Portrait (mit Video)

Von der Skischanze ins Rathaus - die außergewöhnliche Karriere des Ketscher Bürgermeisters

Während seiner aktiven Sportlerkarriere als Skispringer ist Timo Wangler in der Welt rumgekommen. Jetzt tritt er seit diesem Sommer als Bürgermeister von Ketsch völlig neuen Herausforderungen entgegen

Von 
Agnes Polewka
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© Daniel Lukac

Ketsch.

Lokales

Video: Wie ein ehemaliger Skispringer Bürgermeister in Ketsch wurde

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„Mein Leben lässt sich ganz klar in verschiedene Abschnitte einteilen“, sagt Timo Wangler und lehnt sich auf seinem Bürostuhl im Ketscher Rathaus zurück. Am 1. Juli hat er dort das Büro des Bürgermeisters bezogen. Zielstrebig hat er darauf hingearbeitet, viel Zeit und Geld investiert. Aber es gab Zeiten in seinem Leben, da zählten ganz andere Dinge.

„In meiner Jugend gab es nur den Sport“, sagt der 48-Jährige. Das Skispringen. Anfang der 90er-Jahre zählt der gebürtige Freiburger zu den großen Nachwuchstalenten seiner Disziplin. Er springt für die Juniorennationalmannschaft, wird Deutscher Jugendmeister. In seiner Altersklasse gehört er zu den fünf besten Skispringern im Land. Bei der Juniorenweltmeisterschaft im finnischen Voukatti wird er für den Teamwettbewerb nominiert. Wangler und seine Mannschaft – darunter auch Sven Hannawald – holen Bronze.

© Daniel Lukac

Es ist eine aufregende Zeit, eine, die Wangler nie vergessen wird. Aber sie ist auch anstrengend, fordernd, bringt ihn an seine Grenzen. Er reist zu Wettkämpfen überall auf der Welt, trainiert und trainiert und trainiert. Und isst dabei wenig, hält ständig Diät. Weil jedes Kilo Weite kostet.

Dann – Wangler hat gerade seine beste Platzierung bei den Senioren erzielt, den 14. Platz in Garmisch-Partenkirchen – ein schwerer Sturz am Kulm, an einer der großen Skiflugschanzen der Welt. „Ich hatte eine ordentliche Gehirnerschütterung“, erinnert er sich in seinem Ketscher Bürgermeisterbüro. Und Prellungen, aber sein junger Körper heilt schnell.

Doch der Sturz hat etwas verändert. „Skispringen ist Kopfsache und ein schwerer Sturz hinterlässt seine Spuren“, sagt Wangler. Automatisierte Abläufe geraten ins Stocken. Auch bei Wangler. Er springt seiner Form hinterher. Stürzt wieder. Und zweifelt.

Wangler hat neben dem Spitzensport eine Ausbildung zum Verwaltungswirt gemacht, er ist Teil der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Er überlegt, wie es weiter gehen soll. Was er tun soll – und entscheidet sich dafür, seine sportliche Karriere zu beenden. Mit 21 Jahren. In einem Alter, in dem viele noch gar nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, beendet er bereits einen ersten wichtigen Abschnitt.

Ein harter Einschnitt in das Leben des Profisportlers

Das Ende seiner Karriere tut weh. Gleichzeitig ist er erleichtert. Denn es bedeutet auch ein Ende der Strapazen. „Ich habe mich dann ganz darauf konzentriert, etwas ,Richtiges’ zu machen“, sagt Wangler. Er holt sein Fachabitur nach und studiert an der öffentlichen Hochschule für Verwaltung in Kehl. Dort lernt er die Ketscherin Katja kennen. Die Frau, die er später heiraten wird. Beide ziehen in die Heimat seiner Frau, finden Jobs in der Region. Und Anschluss. Wangler spielt bei den Altherren im Ort Fußball, findet neue Freunde. Und ab und an hält er auch den Kontakt zu alten, zu den Mannschaftskollegen. Als Sven Hannawald seine Karriere beendet, reist Wangler zum Benefiz-Fußballspiel. Einige Jahre später soll es ein Benefizspiel in Ketsch geben. Wangler telefoniert herum, mit Christof Duffner und Hansjörg Jäkle. „Das war fast wie früher, es war schön, sie einmal wieder zu hören.“

Wangler arbeitet zunächst im Wieslocher Rathaus, im Controlling, ein Jahr später fängt er als Kämmerer in Sandhausen an. 20 Jahre lang bleibt er dort, steigt vom Stellvertreter zum Leiter der Kämmerei auf. „Wirtschaft und Finanzen – das ist genau mein Ding“, sagt Wangler. In seiner Sandhäuser Zeit wird er Vater von Mona und Till. „Der Beruf und meine Familie, das waren die wichtigen Dinge in dieser Zeit.“

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Als seine Kinder ins Teenageralter kommen, erlaubt sich Wangler, einen anderen Posten ins Auge zu fassen: das Bürgermeisteramt. Als sein Chef im Rathaus, Georg Kletti (CDU), seinen Rückzug ankündigt, entscheidet sich Wangler, zu kandidieren. „Es war der richtige Zeitpunkt, die Kinder waren aus dem Gröbsten raus und ich wollte wieder etwas Neues tun“, sagt Wangler. Es ist ein harter Wahlkampf für den parteilosen Kandidaten. Sein Gegenspieler, der CDU-Politiker Hakan Günes ist ein Sandhäuser Urgewächs, einer „der gefühlt eigentlich schon seit seiner Kindheit Wahlkampf gemacht hat“, sagt Wangler und lacht.

Wangler selbst hat viele Unterstützer – und doch unterliegt er. „Das war schon erst einmal bitter – ich musste mich erst mal schütteln danach“, sagt Wangler. Aber im Spitzensport hat er gelernt, Niederlagen einzustecken. Und etwas anderes, vielleicht noch wichtigeres: Disziplin.

Neue Herausforderung: Bürgermeisteramt

Wangler gibt nicht auf. Als er erfährt, dass der Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde, Jürgen Kappenstein, nach acht Jahren Amtszeit nicht mehr antritt, setzt er alles auf eine Karte. Er stemmt seinen zweiten Wahlkampf innerhalb eines Jahres. Und gewinnt. Am 8. Mai dieses Jahres steht er als der klare Wahlsieger fest. Ein Befreiungsschlag.

Am 1. Juli hat er sein Büro im Ketscher Rathaus bezogen. „Mein dritter Lebensabschnitt hat damit begonnen“, sagt er und lacht. In Ketsch hat er viel vor, vor allem will er den Haushalt konsolidieren. Und die großen Themen unserer Zeit angehen, Klimawandel und Nachhaltigkeit. Ein bisschen auch dadurch, dass er im Kleinen vorlebt, was im Großen möglich ist. Wangler ist seit fast 20 Jahren Vegetarier. Auf einen Dienstwagen hat er verzichtet, er ist lieber mit dem Rad unterwegs. Weil es umweltschonender sei und er sich gern bewege. Bis heute ist der Sport ein großer Teil seines Lebens. Er spielt Fußball in Ketsch, war viele Jahre lang Jugendtrainer. „Das habe ich jetzt wegen meines neuen Amts aufgegeben.“

Seit seinem Karriereende ist Wangler nie mehr von einer Skisprungschanze gesprungen. Weil er wusste, dass die Zeit seiner richtig guten Sprünge vorbei war. Und wenn er etwas tut, dann will er es richtig gut machen, sagt Wangler.

Redaktion

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