Speyer/Mainz. Seit er Anfang der 1960er Jahre als Chefdekorateur zum Kaufhof in Speyer wechselte und dort auch seine Frau Hannelore kennenlernte, wohnt Dieter Wenger in der Dom- und Kaiserstadt. Doch zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch ist der inzwischen 80-Jährige dort bestenfalls an den Wochenenden anzutreffen. In der fünften Jahreszeit wird Wenger nämlich dringend in seiner Geburtsstadt Mainz gebraucht, wo er inzwischen eine Zweitwohnung hat. Sein eigentliches Zuhause aber ist dort die Wagenhalle des Mainzer Carnevals-Vereins (MCV) in Mainz-Mombach, wo er den Bau der Motivwagen für den Rosenmontagszug leitet.
Vom ersten Brainstorming über deren aktuelle Gestaltung jeweils im Juli bis zur Aufstellung der Wagen am Rosenmontag und deren Rückkehr in die Halle am frühen Abend hört dort alles auf das Kommando des eher kleinen Mannes. Allein elf Motivwagen und sechs sogenannte „Helau-Wagen“ für die Bonbons werfenden Träger der Narrenkappen hat er zum diesjährigen Rosenmontagszug entworfen. Rechnet man die älteren „Helau-Wagen“ auch anderer Karnevalsvereine hinzu, dürften es sogar um die 60 Wagen sein, an denen Wenger mitgewirkt hat. Angefangen hat seine längst zum Beruf gewordene Leidenschaft vor 58 Jahren. „Ein Motivwagen zur Milchpreiserhöhung war 1962 mein erstes Werk“, erzählt Wenger.
Talent vom Großvater geerbt
Zwischendurch führt er in der Halle Besuchergruppen, trifft letzte Absprachen mit dem Zugkomitee und guckt hier und da nochmal nach dem rechten. Sein Talent hat Wenger von seinem Großvater geerbt, einem Holzbildhauer, bei dem der 1940 Geborene aufwuchs, nachdem der Vater in den letzten Kriegstagen gestorben war. Opa und Enkel zogen nach Kriegsende durch die Dörfer und tauschten selbstgeschnitztes Spielzeug und Puppenköpfe gegen Eier und Kartoffeln.
„In der Schule hatte ich dann Glück: Der Bruder meiner Lehrerin hatte eine Puppenbühne, für die ich dann Kulissen malen durfte“, berichtet er weiter. Auch Willi Biondino von den Mainzer Puppenspielen ging er zur Hand, und als er mit 19 das Bühnenbild für ein Stück von Federico Garcia Llorca schuf, hatte Wenger ein Schlüsselerlebnis: Die Inszenierung des Theaterstücks wurde in einem Zeitungsartikel völlig zerrissen, doch mit dem Zusatz: „Hübsch war nur das Bühnenbild Dieter Wengers.“ Der erinnert sich: „Ich schwebte durch Mainz vor Stolz.“
Als sein Talent später den Veranstaltern des Rosenmontagszugs auffiel und er dorthin gerufen wurde, blieb Wenger der Familie zuliebe dennoch in Speyer wohnen und begann sein Doppelleben. Schließlich war er in der Mainzer Altstadt aufgewachsen und hatte dort schon als Junge den Rosenmontagszug lieben gelernt. Nun gründete er seine Firma „Inspiration“ mit heute 34 Mitarbeitern. Der Firmenname beinhaltet nach seinen Angaben bewusst auch die lateinische Bezeichnung von Speyer: spira, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Und mit dem hat er auch den berühmten Bauwagen für Peter Lustig im ZDF gefertigt oder auch einen für das Speyerer Brezelfest.
Blick fürs Detail
Als 80-jähriger Firmenchef klettert Wenger heute beim Wagenbau nur noch selten selbst auf die Leiter. „Es kommt aber schon vor, dass ich noch mal auf einer Figur die Augenlider nachziehe“, gesteht er schmunzelnd. Ansonsten fertigt er nach wie vor die Zeichnungen und überwacht auch die Fertigung jedes Details auf den Wagen.
In diesem Jahr gehören zu seinen Werken für den Mainzer Rosenmontagszug Boris Johnson, der für den Brexit die Hosen herunterlässt, während die Queen schon einen Asylantrag für das Bamf in der Hand hält, oder Malu Dreyer, die als Ärztin im weißen Kittel das Aufzuchtprogramm der SPD mit den Pandabären Saskia und Norbert leitet. Julia Klöckner wird im „Liebesnestle“ gezeigt und so ihr Lob für den Nestle-Konzern in einem Video aufs Korn genommen. Donald Trump ist als singender Kaiser Nero vor dem brennenden Weißen Haus zu sehen, Angela Merkel mit den immer kleiner werdenden Matrjoschka-Puppen „Klimaziele“ sowie Wladimir Putin, wie er per Fernbedienung Recep Tayyip Erdogan im Panzer durch Syrien steuert.
Richtig Ärger gab es aber meist nur mit der katholischen Kirche, einmal wurde sogar ein Motivwagen „Zöli-Bad“ per Molotow-Cocktail zerstört, der einen Priester mit einer prallen Blondine zusammen in der Wanne zeigt. Ans Aufhören denkt Wenger allerdings auch mit 80 Jahren noch nicht: „Das mache ich erst, wenn ich 111 bin“, sagt er.
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