Speyer. Der Speyerer Dom war gut besetzt, als die diesjährigen Reihe der Fastenpredigten von Ex-Bundespräsident Dr. Horst Köhler beschlossen wurde. Wie zuvor Ex-Ministerpräsident Peter Müller und ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten war er der Einladung des Domkapitels gefolgt, in der Fastenzeit einen „aktivierenden und aufrüttelnden Akzent in der österlichen Bußzeit“ zu setzen. Bereits bei der Begrüßung durch Domdekan Dr. Kohl wurde Horst Köhler mit Applaus empfangen. Kohl erinnerte an die Worte über dem Hauptportal des Doms „Ut unum sint“ („Dass sie eins seien“) und verwies auf den Dom als ein Zeichen der Einheit unter den Christen und Nationen.
Horst Köhler begann seine Ansprache mit der Feststellung, dass es durchaus von Vorteil sein könne, wenn einem nicht immer alle Türen offen stünden. Dann nämlich ließen sich vor dem Betreten des Doms alle Relieftafeln des Bronzeportals bestaunen, darunter eine Szene, welche den spiralförmig gebauten Turm zu Babel zeige. Diese bekannte alttestamentliche Szene war bereits in der biblischen Lesung, die der Predigt vorausging, Thema. Dort wird geschildert, wie das Vorhaben der Menschen, einen Turm bis in den Himmel zu bauen, scheitert. Gott bremst es, indem er die Menschen auf ein Mal unterschiedliche Sprachen sprechen lässt. Dies gelte als biblischer Erklärungsversuch, warum die Menschen durch Sprachen getrennt uneins auf der Erde leben.
Der Speyerer Dom hat schon einige Konflikte und Kriege miterlebt
Angesichts der Vielzahl der heute in der Welt tobenden Konflikte sei diese biblische Diagnose eine Betrachtung wert, sagte Köhler. Von „Hass und Gewalt zwischen den europäischen Völkern“ könne auch der Dom erzählen, so Köhler, und nannte den 30-jährigen Krieg und den pfälzischen Erbfolgekrieg als Beispiele.
In der Erzählung vom Turmbau erscheine die Zerstreuung zunächst als Fluch. Doch Gott habe auf das Bestreben der Menschen, sich groß zu machen, nicht mit Trotz und Eifersucht reagiert. Vielmehr habe er begriffen, welches Potenzial Menschen entfalten können, wo sie gemeinsam ein Ziel zu erreichen suchen. „Wir wissen aber auch, wie gefährlich es sein kann, wenn plötzlich alle eins sind und als große Masse in Erscheinung treten“, mahnte Köhler. Nicht selten zeige der Mensch dann seine hässlichste Seite und werde „zu Unvorstellbarem fähig“. Er lese diese Geschichte daher als Warnung, „wo alle eins sind, wo Uniformität regiert, womöglich alle die gleichen Lieder singen und im Gleichschritt marschieren, da gilt es wachsam zu sein, genau hinzuschauen und zu prüfen, wessen Geistes Kind sie sind.“
Machtmenschen, die sich einen Namen machen möchten, finde man auch in der Gegenwart. Personen wie die Turmbauer von damals bezeichneten wir heute als Autokraten, die mit ihren Erzählungen von Wohlstand und Sicherheit ganze Völker hinter sich scharrten. „Hier wünschen wir uns den Widerspruch Gottes gegen jene, die sich auf dem Rücken von anderen den Weg nach oben bahnten. Sollte unter den Trümmern des antiken Babel etwa die Hoffnung auf eine geeinte Menschheit begraben liegen?“, fragte Köhler. Die Idee einer Menschheit, die eins ist und gemeinsam Großes leiste, habe für ihn nichts von ihrer Faszination verloren. Individuelle Prägungen und Unterschiede dürften nicht nivelliert werden, wenn so aufgegeben werden müsse, was jeden einzigartig mache. „Uniformität geht schief, Vielfalt hat Zukunft“: Das ist für ihn die zentrale Botschaft der Turmbau-Erzählung. Vielfalt müsse als Segen begriffen werden, „denn nicht zuletzt in der Vielgestaltigkeit liegt der Reichtum menschlichen Lebens“, sagte Köhler in seiner Predigt.
