Bistum

Speyers Bischof Wiesemann erinnert an Benachteiligte unserer Gesellschaft

Zum Jubiläum von Franz von Assisis Krippenspiel ruft die Weihnachtsbotschaft zur Solidarität auf. Heutige Parallelen zeigen, wie wichtig Liebe und Platz für alle Menschen sind – eine Einladung, aktiv für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einzutreten.

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Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann
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Der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann. © Bistum/Landry

Speyer. Vor genau 800 Jahren, am Weihnachtsfest 1223, stellte der Heilige Franz von Assisi in einer Grotte des abgelegenen Bergklosters Greccio erstmals das Geschehen der Heiligen Nacht mit echten Menschen und Tieren nach. Was ihn dazu bewogen hat, beschreibt sein Chronist Thomas von Celano so: Franziskus wollte „die Erinnerungen an das Kind wachrufen, das in Bethlehem geboren wurde, und so greifbar wie möglich mit eigenen Augen die schmerzlichen und ärmlichen Umstände sehen, worunter es zu leiden hatte“.

Die „schmerzlichen und ärmlichen Umstände“ der Geburt Jesu werden für mich im Weihnachtsevangelium am deutlichsten greifbar in dem Halbsatz: „ . . . weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lk 2,7). In einem abgelegenen Stall musste Maria ihren Sohn Jesus zur Welt bringen und ihn in eine Futterkrippe legen. Wie kalt und gefühllos muss eine Welt sein, in der nicht einmal Platz ist für eine gebärende Frau? Wie abgestumpft eine Menschheit, die sich nicht anrühren lässt von der radikalen Schutzbedürftigkeit eines Neugeborenen? Wie menschenverachtend eine Gesellschaft, die so etwas achselzuckend hinnimmt?

Wer so fragt, dessen Blick richtet sich unweigerlich über das Geschehen der Heiligen Nacht hinaus zu all jenen Menschen, für die hier und heute „kein Platz“ ist. Zu allen, die nicht dazugehören, die mit ihren Sorgen und Nöten alleine gelassen werden und deren Würde aufs sträflichste missachtet und verletzt wird.

Keinen Platz – im wörtlichen Sinn – haben all jene Menschen, die in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, als Wohnungslose kein Dach über dem Kopf haben. Über 260 000 Frauen, Männer und Kinder leben hierzulande entweder als Obdachlose auf der Straße oder sind in öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen oder bei Verwandten untergebracht. Keinen rechten Platz haben auch die über 20 Prozent aller hierzulande lebenden Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Vor allem Alleinstehende, Ältere und kinderreiche Familien können es sich nicht leisten, ihre Wohnungen angemessen zu heizen, sind auf Essensausgaben und Kleiderkammern angewiesen und können sich nur eingeschränkt oder gar nicht am gesellschaftlichen Leben beteiligen.

Ebenfalls keinen Platz haben viele der etwa zwei Millionen Geflüchteten in Deutschland, die teilweise seit Jahren unter unwürdigsten Bedingungen in Containern oder Massenunterkünften leben müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Geflüchteten, die an den Grenzen Europas in riesigen Lagern untergebracht sind, in denen zum Teil unzumutbare Lebensbedingungen herrschen und rechtsstaatliche Prinzipien unterwandert werden. Auf ihrem Rücken werden, geschürt von rechtsextremen Parolen, immer schärfere politische Debatten darüber geführt, wer zu unserem Land gehört und wie unser Asyl- und Ausländerrecht weiter verschärft werden soll.

Solidarität mit allen Menschen

Im Blick auf die Geburt Jesu Christi wird uns aber zugleich bewusst: Wie grenzenlos ist die Liebe Gottes zur ganzen Menschheit, der seinen Sohn unter solch „schmerzlichen und ärmlichen Umständen“ zur Welt kommen lässt. Wie tief seine Verbundenheit mit allen, die wie er keinen Ort haben, an dem sie sich sicher und geborgen wissen (vgl. Lk 9,58). Wie umfassend seine Solidarität mit allen Schwestern und Brüdern, die fremd und heimatlos sind (vgl. Mt 25,43). Ihnen allen strecken sich die weit geöffneten Arme des Kindes in der Krippe entgegen, die die ganze Welt umfassen und jeder und jedem einen Platz an der Seite Gottes zuweisen.

Allen Menschen gilt die Zusage Jesu an seine Jünger: „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten.“ (Joh 14,2) Einen Platz im Haus dessen, der will, dass wir unsere Welt als „gemeinsames Haus“ (Papst Franziskus) so gestalten, dass darin alle einen Platz haben und das Leben in seiner ganzen Fülle finden (vgl. Joh 10,10). Weihnachten wird so zu einer großen Einladung Gottes an uns, den vielen Menschen, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, einen Platz zu geben – in unserem Gebet, in unseren Herzen, aber auch ganz real: Segensorte zu schaffen, an denen Menschen Gottes Zuwendung ganz konkret erfahren können. So miteinander umzugehen, dass niemand ausgegrenzt und benachteiligt wird. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in unserem Land und weltweit so zu gestalten, dass ein gutes Leben für alle möglich ist.

So wie es die vielen tun, die sich bei den vielfältigen Hilfsangeboten der Caritas oder in anderen sozialen Einrichtungen für Obdachlose und Wohnsitzlose engagieren. Die Geflüchteten Wohnraum anbieten und sie bei der Integration unterstützen. Die Benachteiligungen nicht gleichgültig hinnehmen, sondern sich für eine gerechtere Sozial- und Wohnungspolitik und gegen jede weitere Aushöhlung des Menschenrechts auf Asyl einsetzen. Die jenen entschieden entgegentreten, die durch unsägliche Parolen, wonach in unserem Land kein Platz für Ausländer und Geflüchtete sei, das solidarische Miteinander vergiften und so unsere Gesellschaft spalten.

In all diesem Engagement gewinnt die Liebe unseres menschgewordenen Gottes mitten unter uns Raum und erfahren Menschen, dass sie in seinen Augen wertvoll und in der Welt willkommen sind.

Ihnen und Ihren Familien wünsche ich von Herzen ein friedliches, von Freude und Zuversicht erfülltes Weihnachtsfest und Gottes Segen für das neue Jahr 2024. is

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