Baden-Württemberg. Da streifen sie durchs Unterholz, irgendwo im Schwarzwald, ganz sicher in den Wäldern rund um den Schluchsee, vielleicht zieht aber auch der eine oder andere Wolf durch den Odenwald, über die Alb und durch den Schwäbisch-Fränkischen Wald: Baden-Württemberg, stets Durchgangsland, ist Heimat geworden für den einen oder anderen Wolf und auch für das erste Rudel.
Doch nach nur wenigen Monaten ist es den Status als aktives Wolfsland nach einem folgenschweren Autounfall auch schon wieder los. Wie wird sich nun das nächste Jahr entwickeln?
Was ist bei dem Unfall passiert?
Am Montagabend ist ausgerechnet der einzige Wolfswelpe Baden-Württembergs am Schluchsee von einem Auto überfahren worden. "Bei dem Wolf handelt es sich äußerlichen Merkmalen nach zu urteilen um den männlichen Welpen des Schluchsee-Rudels, GW3699m", bestätigte eine Sprecherin des Umweltministeriums in Stuttgart am Dienstag. Nach Polizeiangaben war das Tier auf der Bundesstraße 500 angefahren worden.
Der Welpe war erst Ende Juli 2023 durch eine Fotofalle der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) nachgewiesen worden - es war der erste Wolfsnachwuchs seit rund 150 Jahren im Südwesten.
Hat das Folgen für Baden-Württembergs Status als Wolfsland?
Ja, denn ohne den Welpen ist das einzige Wolfspaar im Land ohne Nachwuchs - und das erste Rudel im Land damit Geschichte. Denn ein weiterer Welpe ist nicht bekannt. Ungewöhnlich sei das, sagt Rösler. Denn ein normaler Wurf bestehe eigentlich im Durchschnitt aus vier Welpen.
Was war ansonsten so besonders an diesem Jahr?
Baden-Württemberg ist bisher nur ein Durchgangsland für Wölfe gewesen. Weniger als eine Handvoll Tiere sind bislang im Südwesten geblieben und gelten deshalb als sesshaft. Bis zum Februar sprachen die Experten stets von nur drei sesshaften Wölfen - also von Tieren, deren Spuren über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten verfolgt werden können.
Dann heizte im Februar in der sogenannten Ranzzeit die Sichtung des ersten Wolfspaares, aufgenommen in der Schluchsee-Region, die Debatte an. Dabei war schon seit vielen Jahren damit gerechnet worden, dass nicht nur männliche Wölfe zuwandern und es Rudel geben könnte - also Paare mit mindestens einem Nachwuchs.
"Baden-Württemberg ist ein Wolfsland geworden", sagt Markus Rösler, Sprecher für Naturschutz der Grünen im Landtag, mit Blick zurück aufs ganze Jahr. Vorsichtiger formuliert es die Artenschutzreferentin des Naturschutzbunds (Nabu) Deutschland, Alexandra Ickes: "Baden-Württemberg war ein Durchgangsland und das wird auch zunächst so bleiben. Aber es wird zunehmend attraktiver für Wölfe, um sesshaft zu werden."
Ist das Rudel für die jüngsten Risse verantwortlich?
So scheint es, ja. Tiere aus dem früheren Rudel vom Schluchsee (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) - in der Fachsprache der Rüde GW1129m und die Fähe 2407f sowie der nun überfahrene Welpe GW3699m - haben wiederholt rund um den Schluchsee zugeschlagen.
Es sei aber aufgrund der ungenauen Datenlage dieses Mal schwierig zu klären, welches Tier für den Tod von zwei Rindern verantwortlich sei, sagte ein Sprecher des verantwortlichen Umweltministeriums. Daher sei das Paar angezählt worden. Schlägt es bald in dieser Region erneut trotz Herdenschutzes zu, könnte es eine Freigabe zum Abschuss geben. Das ermöglicht das Bundesnaturschutzgesetz. Einen pauschalen Maßstab dafür gibt es nicht, jeder Fall wird einzeln bewertet.
