Weinheim. Durch eine schwere Zeit kommt man am besten zu zweit, als Team, einer für den anderen. Bei langjähriger Verbundenheit sollte das selbstverständlich sein. Aber bei wildfremden Menschen? Dass sich Arno Kiegele und Nico Behrens nicht einmal kannten, als das Schicksal sie zusammenführte, macht die bewegende Geschichte der beiden so besonders. Sie sind genetische Zwillinge und Blutsbrüder für immer. Der eine ein bäriger Weinheimer von 57 Jahren, der andere mit 24 ein junger Mann aus Hamburg. Ohne die Leukämieerkrankung Kiegeles hätten sie sich wohl nie kennengelernt.
Als ich den ersten Brief von Nico gelesen habe, da fehlten mir die Worte.
Nico Behrens ist Kiegeles Lebensretter. „Ohne ihn hätte ich nicht überlebt“, ist sich der Unternehmer sicher, der seit vielen Jahren das Mannheimer Oktoberfest veranstaltet. Denn ohne die Stammzellen des jungen Hamburgers hätte er die Leukämie wohl nicht besiegen können.
Im September 2019 wurde der Blutkrebs diagnostiziert. „Ein Schock“, wie Kiegele sich erinnert. Er wusste: „Das kann auch tödlich enden.“ Und doch konzentrierte er sich auf „das kleine Licht am Ende des Tunnels“, so nennt er die Hoffnung. Sie lag auf verschiedenen Chemotherapien, die jedoch nicht anschlugen. Erst als der Weinheimer an einer Studie mit neuartigen Arzneimitteln aus Amerika teilnahm, konnte er durchatmen und sogar die Weihnachtsfeiertage zuhause verbringen. Auf der Suche nach einem Stammzellenspender hatte Arno Kiegele schier unfassbares Glück. Denn Nico Behrens hatte sich nicht nur typisieren lassen, sein Blut stimmte auch in seinen Gewebemerkmalen in zwölf Parametern und damit fast vollständig mit dem von Arno Kiegele überein. „Ein Volltreffer“, freut sich der Weinheimer, der seinen Stammzellenspender jetzt treffen konnte – mehr als zwei Jahre nach der lebensrettenden Spende. So lang währt die Sperrzeit, in der sich Spender und Empfänger zum Schutz der Privatsphäre nicht treffen dürfen.
Ich spüre noch viele Nachwirkungen der Chemotherapie.
Kontakte gab es aber bereits im Vorfeld, wenn auch anonymisiert. Kiegele erinnert sich: „Als ich den ersten Brief von Nico gelesen habe, fehlten mir die Worte. Er schrieb, dass wir jetzt ein Team sind. Ich hatte Tränen in den Augen, so haben mich seine Worte geflasht.“ Wie Rückenwind empfand Kiegele die Anteilnahme des Unbekannten.
Das erste Treffen fand in Hamburg statt, begleitet von den Kameras eines ZDF-Fernsehteams. An der Elbe fielen sich die beiden in die Arme. Aus Fremden sind mittlerweile Freunde geworden. Kiegele: „Wir haben viel gemeinsam: das Lachen, die Offenheit, die Lebensfreude und die Sportbegeisterung. Ich spüre, dass ich ihm mein Leben verdanke. Die Dankbarkeit ihm gegenüber kann ich nur ganz schwer in Worte fassen.“
Bei der DKMS registrieren lassen
- Alle zwölf Minuten erhält in Deutschland ein Mensch die niederschmetternde Diagnose Blutkrebs, weltweit alle 27 Sekunden. Viele Patienten können ohne eine lebensrettende Stammzellspende nicht überleben. Je schneller ein „Match“ gefunden wird, desto größer sind die Überlebenschancen.
- Die DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei) hat sich als internationale gemeinnützige Organisation dem Kampf gegen Blutkrebs verschrieben. Sie wurde 1991 in Deutschland gegründet und verfolgt das Ziel, möglichst vielen Menscheneine zweite Lebenschance zu geben. Dies ist der DKMS nach eigenen Angaben bis heute mit mehr als elf Millionen registrierten Lebensspendern durch die Vermittlung von Stammzellspenden bereits 100 000 Mal gelungen.
- Als Spender kommen grundsätzlich gesunde, volljährige Personen in Frage. Wer spenden möchte, kann seine Gewebemerkmale per Mundabstrich typisieren lassen. Die Daten werden in einem Register gespeichert und mit den Daten von Patienten abgeglichen.
- Bei einer Stammzelltransplantation werden Knochenmark und erkrankte Stammzellen des Patienten zunächst durch eine Ganzkörperbestrahlung oder eine hoch dosierte Chemotherapie zerstört. Dann werden einem Spender gesunde Stammzellen entnommen. Die Stammzellen werden im nächsten Schritt auf den Empfänger übertragen. Im Idealfall entwickelt sich aus diesen Stammzellen ein neues blutbildendes System im Körper der empfangenden Person. Infos: www.dkms.de/registrieren.
Und beide verfolgen das gleiche Ziel: Ihnen ist es eine Herzensangelegenheit, möglichst viele Menschen für die Registrierung bei der DKMS zu motivieren. „Mund auf, Stäbchen rein, Spender sein“ – das klingt simpel. Was es aber tatsächlich heißt, Stammzellenspender zu sein, das verrät der junge Hamburger in einem Erfahrungsbericht im Internet auf der Seite der DKMS unter www.dkms-insights.de/2022/05/02/nico-arno/ „Ich würde jederzeit wieder spenden“, sagt Nico Behrens. „Einem anderen Menschen möglicherweise das Leben zu retten und darin auch noch einen Freund zu finden – es gibt nicht viel, das das toppen kann.“
Und Arno Kiegele? „Meine Blutwerte sind heute gut. Ich spüre noch viele Nachwirkungen der Chemotherapie, aber ich arbeite, ich trainiere und ich pusche mich.“ Die Zukunft wartet schon. Und eins steht fest: Nico Behrens kommt mit seiner Familie aus Hamburg zum Mannheimer Oktoberfest – auf den Blutsbruder.
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