Speyer. Weihnachtlich und abgefahren: Dass es in der ungeheizten Heiliggeistkirche bei winterlichen Temperaturen heiß hergehen kann, zeigte ein rasanter und schräger Ritt durch das heimische Weihnachtsliedgut, der dort einschließlich Krippenspiel am Dienstagabend zu hören und zu sehen war. Die „Moving Krippenspielers“ – eine kölnisch-österreichische Kultband – und die Lokalmatadoren von „Jimi Herings Weihnachts Experience“ haben diesen Abend mit einem Doppelkonzert zum Erlebnis gemacht.
Publikum und Akteure auf der Bühne waren zu furios präsentierter Weihnachtsmusik schnell auf Betriebstemperatur und erlebten eine ganz eigene musikalische Weihnachts-Comedy-Show, bei der kein Auge trocken blieb. Glühwein und Pfälzer Schorle trugen dazu bei, die Temperaturen in der ausverkauften Heiliggeistkirche zumindest zeitweise anzuheben. Per Ansage und um die angemessen andächtige Stimmung zu wahren, wurde für die Dauer des Krippenspiels der Alkoholverkauf eingestellt.
„Moving Krippenspielers“ in Speyer: Anarchische Fabulierlust
Los ging’s mit jenem szenischen Weihnachtsspiel, das von der Geburt Jesu zeugt. Allerdings brachten Matthias Schriefl und seine „Moving Krippenspielers“ die allseits bekannte Geschichte mit viel Schalk und anarchischer Fabulierlust in einer völlig neuen Variante auf die Bühne der Heiliggeistkirche. Personell ausgestattet mit einer auf Lebkuchen fixierten männlichen Jungfrau Maria aus Dänemark (Kalle Mathiesen), einem Jesus, der gerne Schokoweihnachtsmänner und Haribo-Fruchtgummis verschlang (Johannes Bär), einem Heiligen Geist am Klavier, der gespielt säuselnd der Schorle zugeneigt war (Simon Rummel), einem Pontius Pilatus als Fitnesstrainer (Philipp Zdebel), der Frau Hergott (Matthias Schriefl) und dem singenden und Geige spielenden Weihnachtsstern (Anna Tropper-Lener) nahm das kalauernde Spiel mit vielen lokalen Anspielungen seinen Lauf. Der Dom wurde zum „Fitnesscenter of Love and Shopping“ umgedeutet und seine Türme als Free Fall Towers angepriesen. Zum Weihnachtswunder wurde Jesus erklärt, der schwanger wurde und sich in der Heiliggeistkirche zu Speyer selbst neu geboren hat. Lustige Kostüme vom Elchgewand bis hin zu Pink Leggings mit Cowboy-Hut und dem glitzernden, alles überstrahlenden Weihnachtsstern entlarvten das Spiel schnell als Parodie.
Was die „Moving Krippenspielers“ in ihren ulkigen Kostümen dabei musikalisch auf die Bühne zauberten, war hinreißend: Alte Weisen wurden funky verbogen, ein bisschen Reggae und Rap, verjazzter Swing und Balkantakte dazu gemischt. Hier und da blitzten herausragende Bläser-Soli auf und natürlich durfte der Gesang nicht fehlen. Herzerwärmend wurde ein traditionelles Weihnachtslied aus dem Allgäu vom Publikum aufgenommen, das alle Akteure auf der Bühne gemeinsam intonierten.
Aus alten weihnachtlichen Weisen haben die „Moving Krippenspielers“ einen wilden musikalischen Cocktail gemischt. Schwer zu sagen, ob das Theater mit Musik oder Musik mit Theater war. Freude hatte das Publikum immer wieder an den Arrangements. Denn die Instrumentierung der Geschichte brachte den überbordenden Irrsinn dieser Krippenparodie auf der Bühne erst richtig zur Geltung.
Im zweiten Teil des Abends übernahmen die Lokalmatadoren rund um Stefan „Hering“ Cerins „Weihnachts Experience“ die Regie. Getreu ihrem Motto „Morgen Kinder wird’s was geben!“ wurde auch in diesem Set traditionelles weihnachtliches Liedgut zerlegt und musikalisch neu zusammengefügt. Zur Eröffnung gab’s die Klassiker „Lasst uns froh und munter sein“ und „Leise rieselt der Schnee“, wie gewohnt in sehr eigenwilligen, nicht ganz werkgetreuen Interpretationen. In einem heiter-besinnlichen, zuweilen furiosen Weihnachts-Mash-up gaben sich deutsche Weihnachtstradition, Rock, Blues, Soul, Jazz und Samba ein munteres Stelldichein. Quer durch alle Musikstile, immer nah am weihnachtlichen Liedgut, erfreuten „Hering“ Cerin (Schlagwerk), Rjiner aka The Electric Single Kid (Gesang und Rasseln), Dr. Michael Beutelspacher (Gitarre und Gesang) und TC Debus (Kontrabass und Gesang) ihre Zuhörer mit Klängen, die bekannt sind, aber immer neu und anders verarbeitet werden.
„Moving Krippenspielers“ in Speyer: Die Liebe in der Adventszeit
Verstärkt durch die exzellenten Musiker der „Moving Krippenspielers“ wurden später auch den Doors, Elvis, Harry Belafonte, Frank Zappa, Fleetwood Mac, Udo Lindenberg und anderen Größen der Popmusik musikalische Türchen geöffnet. Erstaunlich dabei ist, dass dieses seit 2007 bestehende Musikprojekt zur Adventszeit immer wieder neue kreative Wege findet, sich dem Thema Weihnachten zu nähern. Unterhaltsam und wie immer ohne Zeitlimit beim Plaudern führte „Hering“ Cerin durch das Konzert: Lieblingsthema war dieses Mal nicht die Sexualität, sondern „L’amour“, die Liebe zur Weihnachtszeit.
Ein geniales Finale fand der Abend in mehreren Zugaben aller Musiker, gezückten Handy-Taschenlampen, einem Blockflöten-Medley und einer a-capella-Version von „Stille Nacht, Heilige Nacht“, zu der Dr. Michael Beutelspacher mit verbundenen Augen den Nachklang an der „Stromgitarre“ lieferte. Spätestens an diesem Punkt war die Heiliggeistkirche mit tief empfundener Weihnachtsstimmung erfüllt.
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