Speyer. Als Kirchenmusiker, Organist und Komponist ist Johannes Michel weit über die Region hinaus bekannt. Sein Auftritt in der Gedächtniskirche verstand sich für den stellvertretenden badischen Landeskirchenmusikdirektor deshalb in gewisser Weise von selbst. Der Speyerer Kirchenmusikdirektor Robert Sattelberger begrüßte seinen ehemaligen Kommilitonen zum Konzert am Sonntagabend mit freundschaftlichen Worten, in die er auch ehrliche Anerkennung mischte.
Die war angebracht, hatte Michel doch unter anderem ein Opus magnum der Orgelmusik, Julius Reubkes c-Moll-Sonate „Der 94. Psalm“, aufs Programm gesetzt. Ein Werk, das an Interpreten höchste Ansprüche stellt und in seiner symphonisch-orchestralen Dichte auch nach einem angemessenen klanglichen Ausdruck verlangt. Johannes Michel begann mit einem ebenso bedeutendem Werk in gleicher Tonart: Johann Sebastian Bachs Passacaglia.
Überraschenderweise nahm der Kantor der Mannheimer Christuskirche hierzu nicht an der großen Kleuker-Orgel Platz, sondern an der kleineren Klais-Chororgel. Und tatsächlich hatte sein Spiel, was die Passacaglia betrifft, lange Zeit eine fast kammermusikalische Anmutung – nicht die majestätische Gravität und schicksalhafte Bedeutung, die Organisten diesem Stück gemeinhin verleihen. Erst in der Mitte der Passacaglia entschied sich der Interpret zum Manual- und Registerwechsel und sorgte hierdurch für mehr Klangfülle. Das wirkte teilweise etwas routiniert durchgespielt; dafür verlieh Michel der Fuge durch zusätzliche Zungenstimmen ein stärkeres Gewicht, die ihr als die der Passacaglia seiner Ansicht nach zeitlich vorgeordnete Komposition zusteht.
Mit schwebenden Klängen
Sigfrid Karg-Elerts Abendstimmung aus den Impressionen op. 72 bot hierzu einen willkommenen Kontrast, den Johannes Michel nunmehr an der Kleuker-Orgel mit impressionistisch schwebenden Klängen betonte. Der Farbenreichtum des Instruments leuchtete im Spiel des ehemaligen Vorsitzenden der Karg-Elert-Gesellschaft in schimmernden Valeurs auf und ließ sich als Ausdruck eines tiefen Abendfriedens wahrnehmen, den das in unwirkliche Sphären strebende Stück ausstrahlt.
Umso eigenwilliger wirkten Johannes Michels Psalmmeditationen für Solopedal, die von Psalmversen inspiriert sind, in denen sich der Beter, unsicheren Schritts, der göttlichen Begleitung versichert. Diese Pedalexerzitien ließen sich durchaus als Demonstrationen des virtuosen Fußeinsatzes erleben; neben rasanten Läufen und Skalen sowie halsbrecherischen Intervallsprüngen beanspruchten die unabhängig voneinander verlaufenden Stimmen die maximale Beherrschung des Pedalspiels.
Dank zahlreicher Koppelungen ans Manual vermittelte der Organist zusätzlich den Höreindruck, nicht nur per Fuß zu spielen. Lediglich im vierten Stück fügte er Akkorde auf dem Schwellwerk hinzu. Die Psalmverse erfuhren auf diese Weise eine atmosphärische, die Dunkel- und Hellstimmungen der Hauptorgel weit auslotende Deutung durch den Interpreten. Eine Etüdenhaftigkeit dieser Meditationen wurde durch die sinnfällige Verzahnung mit den zugrundeliegenden Psalmversen vermieden.
Mehrere Dutzend Registerwechsel hatte Johannes Michel zuvor einprogrammiert, die er nun für Julius Reubkes Sonate abrief. An der Setzeranlage assistierte hierzu Organistenkollege Sattelberger. Durch die Gedächtniskirche wallten raumfüllende Klänge, mit denen der Interpret dieses einzigartige Werk in Szene setzte. In seinem Spiel skizzierte er weite Spannungsbögen, brachte die Dramaturgie dieser Musik mit leidenschaftlichem Ausdruck zum Vorschein und bewegte sich in dieser komplexen Architektur zugleich mit Ruhe und Übersicht.
Souverän in der technischen Bewältigung wie in der differenzierten klanglichen Darstellung ließ sich Michels Spiel als rundum überzeugende Begründung für jene Faszination begreifen, die dieses Werk ausstrahlt. Als Zugabe vernahm das Publikum in der Gedächtniskirche die Choralbearbeitung „Nun freut euch, lieben Christen gmein“ für Manualstimmen von Johann Sebastian Bach (BWV 734), die dank raffinierter Vier-Fuß-Mischungen einen aparten, zimbelartigen Klang hatten.
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