Rhein-Neckar. Bei Unwettern, Starkregenereignissen und Überschwemmungen bleibt den Einsatzkräften oft nur wenig Zeit, um zu reagieren. Das soll sich durch die Software Flood4Cast ändern. Das System nutzt verschiedene Daten, um den Helfern in Echtzeit einen Überblick über die Lage zu verschaffen und die Vorwarnzeit zu verlängern. In der südpfälzischen Verbandsgemeinde Jockgrim wird das System derzeit in einem Pilotprojekt getestet und auch in Heidelberg kommt die Software bereits zum Einsatz.
„Wenn sich ein Unwetter angekündigt hat, saß man bislang als Feuerwehrmann oft zu Hause, hat das Regenradar gecheckt, aus dem Fenster geschaut und konnte nur warten, bis man zum Einsatz alarmiert wird“, sagt Karl Dieter Wünstel, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Jockgrim und selbst aktiver Feuerwehrmann. Er hat das Pilotprojekt initiiert.
Aktualisierung im Fünf-Minuten-Takt
„Vereinfacht gesagt, errechnet die Software aus aktuellen Regenradardaten und speziellen, digitalisierten Landkarten an sieben Tagen in der Woche, 24 Stunden am Tag eine präzise Prognose, wo und in welchem Maße die Verbandsgemeinde von Starkregen betroffen sein wird und mit welchen Überflutungen gegebenenfalls gerechnet werden muss. Die daraus generierten Schlussfolgerungen helfen bei der Entscheidung, in welchem Umfang Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden müssen“, erklärt Wünstel. Im Ernstfall kann die Software automatisch Warnmeldungen an einen zuvor festgelegten Personenkreis verschicken.
Das System wird mit Daten zur jeweiligen Region gefüttert, erneuert dann selbstständig im Fünf-Minuten-Takt die Wetterdaten und passt seine Prognose an. So kann die Vorwarnzeit im Ernstfall auf bis zu drei Stunden verlängert werden. Damit das System funktionieren könne, habe man der Herstellerfirma unter anderem die Hochwassergefahren- und Starkregenvorsorgekarten der Verbandsgemeinde übermittelt. Zudem greift die Software in Echtzeit auf Daten des Deutschen Wetterdienstes zurück.
"Flood4Cast"
- Hersteller des Programms ist die Firma HydroScan aus Belgien .
- Der Vertrieb der Software erfolgt über die Firma InnoAqua aus Hoppegarten in Brandenburg.
- 50 Prozent der Firma werden vom Hersteller, die anderen 50 Prozent von der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH gehalten.
- Heiko Sieker ist einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet „Regenwasser“ und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema.
- Flood4Cast wird bereits in verschiedenen Ländern eingesetzt, die meisten Anwender finden sich unter anderem in Belgien, Frankreich, Deutschland und Vietnam .
- Größter Kunde ist nach Angaben der Herstellerfirma Hanoi , die Hauptstadt Vietnams.
Kaum nennenswerte Ereignisse in Heidelberg
In Heidelberg wird die Software seit 2023 eingesetzt. Wie Stadtsprecher Julian Klose mitteilt, wurden dafür drei städtische Niederschlagshauptmessstationen sowie neun Pegel kleinerer Nebengewässer des Neckars in das System eingebunden. Im Ernstfall erfolge eine stadtteilbezogene Warnung an registrierte Nutzer innerhalb der Verwaltung, insbesondere an die Feuerwehr.
Ein Warnfall habe sich vor zwei Wochen, am 28. Mai, ereignet, als eine Gewitterfront den Norden Heidelbergs streifte. „Während Nachbarkommunen wie Wilhelmsfeld stärker betroffen waren, blieben die Auswirkungen im Stadtgebiet selbst gering. Die Software gab um 19.55 Uhr eine Warnung der Risikostufe Mittel/Niedrig für die Stadtteile Ziegelhausen und Handschuhsheim aus. Diese Warnung wurde erfolgreich an die Feuerwehr übermittelt. Eine tatsächliche Überflutung trat nicht ein“, informiert Klose. Zumindest nicht in Heidelberg. In Wilhelmsfeld, ein paar Kilometer weiter östlich, kamen in zwei Stunden 80 Liter vom Himmel.
Absichtlicher Verzicht auf Künstliche Intelligenz
Die Software kommt völlig ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus. „Deren Einsatz würde enorme Kosten mit sich bringen, die Verbesserung der Prognosen wären aber nur marginal. Deshalb verzichten wir bewusst darauf“, erklärt Manfred Hachen, Business Director bei „Flood4Cast“. Dass die Software dennoch als „lernendes System“ bezeichnet werden könne, habe andere Gründe.
„Sobald eine Überflutung eintritt, speichert das System alle relevanten Daten und kann diese bei zukünftigen Ereignissen in die Prognose einfließen lassen. Je mehr Informationen gespeichert werden, desto genauer werden die zukünftigen Vorhersagen“, berichtet Hachen. Weitere Vorteile für die Nutzer seien zum Beispiel, dass das System verschiedene Daten in Echtzeit übersichtlich auf einen Blick liefert und browserbasiert ist. Das bedeutet, dass die Kommunen dafür keine eigene Technik anschaffen müssen, weil sie die Prognosen über das Internet einsehen können. „Und weil es auch auf Smartphones, Laptops oder Tablets funktioniert, kann es auch bei Stromausfällen genutzt werden“, erklärt Hachen.
Testphase in Heidelberg vor dem Abschluss
Ob die Software in Jockgrim nach der Pilotphase weiter genutzt wird, ist derzeit noch offen. Eine Entscheidung darüber soll in den kommenden Monaten fallen. In Heidelberg ende die aktuell laufende Testphase voraussichtlich zum Ende dieses Monats. Bisher seien nur wenige relevante Ereignisse verzeichnet worden. Die Stadt prüfe derzeit, ob sie die Lizenz verlängert.
Ergänzend nutze die Stadt das Flut-Informations- und Warnsystem FLIWAS des Landes Baden-Württemberg, das die Auswertung kalibrierter Radarprognosen für beliebige Punkte im Stadtgebiet ermögliche. Es erlaube zudem ebenfalls automatisierte Warnungen bei Überschreitung von Schwellenwerten – zum Beispiel Niederschlagsmengen oder Pegelständen – und unterstütze die Einschätzung der Regenintensität mithilfe eines Starkregenindexes.
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