Rhein-Neckar/Worms. Die Tiefstände des Rheins fördern in diesen Tagen so manches zutage, was die Fluten normalerweise bedecken. Regelrecht zum "Pilgerort" entwickelt sich in Worms bei Niedrigwasser der sogenannte Hungerstein in der Nähe des Stadtteils Rheindürkheim. Der gebrochene Quader liegt normalerweise tief im Fluss in der Nähe der Fahrrinne. Jetzt ist der Brocken problemlos zu Fuß erreichbar. Hungerstein heißt er deshalb, weil Anwohner die Jahreszahlen hineingemeißelt haben, in denen der Stein sichtbar wurde. Diese regenarmen Jahre waren geprägt von Missernten, weshalb die Menschen Hunger litten.
Rheinschiffer erinnern sich
Helmut Schwahl, früherer Stadtbrandinspektor der Stadt Worms, erinnert sich. Der heute 82-jährige Mann wohnte direkt am Rheinufer. Als 13-jähriger stiefelte er im extrem regenarmen Nachkriegsjahr 1947 mit Freunden auf den Steinen am Rheinufer herum. Dabei entdeckten die Jugendlichen jede Menge Handgranaten, die unter Wasser gelegen hatten und nun sichtbar wurden. Nur nebenbei stießen sie auch auf den Stein, in den ein Unbekannter "ANO 1857" gemeißelt hatte. Die Jungs holten die alten Rheinschiffer, des Dorfes zu Hilfe.
Nachdem die Munition gesichert und beseitigt war, erinnerte sich der ehemalige Schiffer Adam Helmerich, ein knapp 90 Jahre alter Mann, dass an dieser Stelle ein alter Lastkran gestanden hatte. Der Stein stammte möglicherweise von dessen Fundament. Helmerich berichtete den Jugendlichen, dass auch das Jahr 1857 ein Hungerjahr mit extrem wenig Regen und Missernten gewesen sei. Er forderte den jungen Helmut Schwahl und dessen Freund Gerhard Butty auf, auch das Hungerjahr 1947 auf dem Stein zu verewigen. "Es hatte den ganzen Sommer nicht geregnet. Das Geld war nix wert, die Bauern hatten keine Berieselung auf den Feldern, und die Kartoffeln waren so groß wie Walnüsse", erinnert sich Schwahl im Gespräch mit dieser Zeitung.
Schwahls Großvater war Schmied und stellte die Meißel zur Verfügung. Gerhard Butty ergänzte die Inschrift "Hungerjahr 1947" auf dem Stein. Im Winter verschwanden die Inschriften wieder unter der Wasseroberfläche. "Damals hat er aber nicht so freigelegen wie heute. Da war das Wasser nicht so niedrig", berichtet Schwahl.
Der Stein kam in den Jahren 1958 und 1963 wieder zum Vorschein, was ebenfalls verewigt wurde. Damit war der Stein vollgeschrieben. Deshalb hat ein Zeitgenosse den Rekord-Tiefstand von 2003 auf einem weiteren Stein daneben verewigt. Ein paar Meter weiter hat jemand ebenfalls 2003 die Namen Chris und Andreas in Stein gemeißelt. Jüngste im Bunde der drei Namenssteine ist "Paula 2015".
Überraschende Funde sind in diesem Jahr bislang ausgeblieben, meldet die Wasserschutzpolizei auf Nachfrage. "Ein bisschen Munition gab's, aber alles Kleinigkeiten", berichtet ein Mitarbeiter der Wasserschutzpolizei Gernsheim, die für den Rhein nördlich von Mannheim zuständig ist. Die größeren Funde seien alle schon beim Rekord-Niedrigwasser 2003 gehoben worden, darunter auch Panzerfäuste und jede Menge Gewehre aus Weltkriegszeiten. Fundorte seien meist die damals umkämpften Rheinübergänge. Munition und Gewehre lägen meist in Wurfweite vom Ufer entfernt.
Auto mit Leiche entdeckt
Einen sehr viel grausigeren Fund machte ein paar Kilometer rheinabwärts im Jahr 2003 der damalige Bezirksbeamte der Polizei. 150 Meter nördlich der Rheinfähre zwischen Gernsheim und Eich kam im Niedrigwasser plötzlich ein Auto zum Vorschein. Der Polizist konnte im frühen Morgenlicht erkennen, dass sogar noch ein Mensch am Steuer saß. Tatsächlich handelte es sich um einen Mann, der seit über drei Jahren als vermisst gegolten hatte. Wie die Ermittlungen ergaben, war der Mann betrunken in der Nacht mit seinem Auto über die Rampe der Fähre direkt in den Rhein gefahren und ertrunken. Der Fluss hatte das Auto 150 Meter weiter transportiert und erst wieder beim Niedrigwasser drei Jahre später freigegeben. Die Bergung entpuppte sich als schwierig. Der Rhein hatte jede Menge Sand hineingespült, sodass das Auto mehr als 7,5 Tonnen wog.
Kampfmittel im Rhein
Der Kampfmittelräumdienst Rheinland-Pfalz mahnt Spaziergänger am Rheinufer beim aktuellen Nierigwasser vor gefährlichen Funden.
"Es ist nicht so, dass schon alle Kampfmittel entdeckt worden wären", sagt der Technische Leiter des Kampfmittelräumdienstes Rheinland-Pfalz, Horst Lenz.
Selbst schwerere Granaten oder Bomben würden durch den Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser immer weiter bewegt.
Wer Gegenstände findet, bei denen es sich möglicherweise um Kriegswaffen handelt, sollte sie liegen lassen und sofort die Polizei informieren. bjz
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