Porträt

Warum eine SPD-Politikerin aus Haßloch den Landtag verlassen hat

Die Landtagsabgeordnete Giorgina Kazungu-Haß aus Haßloch hat ihr Mandat niedergelegt - weil sie das Gefühl hat, woanders mehr gebraucht zu werden. Dafür hat sie ihre Zelte abgebrochen und die Region verlassen

Von 
Agnes Polewka
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Hat dem rheinland-pfälzischen Landtag den Rücken gekehrt, um wieder als Lehrerin zu arbeiten: Giorgina Kazungu-Haß. © Privat

Haßloch/Berlin. Wenn Giorgina Kazungu-Haß über den Lehrerberuf spricht, schwingt ganz viel Enthusiasmus mit. Der Wunsch, im Kleinen etwas Großes zu bewirken, einen Unterschied im Leben von Menschen zu machen - 15 Jahre lang war das ihre Lebensaufgabe. Dann zog sie 2016 für die SPD in den Landtag ein, kümmerte sich um Schulpolitik, zuletzt war die 44-jährige Vorsitzende des Bildungsausschusses. Im Spätsommer hat sie ihr Mandat niedergelegt, um wieder als Lehrerin zu arbeiten.

„Es ist ungewöhnlich, dass Menschen freiwillig aus dem Mandat ausscheiden, ohne sich vortrefflich gestritten zu haben“, sagt Kazungu-Haß am Telefon und lacht. Auch deshalb seien viele politische Weggefährten überrascht gewesen. „Aber es war eine ganz und gar selbstbestimmte Entscheidung.“ Ein Entschluss, den man besser versteht, wenn man in die Biografie der 44-Jährigen eintaucht.

Start in Koblenz

Giorgina Kazungu-Haß hat ihr Studium in Koblenz gerade abgeschlossen, als sie darüber nachdenkt, wohin sie das Leben führen soll. Sie hat Deutsch und evangelische Theologie studiert, Pädagogik und Psychologie. Die gebürtige Koblenzerin beginnt nach dem ersten Staatsexamen, in einer Brennpunktschule in Koblenz zu arbeiten. Und weiß ein Jahr später: „Ich will nichts anderes mehr in meinem Leben machen.“ Weil sie merkt, dass sie an guten Tagen als Lehrerin einen Unterschied machen kann. Dass sie dazu beitragen kann, andere Menschen in ein gutes Leben zu führen. Weil sie ihnen das vielleicht wichtigste Werkzeug dazu mit auf den Weg gibt: Bildung.

Sie beteiligt sich an der Gründung einer neuen Schule in der Eifel, will ein gutes Lernumfeld für Lernende und Lehrende schaffen. Sie heiratet einen Mann aus Haßloch und zieht in die Vorderpfalz, arbeitet an der Montessori-Schule in Landau. Sie wechselt nach Deidesheim-Wachenheim, wo sich die Integrierte Gesamtschule (IGS) im Aufbau befindet und unterstützt die Frankenthaler Robert-Schuman-Schule auf ihrem Weg zur IGS. Dort arbeitete sie bis zu ihrem Einzug in den Landtag als Konrektorin.

Giorgina Kazungu-Haß

  • Giorgina Kazungu-Haß (44) aus Haßloch hat als Landtagsabgeordnete den Wahlkreis Neustadt vertreten, zu dem Neustadt, Haßloch und die Verbandsgemeinde Lambrecht gehören.
  • Sie wurde 2016 in den Landtag gewählt, zuletzt war Kazungu-Haß Vorsitzende des Bildungsausschusses.
  • Zum 1. September hat Kazungu-Haß ihr Mandat niedergelegt, um wieder als Lehrerin zu arbeiten – in Berlin. Vor ihrer Wahl in den Landtag war Giorgina Kazungu-Haß Konrektorin an der Integrierten Gesamtschule in Frankenthal.
  • Ihr Landtagsmandat übernimmt Claus Schick aus Lachen-Speyerdorf. agp

„Die Schule zu verlassen, das war hart für mich“, erinnert sich Kazungu-Haß, die Mutter von vier Söhnen ist. Aber die Politik ist ihre zweite Leidenschaft, schon 1996 ist sie in die SPD eingetreten. Unter Kurt Beck war sie Juso-Landesvorsitzende. „Er ist eine prägende Figur in meinem politischen Leben“, sagt Kazungu-Haß.

Als die Partei für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2016 einen Abgeordneten für den Wahlkreis Neustadt an der Weinstraße sucht, stellt sich Kazungu-Haß zur Wahl. Weil sie der Bildungspolitik der Partei viel zu verdanken hat, sagt sie. „Ich bin eine klassische Aufsteigerin.“ Sie rechnet bis zuletzt nicht damit, dass es für sie reicht. Doch das tut es. „Ich bin dann mit viel Verve gestartet, aber die Anfangszeit war seltsam, weil ich nicht die verbissene Idee hatte, dass ich in den Landtag kommen muss, sondern, dass wir nochmal die Wahl gewinnen wollen.“

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Und doch lässt sie sich mehr und mehr auf das Landesparlament ein. Lernt viel, über Kompromisse und Diplomatie. Über das politische Ringen um gute Lösungen, die mitunter an Rahmenbedingungen und Ressourcen scheitern. Wie im Falle des Lehrermangels. Als die Pandemie Deutschland und seine Schulen fest im Griff hat, gerät Kazungu-Haß mehr und mehr ins Grübeln, in „einen Abwägungsprozess“, wie sie sagt.

„Diese zwei Jahre Pandemiezeit haben den Lernzuwachs minimiert“, sagt sie. Und überall fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Männer und Frauen wie sie. Im Sommer 2022 steht ihr Entschluss fest: Sie muss zurück an die Schule, sie will zurück. Und zwar dorthin, wo sich die Lage mit am dramatischsten gestaltet, wo besonders viele Lehrkräfte fehlen: in die Hauptstadt.

Sehnsuchtsort Berlin

Das ist aber nicht der einzige Grund: „Berlin hat mich seit meiner Kindheit fasziniert“, sagt Kazungu-Haß. Mit ihrer Familie besuchte sie dort als Mädchen immer wieder Verwandte, war beeindruckt - und auch ein bisschen eingeschüchtert, vom geteilten Berlin. „Heute wohne ich im Osten der Stadt“, sagt Kazungu-Haß. Ihr käme immer noch oft der Gedanke: „Unfassbar, dass man hier einfach wohnen kann. Dass man einfach hier hinziehen kann.“ „Hier hingezogen“ ist sie mit ihren vier Söhnen, der Ehemann der 44-Jährigen pendelt zwischen der Pfalz und der Hauptstadt.

Am 1. September hat Kazungu-Haß in einer Grundschule in Berlin-Lichtenberg ihren neuen alten Job angetreten. Und hat den Schritt bis jetzt nicht bereut. Zu groß ist ihr Wunsch, im Kleinen etwas Großes zu bewirken. Als Lehrerin einen Unterschied zu machen.

Redaktion

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