Ernährung

Mikrolandwirtschaft aus Weinheim ernährt bis zu 300 Menschen

Die Solidarische Landwirtschaft Weinheim bewirtschaftet mehrere Flächen in Handarbeit und versorgt bis zu 300 Menschen mit saisonalem Gemüse.

Von 
Amelie Michel
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Solidarische Landwirtschaft (Solawi) in Weinheim. Vorstandmitglied Jörg Steinbrenner und Gärtner Jan Bordt. © Amelie Michel

Weinheim. Grüne Ranken hängen von der Decke, so weit das Auge reicht. Bis zu sieben Meter groß können die Tomatenpflanzen auf dem Gelände der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) Weinheim werden. Viele der Früchte sind noch nicht reif, doch hin und wieder lugen leuchtend rote Exemplare zwischen den dichten Blättern hervor. Im gesamten Gewächshaus herrscht eine drückende Hitze. „Die Temperaturen können hier auf bis zu 50 Grad steigen“, erklärt Gärtner Jan Bordt.

Bei der Solawi tragen mehrere private Haushalte gemeinsam die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug den Ernteertrag erhalten. Der 33-Jährige ist einer von drei fest angestellten Gärtnern des Vereins. Seine Leidenschaft für die Natur entdeckte er schon früh auf dem Bauernhof seiner Großmutter – doch beruflich gelangte der junge Mann erst viel später in die Landwirtschaft. „Ich habe jahrelang in der Industrie gearbeitet. Mit 27 wollte ich jedoch lieber etwas Sinnstiftendes tun und ließ mich zum Gärtner ausbilden“, erzählt er.

53 verschiedene Jungpflanzen aus eigener Kultur

Jetzt pflanzt, sät und pflügt Bordt täglich im Weinheimer Brunnweg. „Wir ziehen unsere 53 verschiedenen Jungpflanzenarten selbst auf – eine aufwendige, aber lohnende Arbeit“, betont der 33-Jährige: „Den Rest säen wir direkt in die Beete.“ So bleibe die Herkunft der Pflanzen transparent. „Dabei arbeiten wir komplett ohne Spritzmittel“, betont er – ganz im Gegensatz zu Monokulturen, die für den Supermarkt gezüchtet werden. Dort stehe vor allem die Lagerfähigkeit der Produkte im Vordergrund. „Zum Beispiel bei spanischen Tomaten: diese sind als Hybride mit dicker Haut gezüchtet, um den Transport zu überstehen“, erklärt Bordt.

Gärtner Jan Bordt und seine Kollegen von der Solawi in Weinheim arbeiten ausschließlich mit Handgeräten. © Amelie Michel

Eine alte Karottenart, die sonst kaum noch zu finden ist

Das gehe allerdings zu Lasten des Geschmacks und der Artenvielfalt. Bei der Solawi ist das anders. „Wir können Sorten anbauen, die man im Handel kaum noch findet – wie die alte Karottenart Oxhella“, freut sich Jan Bordt. Bei den Tomaten gewinnen sie sogar ihr Saatgut selbst. „Vom Samen bis zur Ernte begleiten wir den kompletten Prozess“, erklärt er. Seine derzeitige Lieblingskultur auf dem Gelände? „Dieses Jahr sind es Auberginen“, verrät Bordt.

Die Gärtner und freiwilligen Helfer greifen bei ihrer Arbeit nur zu Spaten, Hacke und Co. Denn: „Ein Traktor lohnt sich bei unserer Flächengröße nicht“, erklärt Jan Bordt. „Dabei versuchen wir, den Boden möglichst zu schonen.“ Denn zu häufiges Bearbeiten schädigt insbesondere die empfindlichen Mikroorganismen in den Äckern. Eine intakte Bodenstruktur ist entscheidend – nicht nur für die Pflanzen, sondern auch für das Klima: Wird das Bodenökosystem gestört, entweicht gespeicherter Kohlenstoff in die Atmosphäre und begünstigt den Ausstoß von Treibhausgasen. Ein Ansatz, der sich bei der Weinheimer Solawi bewährt hat, ist die sogenannte No-Till-Methode – eine Anbaumethode. Die Gärtner verzichten bewusst auf das Pflügen und Umgraben der Erde. Die Beetoberflächen werden einmal jährlich mit Kompost gemulcht, um das Erdreich zu schützen und mit Nährstoffen zu versorgen.

Im Sommer gibt es jede Woche frisches Obst und Gemüse

Seit sieben Jahren bewirtschaftet die Solidarische Landwirtschaft die Felder am Rand der Zweiburgenstadt. Zum Gelände gehört neben der Alten Stadtgärtnerei ein Bauerngarten am Münzäcker sowie ein Gemüseacker im Hammelsbrunnen. Ergänzt wird das Areal durch eine Streuobstwiese zwischen Sulzbach und der Westtangente mit über 40 Bäumen verschiedener Apfel-, Kirsch-, Zwetschgen-, Birnen- und Mirabellensorten. Mit 80 Ernteanteilen versorgt der landwirtschaftliche Betrieb aktuell rund 200 bis 300 Menschen in der Region.

Unter dem Obst und Gemüse von Solawi in Weinheim sind auch Sorten, die man im Supermarkt nicht findet. © Amelie Michel

Die Ausgabe von Obst und Gemüse erfolgt wöchentlich, im Winter alle 14 Tage. Welche Sorten in welcher Menge zur Verfügung stehen, ist auf einer großen Tafel im Gewächshauskeller notiert. „Was in den Kisten landet, variiert je nach Jahr und Witterung“, sagt Vorstandsmitglied Jörg Steinbrenner. Damit keine Lebensmittel verderben, sind alle Mitglieder verpflichtet, ihre Anteile regelmäßig abzuholen. „Wenn jemand in den Urlaub fährt, muss er sich selbst darum kümmern, dass sein Anteil anderweitig abgeholt wird“, erklärt Steinbrenner. „Aber es findet sich meist schnell ein Abnehmer – entweder unter den anderen Mitgliedern oder im Freundeskreis.“

Die Mitglieder finanzieren den Verein komplett

Der Verein finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. Bei der jährlichen Bieterrunde legen alle Solawis ihren Anteil am Gemeinschaftsetat fest, der unter anderem Ausgaben für Gehälter, Saatgut und Gerätschaften deckt. 2025 beträgt der Etat 108.610 Euro. Der Richtwert, den jeder bezahlen sollte, liegt bei 1.316 Euro pro Jahr beziehungsweise 110 Euro pro Monat. „Bisher haben zwei oder drei Runden gereicht, um sich auf einen Betrag zu einigen“, erzählt der 56-Jährige.

Für die Zukunft wünscht sich die Solawi mehr Platz zum Wachsen – doch geeignete Flächen zu finden, sei zunehmend schwierig. „Wenn immer mehr Böden versiegelt werden, bleibt weniger Acker für die Landwirtschaft“, erklärt Bordt. An Ideen mangelt es dem Verein nicht: „Wir würden gerne Kartoffeln anbauen“, überlegt Steinbrenner. Auch neue Blühwiesen stehen auf der Wunschliste – als Beitrag zur Förderung der Biodiversität und zur Gesunderhaltung des Bodens.

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