Ann-Sophie und betonen: „Ideen haben wir noch viele.“ Neben der besagten App sei das auch die Ausweitung in andere Länder, etwa nach Australien oder in die USA. Allerdings: „Wenn die Seite wächst, sollte unser Team auch wachsen.“ Denn im Sommer, wenn viel los ist, dann sind sie ein bis drei Stunden an zwei Tagen in der Woche für das Portal tätig.
Zu jenen, die einen Zeltplatz für eine Nacht bieten, gehört Ute aus Wald-Michelbach. Eine Freundin hatte sie auf das Portal aufmerksam gemacht. „Wir haben einen sehr großen Garten und hatten schon öfter Zeltgäste aus dem Bekanntenkreis, unter anderem auch schon etliche Pfadfinderinnen und Pfadfinder“, berichtet sie. „Wir hatten schon einige sehr nette Gäste“, erzählt Ute. Besonders erinnere sie sich an eine Frau, die alleine von Freiburg nach Kiel gelaufen ist: „Nett ist es auch immer, wenn Kinder dabei sind.“
Denis aus Einhausen macht selbst Bikepacking-Touren per Rad und kennt deshalb das Problem mit dem illegalen Wildzelten. Bei der Internetrecherche stieß er auf die Plattform: „Ich fand das eine super Sache und habe uns da gleich angemeldet.“ Bislang hat er das Angebot zwar noch nicht selbst in Anspruch genommen, aber für nächstes Jahr plant er eine Route, auf der er es selbst zweimal nutzen kann. In den vergangenen beiden Jahren sei sein Platz im Sommer etwa alle 14 Tage einmal belegt worden, in diesem Jahr ein bisschen weniger. „Jede Begegnung ist etwas ganz besonderes“, schwärmt er. An eine Männergruppe aus Bayern mit Rädern auf dem Weg nach Bordeaux denkt er gerne: „Das war eine tolle Truppe.“
Begegnungen, die nachhaltigen Eindruck hinterlassen
Karin aus Lorsch, Mutter von drei Kindern, suchte für eine Fahrradreise auf dem Limes-Radweg erreichbare Campingplätze: „Und mit Kindern schafft man nicht so viele Kilometer pro Tag, so dass man Zwischenziele braucht.“ Weil sie auf einem ähnlichen Portal (warmshowers) nicht fündig wurden, stießen sie beim Googeln auf die Alternative „1nitetentetent“. Zwar fanden sie in diesem Fall auch dort nichts, entschieden sich aber zum Mitmachen und Anbieten. Das sorgt für Begegnungen, die nachhaltigen Eindruck hinterlassen. „Meine Kinder erinnern sich immer noch an die zwei radelnden Mädels aus Spanien, die als kleines Gastgeschenk eine Tüte Popcorn von der Kerb mitgebracht haben.“ Das sei mittlerweile fünf Jahre her.
Holländische Jugendliche und Fans der Kölner Haie
Die positiven Erfahrungen in Neuseeland und mangelnde Wildcamping-Möglichkeiten in Deutschland haben Sebastian aus Edingen dazu veranlasst, Zeltgästen Platz für eine Nacht zu geben. „Die ersten Gäste kamen zum Beispiel mit dem Rad aus dem Ahrtal, nachdem sie dort ein paar Wochen beim Aufräumen geholfen haben“, erinnert er sich. Zu Zeiten des Neun-Euro-Tickets hätten holländische Jugendliche die Stadt Heidelberg für sich entdeckt.
„Wir hatten unter anderem ein Dreier-Grüppchen für drei Nächte im Garten“, berichtet Sebastian: „Die haben Brettspiele gespielt, statt Alkohol zu trinken.“ Familien mit kleinen Kindern waren mehrfach auf Radreise hier. „Und ich hab’ Kölner Haie-Fans nicht direkt vertrieben nachdem sie sich geoutet haben“, berichtet er mit einem Augenzwinkern: „Die sind eigentlich auch ganz nett.“
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