Speyer. Schwarze Plakate und ein Sarg. Etwa 200 Menschen ziehen still durch die Maximilianstraße in Speyer. Was zwischen Altpörtel und Dom aussieht wie ein Trauerzug, ist eine Demonstration. Es ist ein Protest gegen das Baustellen-Chaos in der Region – vor allem gegen die geplante Verlängerung der Bauzeit der Salierbrücke, die mit der B 39 bei Speyer die Pfalz mit Baden-Württemberg verbindet. Der Protestzug ist erst der Anfang. Eine Sammelklage gegen die Baustellenbetreiber und das Regierungspräsidium in Karlsruhe soll am Montag eingereicht werden.
„Wir reden hier nicht von einer Straßensperrung, sondern einer Brückensperrung. Die Salierbrücke ist die Lebensader von Speyer und der Region“, verkündet Initiator Mattias Schalk. Der Inhaber des Piaggio-Point in Speyer ist mit seiner Geduld am Ende: „Im August ist uns vom Regierungspräsidium noch versprochen worden, wir müssten uns keine Sorgen machen. Nur drei Monate später erfahren wir, dass die Bauarbeiten ein Jahr länger dauern. Wer weiß, ob dieser Termin dann stimmt.“ Das Unverständnis für die Verzögerung ist groß. „Jetzt wurde Asbest gefunden. Wer hat geglaubt, dass beim Bau 1956 nur biologisch einwandfreie Stoffe verwendet wurden?“, sagt Schalk und schüttelt den Kopf. Weder der Termin werde eingehalten, noch der versprochene Zwei-Schichten-Betrieb gefahren. Die erste Maßnahme sei ein Abfräsen gewesen, die Baustelle einteilen und dann erstmal sechs Wochen Sommerpause. „Uns reicht’s“, betont er und bittet die Teilnehmer um Unterstützung seiner Aktion im Internet unter www.salierbruecke.de.
Sechs Wochen Sommerpause?
Gemeinsam mit ihm reichen am Montag sechs Geschäftsleute die Sammelklage ein. „Wir fühlen uns von Verwaltung und Politik betrogen“, sagt Peter Boedecker, Inhaber des gleichnamigen Schuhgeschäfts. Umsatzausfälle seien groß, Arbeitsplätze bedroht, das ganze Umland betroffen. Der Schaden liege sicher in einem zweistelligen Millionenbereich, schätzt der Geschäftsmann. Auf mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr beziffert ihn Schalk.
Etwa ein Drittel der Kunden käme aus dem rechtsrheinischen Umland wie Hockenheim, Reilingen oder Schwetzingen nach Speyer. „Sie kaufen vielleicht hier noch ein Auto, aber zur Inspektion kommen sie schon nicht mehr“, erklärt Schalk. Er begreife nicht, wieso Privatunternehmen so etwas Komplexes wie die SAP Arena in nur 30 Monaten bauen können, die Türkei einen Flughafen in vier Jahren, die Italiener die eingestürzte Brücke in Genua inzwischen fast fertiggestellt haben und hier alles Jahre dauere, die Hochstraße in Ludwigshafen sogar vielleicht 25 Jahre. „Das ist nicht mehr normal.“
Nicht nur Geschäftsleute haben sich in den Demonstrationszug eingereiht, auch Bürger aus Speyer. „Ich arbeite in Wiesloch und habe früher eine knappe halbe Stunde Fahrtzeit mit dem Auto gehabt. Über die Autobahn 61 sind es nun manchmal sogar zwei Stunden“, sagt Alice Gottschalk. Hinzu komme, dass die Fahrerei auch gefährlicher geworden sei, die Pendler verlören die Geduld, die Gefahr von Unfällen steige genau wie die Zahl der Lastwagen.
„Meine Tochter muss von Mutterstadt nach Heidelberg fahren“, ruft ein Speyerer dazwischen, „das ist mittlerweile eine Weltreise“, sagt er. Ihre Freundin habe ihren Job bereits gekündigt und sei auf die andere Rheinseite gezogen. Die Auswirkung der Sperrung der Salierbrücke ziehe weite Kreise, meint er. Ein anderer Mann ergänzt, er vermute vorsichtig geschätzt, dass der Schaden für die gesamte Region locker 50 Millionen Euro betrage.
Matthias Schalk ist mit der Zahl der Teilnehmer und der Diskussion zufrieden. „Natürlich könnte es mehr sein, aber wir stehen ja erst am Anfang.“ Für März 2020 plant er schon die nächste Aktion. Bis dahin wolle er abwarten, wie sich die Situation entwickelt und weiter um Unterstützung werben. Am Naturfreundehaus löst der Mannheimer den Protestzug auf und erfährt viel Lob und Dank für seine Aktion. „Und was machen wir jetzt?“, sagt eine Frau zu ihrem Mann. „Jetzt geh mer frihstügge“, antwortet er und nimmt sie an der Hand.
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