Der ehemalige Bundespräsident Köhler hat eine Botschaft an die Länder Europas
Noch einmal kehrte er in seiner Ansprache an die Schwelle des Doms zurück. Der Schriftzug „Ut unum sint – dass sie eins seien“ gelte als Mahnung an alle Besucher. Diese Botschaft habe auch Ex-Kanzler Helmut Kohl seinen ausländischen Staatsgästen immer mit auf den Weg gegeben. Diese Aufforderung erging an die Deutschen in Ost und West und die Völker Europas. An diesem Punkt stellte der ehemalige Bundepräsident die Frage, ob Einheit in Widerspruch zur Vielfalt stehe. „Dass die europäische Einheit nur eine Einheit in Vielfalt sein kann“, habe Helmut Kohl begriffen. Der Kanzler der Einheit habe in der Pluralität eine „phantastische Chance“ gesehen.
Auch Papst Franziskus habe vor zehn Jahren bei einer Rede vor dem Europaparlament den Wert der Vielfalt der Völker Europas betont. Einheit bedeute nicht politische, wirtschaftliche, kulturelle oder gedankliche Uniformität, in Wirklichkeit lebe jede authentische Einheit vom Reichtum der Verschiedenheit, zitierte Köhler den Papst. „Wer am gemeinsamen Haus Europa mitbaut, tut dies nicht, um sich einen Namen zu machen, sondern um Freiheit und Demokratie zu Schutz und Ansehen zu verhelfen“, so Köhler.
Dazu zähle auch die Europäische Einigung als Konsequenz auf die Kriegsschrecken den 20. Jahrhunderts, die als ein „Erfolgsversprechen für Deutschland“ zu begreifen sei. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeige jedoch, dass eine Wehrfähigkeit benötigt werde – und sei „ein Weckruf an die EU-Mitgliedsstaaten, eine Verteidigungsunion aufzubauen.“ Es gelte, der Ukraine beizustehen und sich vorzubereiten, dass die USA ihre Verteidigungsanstrengungen in Europa zurückfahre.
Der Klimaabschluss von Paris als wichtiger Faktor für die Zusammenarbeit von Nationen
Das Pfingstwunder sei, so Köhler, das neutestamentliche Gegenstück zum Turmbau zu Babel. Der Heilige Geist bewirke dort, dass Menschen einander plötzlich verstehen. Die Vielfalt der Sprachen werde nicht aufgehoben, verlöre aber ihren trennenden Charakter. In der heutigen Zeit seien es die Vereinten Nationen, wo Ideen sichtbar würden, die der Menschheit gemein seien. Als Referenz benannte er Hans Küng, der durch seine wissenschaftliche Forschung gezeigt habe, dass das Weltethos in allen Religionen zu finden ist. Dieses Weltethos sieht Köhler auch in der Agenda 2030 der UN abgebildet, „ein Narrativ der Zusammenarbeit zum wechselseitigen Nutzen und zum Wohle aller Nationen“. Zusammen mit dem Klimabeschluss von Paris sei dies der Rahmen für eine „gedeihliche Zusammenarbeit aller Nationen“, sagte Köhler in seiner Rede im Dom.
Durch diese Zusammenarbeit könnten die Völker der Welt dem Himmel ein wenig näherkommen, indem sie füreinander da seien und die Verantwortung für den Planeten gemeinsam wahrnähmen. Horst Köhler machte die direkte, konkrete Umsetzung dieses Verständnisses einer gemeinsamen Verantwortung deutlich und wandte sich direkt an Wladimir Putin mit der Aufforderung: „Öffnen Sie sich für Gespräche für eine Friedenslösung nach geltendem Völkerrecht.“
Was ist das Ziel? Köhler stellt diese Frage im Speyerer Dom
Als Christinnen und Christen folgen wir in der Passionszeit den Spuren Jesu, erinnerte Köhler zum Schluss seiner Predigt. Auf diesem Weg gäbe es manche Schwelle, und wer klug sei, stolpere nicht einfach darüber, sondern wähle seine Schritte mit Bedacht. Es gelte, auf dem Weg innezuhalten und sich zu fragen: Wohin wollen wir? Welches Ziel streben wir an? Dann könne man „geeint in Vielfalt und Verschiedenheit die richtigen Schritte gehen und darauf vertrauen, unser Gott geht mit uns.“
Die Zuhörer im voll besetzten Dom dankten Horst Köhler mit lange anhaltendem Applaus. Diesem Dank schloss sich Domdekan Dr. Christoph Kohl an und sprach von einem „großen Moment des Innehaltens“. Die musikalische Gestaltung hatte Domorganist Markus Eichenlaub übernommen. Mit Musik von Johann Sebastian Bach, Jehan Alain und Maurice Duruflé setzte er vertiefende Akzente. Für alle, die nicht live lauschen konnten, stehen die Gottesdienste auf den Youtube Kanälen von Dom, Dommusik und Bistum zur Verfügung.
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