Alter Stadtsaal

Gemeinsam nach dem Guten suchen

Spannende Podiumsdiskussion über die Zukunft der Kirchen

Von 
Matthias Nowack
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Auf dem Podium sitzen (v. l.) der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein, die Präsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz Dorothee Wüst, Moderator und Vorsitzender der Kulturstiftung Professor Peter Eichhorn, Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann und die Professorin für Dogmatik und Ökumenische Theologie Dorothea Sattler. © venus

Speyer. Die großen christlichen Kirchen verlieren Mitglieder und damit auch an gesellschaftlicher Bedeutung. Über diese spannende Frage diskutierten im Alten Stadtsaal der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein, Dorothea Sattler, Professorin für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Münster, der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann und die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Dorothee Wüst.

Eingeladen zu dieser hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion hatte die Stiftung „Kulturforum“. Der Initiator und Moderator des Abends, Peter Eichhorn, leite ein, er wolle über den Aspekt diskutieren, der mit dem Rückzug der christlichen Kirchen aus der Gesellschaft verbunden sei. Schließlich haben beide große Konfessionen mit drastisch sinkenden Mitgliederzahlen, Missbrauchsskandalen und dem Verlust an gesellschaftlicher Bedeutung zu kämpfen. Beide Kirchen sind in eine Krise des Glaubens geraten, die in ihrer Geschichte beispiellos sei. Auch deshalb stellte Eichhorn die Frage der Anpassungsfähigkeit der christlichen Kirchen an moderne Lebensverhältnisse an den Beginn der Diskussionsrunde.

Aktuelle Lebenswirklichkeit

Die Anpassung an aktuelle Realitäten sei für die katholische Kirche in zwei Jahrtausenden ihrer Existenz immer ein Muss gewesen, sagt Bischof Wiesemann. Sie habe sich in ihrer Geschichte kontinuierlich gewandelt. Er begreife es deshalb als große Herausforderung, der ursprünglichen christlichen Botschaft treu zu bleiben, sich gleichzeitig aber für aktuelle Lebenswirklichkeiten zu öffnen und beweglich zu bleiben. Er plädiert dafür, diese Botschaft neu zu entdecken und von innen heraus neu zu gestalten. Man könne und wolle mit einem positiven Menschen- und Weltverständnis auch auf die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse einwirken.

Richtige Kommunikation

Für Kirchenpräsidentin Wüst ist die richtige Kommunikation der Kirchen ein zentraler Ansatzpunkt, der verbessert werden müsse. Es gehe ihr nicht um Anpassung oder gar „Anbiederung“ an aktuelle Themen und Probleme. Für sie sei wichtig, „ein Auge für die Welt zu haben“, die aktuelle Bedarfslage der Menschen richtig einzuschätzen und die Frage zu klären, was den Einzelnen bewegt. Man müsse weg vom ständig sich wiederholenden, oft auch hausgemachten Krisengerede über die Kirchen und den Mut zu neuen Bewertungen und Aktivitäten zeigen.

Die Münsteraner Theologin Sattler erlebe in ihrem Umfeld viele junge Menschen, die sich engagieren und über ihre eigene Lebenswelt hinauswachsen. Für sie müsse gelebtes Christentum nicht unbedingt mit der Mitgliedschaft in einer Kirche verbunden sein. In der Kommunikation mit den Menschen sei für sie auch das Thema „Widerstand“ von Bedeutung. Mit Blick auf aktuelle Probleme und Krisen – als Stichworte dienen ihr die Flüchtlingskrise auf Lampedusa und der Ukraine-Krieg – müsse man auch den Mut beweisen, das Unbequeme anzusprechen. „Gemeinsam nach dem Guten suchen“ ist eine ihrer Losungen, mit der sie um Zuversicht wirbt.

Darüber hinaus fordert Sattler auch eine bessere Wahrnehmung von Frauen im kirchlichen Raum und eine noch intensivere Nutzung der Ökumene.

Günther Beckstein, der bisher einzige protestantische Ministerpräsident Bayerns und auch der einzige Nichttheologe auf dem Podium, beschreibt mit dem ihm eigenen bayerischen Charme seine Religionserfahrung in einer kontinuierlich bröckelnden Volkskirche – auch im überwiegend katholischen Bayern. In der Kirchengemeinde habe er nicht nur seine Frau schätzen und lieben gelernt, die Ethik der zehn Gebote habe sein gesamtes Leben und auch seine politische Tätigkeit geprägt.

Die nachlassende Akzeptanz für die finanzielle Förderung der Kirchen durch den Staat bringe ihn zu der Überzeugung, dass kirchliche Personalkosten künftig nicht mehr vom Staat getragen werden sollten. Die Kirchen sollten ihr eigenes Personal finanzieren, dafür aber kirchliche Baulasten auf den Staat übertragen. Schließlich sind Kirchenbauwerke wie der Speyerer Dom Teil der kulturellen Identität. Beckstein räumt aber auch ein, dass er mit diesem Vorstoß bisher in Bayern gescheitert sei.

Neue Wege finden

Den von Moderator Peter Eichhorn zitierten Pessimismus des Jesuiten Karl Rahner, der mit einer immer kleiner werdenden Christenschar rechnete, wollen die Diskutanten im Alten Stadtsaal nicht mit ihm teilen. Ein positives Menschenbild, das Grundvertrauen in Gott und der innovative Geist, die christliche Botschaft neu zu entdecken solle helfen, neue Wege zu finden. Für den rasanten Wertewandel und das Werte-Vakuum, das durch die gegenwärtige Krise der beiden großen Kirchen entsteht, wäre das in der Tat ein konstruktiver Weg, den zu beschreiten sich lohnen würde.

Schade nur, dass bei dieser Gelegenheit nicht über die Zukunft der entweihten Kirchen im Zentrum der Domstadt diskutiert wurde, denn das ist eine Frage, die viele engagierte Speyerer bewege, hieß es abschließend.

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