Jährliche Schlaganfallstatistik: 270.000 Betroffene in Deutschland
Jährlich erleiden in Deutschland rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Nach Herz- und Krebserkrankungen zählt er zu den häufigsten Todesursachen: Etwa 63.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Grundsätzlich lassen sich Schlaganfälle in zwei Haupttypen einteilen:
- Bei einem ischämischen Schlaganfall wird ein Gehirnareal durch ein Blutgerinnsel von der Versorgung abgeschnitten, wodurch die betroffenen Zellen absterben.
- Bei einem hämorrhagischen Schlaganfall platzt ein Blutgefäß, und Blut tritt ins umliegende Gewebe aus.
Präzise Zeitbestimmung als Schlüssel zur Behandlung
Für die Therapie ist es entscheidend, genau zu wissen, wann der Schlaganfall stattgefunden hat. Dies erlaubt es den behandelnden Ärzten, die wirksamsten Maßnahmen auszuwählen. Bisher wurde dafür hauptsächlich die „Netto-Wasseraufnahme-Methode“ (NWU) genutzt, bei der CT-Aufnahmen das Verhältnis zwischen geschädigtem und gesundem Gewebe messen.
Ein deutsch-britisches Forschungsteam hat nun eine KI entwickelt, die diesen Zeitpunkt doppelt so genau ermitteln kann wie bisherige Methoden. Die Software, bekannt als CNN-R, analysiert nicht nur die Gewebedichte, sondern auch komplexe Bildmuster wie Textur und Form, die für Menschen oft schwer zu erkennen sind. Getestet wurde das System an über 1.900 Patientendaten – das Ergebnis übertraf alle Erwartungen.
Therapieoptionen und Zeitfenster
Bei einem akuten Schlaganfall zählen Minuten. Die Behandlungsmöglichkeiten reichen von der systemischen Thrombolyse, bei der ein Gerinnsel medikamentös aufgelöst wird, bis zur mechanischen Thrombektomie, einem Katheterverfahren zur Entfernung des Blutgerinnsels. Für die medikamentöse Auflösung beträgt das optimale Zeitfenster bis zu viereinhalb Stunden nach Auftreten der Symptome, bei der Thrombektomie bis zu sechs Stunden. Je exakter der Schlaganfallzeitpunkt bestimmt werden kann, desto gezielter lässt sich die Therapie einsetzen und die Überlebenschancen steigern.
Symptome wie Sprachstörungen, Lähmungen oder Schwindel erfordern sofortiges Handeln: Notruf 112 wählen und keine Zeit verlieren.
KI als Assistenz für personalisierte Medizin
Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und des Universitätsklinikums Bonn entwickeln derzeit ein KI-gestütztes System, das Ärztinnen und Ärzte bei Entscheidungen während der Schlaganfallbehandlung unterstützt. Dabei werden Patientendaten aus dem „German Stroke Registry“ mit Bildmaterial aus MRT- und CT-Aufnahmen kombiniert. Ziel ist eine präzise Prognose des Krankheitsverlaufs, etwa nach einer Thrombektomie.
Ein besonders innovativer Ansatz ist das sogenannte „Schwarmlernen“. Dabei verbleiben sensible Patientendaten vor Ort in den Kliniken, während der Algorithmus zu den Daten „reist“ und lokal trainiert wird. So entsteht ein datensicheres, kollaboratives Netzwerk, in dem das gesammelte Wissen der KI allen beteiligten Kliniken zugutekommt, ohne dass personenbezogene Daten zentral gespeichert werden.
Zukunftsperspektiven
Derzeit befindet sich die KI noch in der Forschungsphase, erste Testläufe finden in ausgewählten Kliniken statt. Langfristig soll das System deutschlandweit und sogar international genutzt werden. Durch die Kombination von Bilddaten, Patientenakten und modernen Lernalgorithmen könnte die Schlaganfallbehandlung schneller, präziser und individueller werden – und so Leben retten.
Das Projekt wird von der Helmholtz-Gemeinschaft gefördert und zeigt bereits jetzt das Potenzial von KI, die Medizin in einem der kritischsten Bereiche grundlegend zu verändern.
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