Wein

Wie ein Mann in der Südpfalz alte Rebsorten rettet

Der Botaniker Andreas Jung hat hunderte vergessene Rebsorten aufgespürt - und will sie vor dem Verschwinden bewahren. Auch, weil sie Winzern dabei helfen könnten, dem Klimawandel zu trotzen

Von 
Agnes Polewka
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130 verloren geglaubte Rebsorten wachsen auf Andreas Jungs „Südpfalzweinberg“ am Rande des südpfälzischen Örtchens Weingarten. © Agnes Polewka

Weingarten. Andreas Jung lässt seinen Blick über die Rebstöcke seines Wingerts am Rande des südpfälzischen Örtchens Weingarten wandern. Über die Rinde, die grünen Blätter, die vollen Trauben. „Das ist mein Lebenswerk“, sagt der 60-Jährige. Und ein botanischer Schatz, der seinesgleichen sucht. Sein halbes Leben lang hat der Biologe in Deutschland alte Weinberge durchforstet, auf der Suche nach längst vergessenen Rebsorten. 130 verloren geglaubte Sorten wachsen nun auf seinem „Südpfalzweinberg“. Weitere Ableger von insgesamt 320 historischen Sorten finden sich in anderen sogenannten Rebsortenarchiven in Rheinhessen, am Neckar und an der Hessischen Bergstraße, wo er mit Winzern und Rebschulen zusammenarbeitet. Darunter auch der Rebenveredler Ulrich Martin aus Gundheim (Kreis Alzey-Worms), der die alten Rebsorten an interessierte Winzer verkauft und selbst Wein daraus macht.

Überraschungsfund in Heidelberg

Botaniker Jung hatte eigentlich nie geplant, sein Berufsleben historischen Rebsorten zu widmen - und irgendwann am Hang seines eigenen Weinbergs zu stehen. Nach dem Studium im Freiburg begann Jung am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen zu arbeiten. Sein Aufgabengebiet: die Aufarbeitung der institutseigenen Sammlung historischer Rebsorten.

Als sogenannter Ampelograph - übernahm er die akribische Beschreibung alter Sorten in der Institutssammlung. Dafür tauchte er ein, in alte Dokumentationen, Beschreibungen und Zeichnungen. Eine mühsame Angelegenheit, weil sich über die Jahrhunderte Missverständnisse, Fehler und Verwechslungen in die Literatur eingeschlichen haben. 2001 - Jung war ganz in seine Bücher vertieft - erhielt er einen Tipp von einer damaligen Kollegin. Verwandte in Heidelberg hatten ihr beim Sonntagsbesuch einen besonderen Wein kredenzt.

Alte Rebsorten

  • 2006 gründete der Biologe und Völkerkundler Andreas Jung (60) sein „Büro für Rebsortenkunde und Klonzüchtung“ in Lustadt (Kreis Germersheim). Seitdem arbeitet Jung freiberuflich als Weinwissenschaftler, Ampelograph, und Sortenerhalter. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Sortenerfassung und Sortenidentifizierung sowie die Viruskontrolle in Rebbeständen.
  • Gemeinsam mit dem Winzer Ulrich Martin hat Andreas Jung das Projekt „Historische Rebsorten initiiert. Weitere Infos unter: www.historische-rebsorten.de.
  • Weitere Infos zu den Rebenpatenschaften und Jungs „Südpfalzweinberg“ unter www.rebenpatenschaften.de.

Aus alten Rebsorten, die früher auf dem familieneigenen Weinberg in Handschuhsheim angebaut worden seien, erzählte sie ihm. „Ich habe mir das dann vor Ort angeschaut“, erinnert sich der 60-Jährige. Jung entdeckte 43 verloren geglaubte Sorten. In Handschuhsheim fand er weitere Familien-Weinberge - und 80 historische Rebsorten. Etwa den „Kleinedel“, den „Fütterer“ oder den „Roten Veltliner“. Und: Bei seinen Untersuchungen machte Jung eine spektakuläre Entdeckung: „Ich habe Spuren des ,Zinfandels’ gefunden, der besser als Primitivo bekannt ist. Der wurde tatsächlich auch bei uns angebaut.“

Als Jungs Zeitvertrag in Siebeldingen nicht verlängert wurde, machte er sich als Ampelograph selbstständig, erweiterte seinen Radius, spürte alten Rebsorten in Ostdeutschland und an der Mosel nach, begutachtete Sammlungen in der Schweiz, in Österreich, Norditalien und Frankreich. Er sammelte und rettete.

