Rhein-Neckar. Die Gemeinde Spechbach im Rhein-Neckar-Kreis hat es wirklich nicht leicht, sich zu versorgen. In den vergangenen Jahren schloss erst der Supermarkt, dann der Getränkeladen und schließlich der Bäcker. Geblieben sind 1730 Einwohner und die große Frage: Wie geht es nun weiter? „Emmas App“ als Marktplatz im Internet könnte das Problem schon bald lösen.
Dass die Nahversorgung im ländlichen Raum nicht mehr gesichert ist, ist kein Geheimnis mehr. Viele kleinere Läden schließen – zu hoch sind die Rechnungen, zu gering der Umsatz. Eine Alternative bieten auch keine Lieferservices wie von Edeka oder Rewe: Aus wirtschaftlichen Gründen liefern sie in dünn besiedelte Regionen nur entlang der Bundesstraßen. Das Örtchen Spechbach fällt nicht darunter. Wer kann, fährt mit dem Auto bis zu 20 Kilometer zum nächsten Lebensmittelmarkt. Davon sind vor allem ältere Menschen ausgeschlossen.
Kühlboxen werden verteilt
Seit einem Jahr wird „Emmas App“ in Spechbach und der Nachbargemeinde Schönbrunn getestet, am Montag wurde sie offiziell freigeschaltet. Die Idee ist so einfach wie die Applikation selbst: Kunden bestellen Obst, Gemüse, Fleisch, Brot bei Einzelhändlern in ihrer Umgebung. Die Bestellungen werden gebündelt an eine zentrale „Appholstation“ geliefert – in Spechbach ist es die Metzgerei Meister, in Schönbrunn das Rathaus. Die Fahrten werden von Personen übernommen, die ohnehin regelmäßig die entsprechende Route zwischen Händler und Abholstation zurücklegen. Eine intelligente Logistiklösung also, die auf vorhandene Ressourcen zurückgreift, statt sich neu zu erfinden.
„Interessierte können sich als Emmas Boten registrieren und für eine kleine Vergütung diese ,Sowieso-Fahrten’ übernehmen“, erklärt Marko Jeftic, Chef-Entwickler von „Emmas App“ und Geschäftsführer von Ciconia Software. Das Mannheimer Start-up hat das Liefernetzwerk gemeinsam mit Forschern des Instituts für Enterprise Systems der Universität Mannheim entwickelt.
Ob Bäckerei Schieck, die Marktscheune Meckse oder Brand’s Weinladen – 21 Anbieter aus dem Rhein-Neckar-Kreis sind am Projekt beteiligt, weitere sollen folgen. Innerhalb von zehn Minuten können die Unternehmen mit ihren Produkten in „Emmas App“ online gehen. „Und wer vor 18 Uhr eine Bestellung aufgegeben hat, kann sie am nächsten Morgen bei mir in der Metzgerei abholen“, sagt Thorsten Meister. Mit einer Fahrt könnten zwei bis drei Bestellungen mitgenommen werden. „Damit wird auch das Klima unterstützt“, sagt Jeftic. Anbieter werden nach und nach mit Kühlboxen ausgestattet. „Es ist auch ein faires Ding“, sagt Jeftic. „Wir möchten das Ganze ja ausbauen, auch die Abholstationen. Die Unternehmen sollen in Zukunft sowohl ihre Produkte liefern, als auch welche empfangen.“ Peter Hauk, Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, sieht in „Emmas App“ eine große Chance. „Das Projekt wird die ländlichen Räume nicht alleine retten oder das Stadt-Land-Gefälle lösen. Aber es trägt maßgeblich dazu bei. Auch macht es Mut für andere Gemeinden, etwas Gleiches zu tun.“
Den intelligenten Marktplatz können übrigens auch Menschen ohne Handy nutzen: In den Abholstationen steht ein Bildschirm, über den Bestellungen aufgegeben werden können – zum Beispiel bei Kaffee und Kuchen. „Abgesehen davon, dass Versorgungslücken geschlossen und kleine Läden in der Region unterstützt werden – mit ,Emmas App’ entstehen auch soziale Treffpunkte“, findet Meister. Viele seiner Kunden, junge und ältere, seien sehr interessiert, keiner schrecke vor der Digitalisierung zurück. „Ich wurde immer gefragt, wann sie die App nutzen können. Jetzt ist es soweit.“
Region in der Tasche
- „Emmas App“ geht auf eine Initiative der Universität Mannheim in Kooperation mit der Stabsstelle Wirtschaftsförderung des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis zurück. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Ziel ist es, die Entwicklung bis 2021 abzuschließen. Bis dahin wird der Datenschutz optimiert.
- Käufer können ihre Ware reservieren oder bestellen und online oder bar (bei Selbstabholung) zahlen. Die Lieferkosten werden noch vom Rhein-Neckar-Kreis gedeckt. Einen Mindestbestellwert gibt es nicht.
- Interessierte Anbieter können ihren Laden unter www.emmas.app/anbieter registrieren.
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