Interview

Speyer verleiht Arno-Reinfrank-Literaturpreis an Anne Kampmann

Herausragende Lyrik oder Prosa im Sinne des Humanismus und der Aufklärung wird mit dem Arno-Reinfrank-Literaturpreis ausgezeichnet. Witwe und Stifterin Jeanette Koch erzählt von der Beziehung Reinfranks zu Speyer

Von 
Klaus Venus
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Ein Portrait von Jeanette Koch. © Klaus Venus

Speyer. Seit 2006 verleiht die Stadt im dreijährigen Rhythmus den Arno-Reinfrank-Literaturpreis. Mit dem Preis werden deutschsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller für herausragende literarische Leistungen in Lyrik oder Prosa ausgezeichnet, die im Sinne des Werkes von Arno Reinfrank den Idealen des Humanismus und der Aufklärung verpflichtet sind. Stifterin des Preises ist die in London lebende Witwe von Arno Reinfrank, Jeanette Koch. Matthias Nowack sprach mit ihr über ihr Arno Reinfrank, den Literaturpreis und den Brexit.

Literatin und Lyrikerin



Sie wird derzeit mit Literaturpreisen verwöhnt und ist frisch gekürte Trägerin des Arno-Reinfrank-Preises, der ihr am Mittwochabend im Historischen Rathaus verliehen wurde. Die Freude über diese mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung ist Anja Kampmann noch anzumerken bei ihrer Preisträgerinnen-Lesung im Rahmen der Reihe „Speyer.Lit“ am Donnerstag. Sie liest aus ihrem Debütroman und zwei bisher erschienen Lyrikbänden. Dabei wirkt sie ein wenig unsicher hinter dem großen Tisch im Historischen Ratssaal. Aber ihre Texte trägt sie sehr konzentriert und pointiert vor. Den ganzen Abend nur Lyrik vorzustellen, sei für das Publikum und auch für sie zu anstrengend, sagt sie zu Beginn – und startet mit Passagen aus ihrem Roman.

Nachdem sie mit ihrer Lyrik vornehmlich die Fachwelt beeindruckt hatte, hat Kampmann 2018 mit dem Roman-Erstling „Wie hoch die Wasser steigen“ ein breiteres Lesepublikum von sich überzeugt. Der Roman, eine Art Roadmovie eines wortkargen Arbeiters auf einer Ölbohrplattform, hat eine heimliche Heldin: Milena. Die Liebesgeschichte zwischen Arbeiter Wenzel Groszak und Milena liegt Anja Kampmann am Herzen. Der Ölbohrarbeiter auf einer Plattform mitten im Meer verliert in einer stürmischen Nacht seinen einzigen Freund.

Nach dessen Tod reist Wenzel nach Ungarn, bringt dessen Sachen zur Familie. Danach erzählt der Roman von einer langen Reise mit vielen Stationen, von der Rückkehr aus der Fremde, vom Versuch, aus dieser entrückten Arbeitswelt auf Ölplattformen zurückzufinden ins eigene Leben. Und je näher er seiner großen Liebe Milena kommt, desto offener scheint ihm, ob er noch zurückfinden kann.

Nach diesen ersten Passagen über Milena fordert Kampmann das Publikum zum Durchatmen auf und beginnt Gedichte aus ihren Lyrikbänden „Proben von Stein und Licht“ und „Der Hund ist immer hungrig“ vorzutragen. Es sind Gedichte über die Liebe und das Leben, „welche das große Ganze ebenso in den Blick nehmen wie das kleine Detail. Sie führen zu den Ursprüngen der Welt als Methapher unseres Daseins.“ So hat es Laudator Michael Au am Vorabend formuliert. Neben Kindheits- und Jugendszenen finden sich auch zahlreiche Themen, die ganz dezidiert auf unsere Gegenwart verweisen. Da geht es um geklonte Polo-Pferde und um Natur- und Umweltzerstörung. Es sind die Herausforderungen unserer Zeit, die vermeintlich am Rande verhandelt werden. Und natürlich die Liebe, der rote Faden des Abends.

Begegnung mit einem Schicksal

Am Nachmittag hat Anja Kampmann den Kaiserdom besucht und ist dort auf die Edith-Stein-Kapelle gestoßen. Deren Bemühen um intellektuelle Anerkennung an deutschen Universitäten hat sie sehr beeindruckt. Edith Stein promovierte ab 1916 beim Philosophen Edmund Husserl in Freiburg, sie wurde jedoch als Frau trotz mehrmaligem Versuchen nicht zur Habilitation zugelassen. Bereits im ersten Gedichtband hat sich Anja Kampmann mit Edith Stein beschäftigt, die schließlich wegen ihrer jüdischen Herkunft von den Nazis verfolgt und 1942 in Auschwitz ermordet wurde. In Speyer schließt sich dieser Kreis für Kampmann. Deshalb darf an diesem Abend das Gedicht „nowowiejska 38“ nicht fehlen. Der Titel bezieht sich auf die Adresse des Edith Stein-Hauses im früheren Breslau (Wroclaw).

Das Schlussgedicht des Abends trägt Anja Kampmann stehend vor und hat jetzt ihren Ton gefunden. Der Bahnstreik beschert ihr unverhofft einen zusätzlichen Tag in Speyer, den sie für die weitere Erkundung der weltbekannten Domstadt nutzen will.

Frau Koch, die siebte Verleihung des Arno-Reinfrank-Literaturpreises liegt hinter Ihnen. Was war Ihr Eindruck von der diesjährigen Feierstunde und der Preisträgerin?

