Archäologie - Konstanzer Speziallabor soll elf Skelette datieren, die auf dem Speyerer Diakonissen-Campus gefunden wurden / Funde könnten 5000 Jahre alt sein

Spektakulärer Skelettfund in Speyer wird in Konstanzer Speziallabor untersucht

Von 
Agnes Polewka
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Die Archäologen stießen auf Skelette in Hockstellung, Arme und Beine angewinkelt – die Bestattungsform deutet auf eine ganz bestimmte Zeit hin. © Landesarchäologie Speyer

Speyer. Ilona Hoffmann streicht mit einer Hand über die raue Oberfläche eines Tongefäßes. Jemand hat feine Kerben in das Material geritzt und es als Deckel auf eine Urne gesetzt. Ein Mensch, der vor 2000 Jahren gelebt hat. Die Restauratorin stellt das Gefäß behutsam zurück auf einen Tisch in der Speyerer Landesarchäologie. Seit 39 Jahren säubert Hoffmann Fundstücke aus der Speyerer Erde oder setzt sie wieder zusammen. Wie Puzzleteile, die sich zu unserer Geschichte zusammenfügen und uns etwas darüber erzählen, woher wir kommen. Und ein bisschen auch darüber, wie wir zu denen wurden, die wir sind.

© Klaus Venus

Zufallsfund im Sandboden

Im Februar dieses Jahres ist das Tongefäß in Hoffmanns Werkstatt gewandert. Außerdem eine weitere Urne. Darin: die Überreste eines Menschen, der mit Grabbeigaben auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Keramik, versengte Scherben. Teilweise aber auch fast völlig unversehrte Stücke. Spuren einer frührömischen Bestattung im ersten Jahrhundert nach Christus, mutmaßen die Experten. Die Art der Bestattung zeigt, wie stark die heimische Bevölkerung romanisiert war, wie sie Bestattungsriten übernahm, fast schon überzeichnete.

Während sich Hoffmann an ihre Arbeit macht, graben die Kollegen auf dem Diakonissen-Campus weiter. Dort, wo sie auch das Gefäß bei einer Probegrabung gefunden haben - als vorbereitende Untersuchung für Baumaßnahmen. Und die Archäologen entdecken noch etwas anderes. Tiefer im sandigen Boden stoßen sie auf feine Verfärbungen. Behutsam graben sie sich 1,40 Meter tief in den Boden und finden zunächst Knochen, dann ein Skelett, schließlich ein ganzes Gräberfeld.

Besondere Bestattungsform

Insgesamt elf Skelette entdecken die Wissenschaftler auf dem Diakonissen-Campus, die Arme und Beine sind angewinkelt, die Körper in Hockstellung ausgerichtet. In der Erde befinden sich nur die Körper, keine Grabbeigaben. Schnell verdichtet sich ein Verdacht. Diese Form der Bestattung ist charakteristisch für einen ganz bestimmten Zeitraum. „Alles deutet darauf hin, dass das Gräberfeld aus dem Ende der Jungsteinzeit stammt“, sagt Archäologe David Hissnauer von der Generaldirektion Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz.

Hissnauer spricht vom 3. Jahrtausend vor Christus. Die Skelette könnten rund 5000 Jahre alt sein - und damit zu den ältesten Fundstücken Speyers gehören.

Vier Monate dauern die Ausgrabungen auf dem Campus des Diakonissen-Krankenhauses. Nun lagern die elf Skelette in der Werkstatt der Landesarchäologie in Speyer. In zwei Wochen treten sie ihre Reise in ein Speziallabor nach Konstanz zur anthropologischen Untersuchung an. „Danach können wir genauer sagen, aus welcher Zeit die Skelette stammen“, sagt Archäologe Hissnauer. Sollte sich die Vermutung der Speyerer Archäologen bestätigen, dann bedeutet das, dass bereits 2800 bis 2200 Jahre vor den Römern Menschen auf dem Hochufer in der Nähe zum Rhein gelebt haben.

Die Wissenschaftler im Speziallabor werden dabei auch die Körpergröße, Erkrankungen und Ernährungsgewohnheiten rekonstruieren - und das Geschlecht. „Die Skelette waren teils nach rechts und teils nach links ausgerichtet, das könnte bereits ein Hinweis gewesen sein, aber nach der Untersuchung wissen wir mehr“, sagt Hissnauer. Es ist ein besonderer Fund für ihn und die Kollegen der Speyerer Landesarchäologie. Weil er besonders alt ist, ein weitzurückreichendes Detail unserer langen Menschheitsgeschichte. David Hissnauer und Ilona Hoffmann kümmern sich um Relikte menschlichen Lebens. Im übertragenen und im eigentlichen Sinn. Hoffmann lehnt im Türrahmen. Ihr Blick bleibt am Leichenbrand hängen, dem Inhalt der frührömischen Urne. „Manchmal denke ich mir: Vielleicht hätte man die Person in der Erde belassen sollen.“ Anstatt die Überreste ihres Lebens in einem Archivkarton zu verstauen. Denn die Archäologie folgt einem ganz bestimmten Prinzip: Wenn möglich, soll alles in der Erde konserviert bleiben.

„Ausgrabungen sind dann nötig, wenn sich die Fundstücke sonst nicht erhalten ließen“, sagt Hissnauer. Ihm ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den Funden wichtig. Immer wieder gäbe es Momente, die besonders sind. „In denen man spürt, dass es um vergangenes Leben geht, auch wenn man mit der Zeit natürlich abstumpft“, sagt Restauratorin Hoffmann. Momente, in denen auf einer Keramikschale ein Fingerabdruck aufblitzt, der sich vor dem Trocknen in das Material eingebrannt hat. Oder feine Kerben, die jemand in den Deckel einer Urne geritzt hat, um sich von einem anderen Menschen zu verabschieden.

Redaktion

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