Speyer. Allen singbegeisterten Menschen die Gelegenheit bieten, ein größeres kirchenmusikalisches Werk einzustudieren und aufzuführen: Dies ist das Anliegen des 1990 gegründeten Evangelischen Oratorienchors der Pfalz. Mehr als 100 Menschen gehören dem Chor derzeit an, der seit 2008 von Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald geleitet wird. Der Zulauf zu den Proben ist nach wie vor hoch, wie der 56-Jährige im Gespräch berichtet. Sorgen bereiten ihm im Gespräch mit unserer Zeitung allenfalls die Sparzwänge des Trägers, der pfälzischen Landeskirche.
Herr Steuerwald, der Evangelische Oratorienchor versammelt Menschen aus allen Teilen der Pfalz, aber auch aus dem Badischen und aus dem Elsass. Welche Idee stand hinter der Chorgründung?
Jochen Steuerwald: Anlass war ein Projekt: Es wurde „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn einstudiert und aufgeführt. Nachdem das allen Beteiligten viel Freude gemacht hat, sollte die Chorarbeit fortgesetzt werden.
Der Chor ist offen für jeden, der mitsingen möchte – ein Art Fischer-Chor der Kirche?
Steuerwald: Tatsächlich gibt es keine Aufnahmevoraussetzungen. Allerdings dauern die monatlichen Proben mehr als vier Stunden – und es wird stramm gearbeitet. Daraus ergibt sich, dass unser Angebot eher für Menschen passt, die schon eine gewisse Kenntnis mitbringen, um sich nicht überfordert zu fühlen. Allerdings wollen wir – und da ist die Parallele zu den Fischer-Chören – ein großer Chor sein, ideal für das Oratorienrepertoire. Schon zu Händels Zeiten war es übrigens keine Seltenheit, dass die Chöre groß besetzt waren, manchmal bis zu 400 Personen. Bei der Aufführung des Requiems von Giuseppe Verdi Anfang November zählte der Chor immerhin 120 Sängerinnen und Sänger.
Welche Menschen singen im Chor mit?
Steuerwald: Wir haben ein breites Spektrum: Es reicht von Menschen, die im Beruf Karriere machen bis zu Bürgergeld-Empfängern. Es sind auch alle Altersstrukturen vertreten, wobei die älteren Sängerinnen und Sänger in der Überzahl sind. Dennoch sind wir kein Seniorenchor.
Was motiviert Menschen, in den Chor zu gehen?
Steuerwald: Es ist in erster Linie das Erlebnis, großartige Musik auf hohem Niveau zu gestalten und zu erleben und die Gemeinschaft.
Macht Singen glücklich?
Steuerwald: Ich erlebe es immer wieder, dass Menschen nicht in der besten Stimmung in die Proben kommen, aber anschließend beglückt nach Hause gehen. Das lässt sich sogar medizinisch nachweisen: Das Singen setzt Glückshormone frei, das Atmen wird freier und tut dem Körper gut.
Bekommt der Chor nach wie vor Zulauf?
Steuerwald: Erfreulicherweise ist der Chor in den vergangenen 15 Jahren etwa um ein Fünftel gewachsen. Ich hoffe nur, dass wir in Zukunft auch finanziell über die Runden kommen werden. Schon recht lange gibt es einen Förderkreis, der die Chorarbeit jährlich mit einem erklecklichen Beitrag unterstützt. Aber ohne die finanzielle Grundausstattung durch die pfälzische Landeskirche könnte der Chor nicht existieren. Proben, aber auch Orchester und Gesangssolisten sind ohne den Einsatz hinreichender finanzieller Mittel nicht zu stemmen.
Welchen Stellenwert hat die Kirchenmusik in der Landeskirche überhaupt noch?
Steuerwald: Einen hohen. Für die Kirchenmusik sprechen schon allein die Zahlen. Die aktuelle Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zeigt die herausgehobene Stellung der Kirchenmusik deutlich. Sie mobilisiert viele Menschen. Die Zahl der Veranstaltungen ist nach wie vor sehr hoch. Auch die Zahlen der Besucherinnen und Besucher von Konzerten liegen im oberen Bereich. Insofern hat die Kirchenmusik einen guten Stand. Aber die Kirche muss massive Einnahmerückgänge verarbeiten. Davon wird die Kirchenmusik auf Dauer sicher nicht vollständig verschont bleiben können.
Das Repertoire des Oratorienchores ist auf das klassisch-romantische Fach beschränkt. Werke des Barock – etwa Kantaten oder Passionen von Bach – findet man nicht auf der Liste. Womit hängt das zusammen?
Steuerwald: Dieser Chor ist zu groß, um Werke des deutschen Barock aufzuführen. Man müsste Bach gewissermaßen durch die romantische Brille interpretieren. Es passt nicht zusammen: ein großer Chor und die feinen Strukturen der Bachschen Musik.
Welchen Stellenwert hatte die Aufführung des Verdi-Requiems für die Entwicklung des Chores?
Steuerwald: Es ist etwas Besonders um dieses Stück. Schon als ich es als Student zum ersten Mal musizieren durfte, hat es mich tief geprägt. Woran das liegt, kann ich gar nicht so genau sagen. Die Sängerinnen und Sänger waren jedenfalls sofort hingerissen, als ich bekannt gegeben hatte, dass wir das Werk einstudieren würden. Das Gefühl, dass wir es beim Verdi-Requiem mit einer ganz besonderen und außergewöhnlichen Musik zu tun haben, hat uns bis zum Schluss nicht verlassen und auch durch die Aufführung getragen.
Wie sehr hat sich Corona auf die Chorarbeit ausgewirkt?
Steuerwald: Wir sind recht gut über die Pandemie gekommen. Wir haben in dieser Zeit aber keine Online-Proben gemacht, sondern den Kontakt gehalten und uns erst wieder getroffen, sobald es möglich war. Es ist auch niemand weggeblieben. Zwei Chormitglieder haben allerdings bedauerlicherweise noch mit den Langzeitfolgen einer Covid-Infektion zu tun. Corona ist auch noch nicht aus der Welt; ich kenne einen Chor, bei dem sich 20 von 60 Sängerinnen und Sänger bei einem Chorwochenende mit Covid infiziert haben. Das kann ein Konzert schon grundsätzlich infrage stellen. Diesbezüglich haben wir bisher wirklich großes Glück gehabt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-speyer-singen-macht-gluecklich-_arid,2152907.html