Was passiert, wenn nächstes Jahr ausgerechnet die Fähe zum Abschuss freigeben werden sollte?
Würde der Fähe erneut ein Riss trotz Herdenschutzes nachgewiesen und das Tier erlegt werden, dürfte der Neuaufbau eines Rudels in noch weitere Ferne rücken - und damit auch der Status Baden-Württembergs als Wolfsland. Denn die Fähe ist derzeit der einzige weibliche Wolf in Baden-Württemberg. Im Land würde dann im kommenden Jahr wieder eine reine Männer-Wolfs-WG leben - angewiesen auf eine einwandernde Fähe. Allerdings könnte die wichtige Bedeutung der Fähe als einzigem reproduzierenden weiblichen Wolf auch ein Grund sein, sie leben zu lassen.
Könnte es kommendes Jahr auch andere Wölfe in Baden-Württemberg treffen?
Die CDU nimmt einen weiteren Wolf im Schwarzwald ins Visier. Nach wiederholten Rissen im Raum Forbach (Kreis Rastatt) fordern die CDU-Landtagsabgeordneten Raimund Haser und Klaus Burger in einem Brief an Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) den Abschuss dieses Wolfes. Die Angriffe führten zu nicht hinnehmbaren Schäden bei Landwirten und Schäfern und bedrohten deren Existenz, argumentieren die Politiker.
Wird die Zahl der Wölfe und Rudel im nächsten Jahr steigen?
Das hängt zum einen vom Schicksal der Fähe ab, zum anderen vom weiteren Wanderverhalten der weiblichen Wölfe im deutlich stärker besetzten Alpen- und im norddeutschen Raum.
Könnte im kommenden Jahr auch die Schwäbische Alb zur Wolfsregion werden?
Durchaus, ja. Gesichtet wurde bereits mehrfach ein Wolf, es gab mehrere Nachweise im Landkreis Esslingen und in Römerstein (Kreis Reutlingen). "Wir erwarten, dass sich Wölfe auch in anderen Regionen des Landes niederlassen", sagt der Wolf-Experte der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), Felix Böcker, noch vor kurzem.
Schäfer und Rinderzüchter sind wenig begeistert, oder?
Das stimmt. Denn der Wolf hat keine natürlichen Feinde und steht europaweit als streng geschützte Art unter Naturschutz. Ein Abschuss ist verboten, es sei denn, die eigentlich Menschen gegenüber scheuen Wölfe überwinden qualifizierten Herdenschutz wie zuletzt in der Schluchsee-Region, sind krank, verletzt oder aggressiv gegenüber Menschen.
Schäfer und Viehhalter verweisen seit langem auf zunehmende Probleme. Allein in Deutschland ist die Zahl der Wolfsübergriffe auf Nutztiere nach einem Bericht im vergangenen Jahr deutlich auf mehr als 1000 Fälle gestiegen. Dabei wurden mehr als 4000 Nutztiere getötet oder verletzt. "Herdenschutzmaßnahmen schützen nicht immer zu 100 Prozent", sagte die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbands, Anette Wohlfarth, wiederholt. "Wenn sich der Wolf weiter ausbreitet, ist das eine existenzielle Bedrohung für die Weidetierhaltung."
Warum sind die Menschen, wie es scheint, dennoch so begeistert von der Rückkehr des Wolfs?
Während sich Landwirte Sorgen um ihre Weidetiere machen, begrüßt jeder Zweite die Rückkehr der einst nahezu ausgestorbenen Wölfe nach Baden-Württemberg. Nur jeder Fünfte ist dagegen, wie eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Tageszeitungen im Südwesten ergeben hat. Nach Einschätzung Röslers steht der Wolf wie der Schwarzstorch, der Kranich und der Biber für Arten, die zurückkehren. "Sie sind für viele Menschen ein Zeichen dafür, dass es im Naturschutz positive Signale gibt", sagte er.
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