Dann bekam Jung an Weihnachten 2006 den Zuschlag für ein Erfassungsprojekt des Bundes, um noch vorhandene alte Weinberge und historische Rebsorten aufzuspüren und sie zu erfassen. „Ich bin dazu an rund tausend Orte gereist“, sagt Jung. „Ich habe uralte Rebstöcke von ausgestorbenen, altfränkischen Sorten wie vom „Fränkischen Burgunder“, „Schwarzblauem Riesling“, „Blauem Hängling“ oder vom „Adelfränkisch“ gefunden, die vielleicht schon seit der Spätantike in Rhein- und Moselfranken angebaut wurden.“ Der „Süßschwarz“ und der „Hartblau“ dürften sogar 8000 Jahre alt sein.

2010 schrieb Jung seinen Abschlussbericht. „Dann erfuhr ich, dass die Ergebnisse nicht veröffentlich werden, unter Verschluss bleiben sollten“, erinnert er sich. Über die Gründe dafür kann er nur spekulieren. Doch die Konsequenzen der Entscheidung trafen ihn hart. „Das bedeutete, dass auch niemand die Veredelung und Bewahrung der Rebsorten angehen würde.“

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Jung überlegte, wie es mit seiner beruflichen Zukunft weitergehen sollte - und mit den Rebsorten, die er gerade erst wieder gefunden hatte. „Ich habe mich dann meiner Verantwortung gestellt, das deutsche Weinerbe zu bewahren“, sagt er und lächelt. Die Sonne taucht seine Rebstöcke auf dem 2400 Quadratmeter großen Areal in gleißendes Licht. Schon 2007 hat er hier die ersten Rebstöcke gepflanzt, später kamen immer neue hinzu: der „Schwarzblaue Riesling“, der „Blaue Traminer“, der „Fränkische Burgunder“. „Das sind fantastische Rotweine - etwas Gleichwertiges findet man am ehesten in Frankreich, Spanien oder in Italien.“ Dies hätten auch einige Winzer schnell erkannt. Die Nachfrage in den Rebschulen sei groß gewesen. Neben dem Geschmack punkten einige der historischen Sorten auch damit, dass sie Hitze und Trockenheit besser wegstecken als klassische Rebsorten. Etwa der „Gelbe Kleinberger“ oder der „Weiße Traminer“, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts als Weißweinsorten weit verbreitet waren. Auch der „Grüne Adelfränkisch“ käme mit Hitze und Trockenheit besser zurecht, so Jung. Bei Temperaturen bis 40 Grad gedeihe er besonders gut - und behalte seine Säure. Anders als etwa der Riesling oder der Chardonnay.

Geobotaniker Jung wünscht sich, dass möglichst viele „seiner“ alten Rebsorten in den kommerziellen Weinbau wandern. „Aber im Moment sieht es dafür nicht gut aus“, sagt Jung. Der Grund: das neue Weinbaugesetz. Wer alte Sorten anbaut, tut dies bislang unter dem Label „Versuchsanbau“. Dieser soll künftig auf 0,1 Hektar pro Betrieb außerhalb der regulären Rebfläche beschränkt werden. „Das lohnt sich für Winzer nicht“, sagt Jung. Mit nur 500 Weinstöcken zu arbeiten, sei nicht wirtschaftlich. Zur Herstellung seines eigenen Weins, dem „Cuvée - Alte Sorten“, arbeitet er mit örtlichen Winzern zusammen. Diese unterstützen ihn auch bei der Pflege seines „Südpfalzweinbergs“. Außerdem vergibt Jung Rebenpatenschaften, um das Projekt zu finanzieren. „Aber machen wir uns nichts vor: Reich wird man damit nicht“, sagt der Botaniker. Er hofft auf eine Stiftung oder einen Mäzen, jemanden, der sein Lebenswerk fortführt, wenn er in den Ruhestand geht. Um die vielen alten Rebsorten ganz vor dem Verschwinden zu bewahren.

Redaktion

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