Jeanette Koch: Ich war sehr glücklich mit dem Verlauf des Abends! Im Historischen Ratssaal war eine festliche und entspannte Atmosphäre mit stimmungsvoller Musik von Moritz Erbach am Klavier. Ulla Egeland vom Spei’rer Buchladen hat sich liebevoll um den Büchertisch gekümmert. Die Preisträgerin ist eine kluge, charmante und liebenswürdige Literatin. Michael Au hat eine hervorragende Laudatio gehalten, weil er die Schriftstellerin persönlich gut kennt. Anja Kampmann hat sich intensiv mit den Texten von Arno beschäftigt. Mich hat bei ihrer Dankesrede besonders berührt, wie viele Gemeinsamkeiten sie in Arnos Werk zu ihrem eigenen Schaffen gefunden hat.

Sie leben in London und waren bisher bei jeder Preisverleihung persönlich in Speyer anwesend. Kommen Sie gerne nach Speyer?

Koch: Ich liebe Speyer! Ich habe Arno oft auf seinen Lesereisen begleitet und wir haben in Speyer häufig Geburtstag gefeiert. Nach seinem Tod 2001 waren alle seine Freunde für mich da. Es verbinden mich viele Erinnerungen und Freunde mit der Stadt. Speyer hat ein reiches Kulturleben, interessante Ausstellungen, viele Konzerte, Purrmann- und Feuerbach-Haus, das Jüdische Museum mit Mikwe – und eine schöne Altstadt.

Welche Verbindungen hatte Arno Reinfrank nach Speyer?

Koch: Da ist in erster Linie eine enge Freundschaft mit dem Künstler Klaus Fresenius und mit Gabi Adam (heute Gabi Hienzsch) zu nennen, der Inhaberin des Marsiliusverlages, die viele seiner Bücher verlegt hat.

Welche Rolle spielt das Landesbibliothekszentrum in diesen Verbindungen nach Speyer?

Koch: Schon zu Arnos Lebzeiten hat er Kontakt zur Landesbibliothek aufgenommen, um in der Pfalz, der er sehr verbunden war, einen passenden Ort für seinen literarischen Nachlass zu finden. Bereits in seinen letzten Lebensjahren hatte er damit begonnen, regelmäßig Korrespondenzen und Manuskripte dorthin abzugeben. Nach seinem Tod habe ich den Nachlass gesichtet und ihn dann nach Speyer gegeben.

Wie ist die Idee zu diesem Literaturpreis entstanden?

Koch: Ich habe zunächst überlegt, Arnos Haus in London als inspirierenden Arbeitsort jungen Schriftstellern zur Verfügung zu stellen. Das war dann zu kompliziert. Deshalb habe ich entschieden, das Haus zu vermieten und aus den Einkünften einen Literaturpreis zu stiften. Diesen Vorschlag habe ich den Städten Ludwigshafen und Speyer unterbreitet. Speyer hat sofort großes Interesse gezeigt. Und jetzt arbeiten wir schon seit 2006 eng zusammen. Es ist eine bereichernde Erfahrung.

Wie sehen Sie als Stifterin die Zukunft dieses Literaturpreises? Wird er auch künftig alle drei Jahre vergeben werden können?

Koch: Glücklicherweise ist die Zukunft gesichert. Mit der Stadt Speyer wurde vereinbart, dass der Preis alle drei Jahre vergeben wird. Das Preisgeld ist, solange ich lebe, durch die Vermietung von Arnos Haus gesichert. Nach meinem Tod wird das Haus verkauft und der Erlös geht an die Arno-Reinfrank-Stiftung unter dem Schirm der Kulturstiftung Speyer.

Arno Reinfrank war ein wortgewaltiger Lyriker. Sind gute Gedichte die Voraussetzung für die Nominierung zum Arno-Reinfrank-Literaturpreis?

Koch: In der Satzung ist bestimmt: „Mit dem Preis soll eine Autorin oder ein Autor für herausragende literarische Leistungen in Lyrik oder Prosa ausgezeichnet werden, die im Sinne des Werkes von Arno Reinfrank den Idealen des Humanismus und der Aufklärung verpflichtet sind, beziehungsweise sich literarisch mit den Prozessen und Phänomenen von Wissenschaft und Technik auseinandersetzen.” Ich könnte es nicht besser formulieren! Es geht um gute Literatur und die Nähe zu Arnos Blick auf die Welt. Wir haben bisher drei Lyriker und drei Erzähler ausgezeichnet. In diesem Jahr wurde Anja Kampmann für ihre Lyrik ausgezeichnet. Ihr erzählerisches Talent ist aber ebenso bemerkenswert.

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Zum Schluss noch eine andere Frage: Was denkt eine in London lebende Engländerin über den Brexit?

Koch: Der Brexit hatte verheerende Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft meines Landes. Es ist eine der schlimmsten Selbstverstümmelungen in der Geschichte Englands! Eine Zeit, in welcher Anstand seinen Rückhalt in der Öffentlichkeit verloren hat. Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, und das ist nicht nur in England so. Der Klimawandel, die Corona-Krise, Russlands Krieg gegen die Ukraine, jetzt die furchtbare Tragödie im Mittleren Osten – all das führt dazu, dass unsere Gesellschaft immer instabiler wird, dass es zu einer Polarisierung kommt, die manche für ihre üblen Zwecke ausnutzen.

Klaus Venus ist seit 1996 als professioneller Fotograf mit den Schwerpunkten Veranstaltungen, Reportage, Kultur; Landschaft und Sport in der Metropolregion Rhein-Neckar tätig und verfügt über ein beeindruckendes Archiv an Aufnahmen aus der Pfalz und Kurpfalz.

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