Am kommenden Sonntag erhält die ZDF-Fernsehjournalistin Katrin Eigendorf den Courage-Orden des Heimat- und Carneval-Vereins (HCV) Bürstadt für ihre Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten. Im Interview mit dieser Redaktion erläutert sie, wie sie mit dem Risiko umgeht, aus Kriegsgebieten zu berichten
Frau Eigendorf, Sie bekommen am Sonntag den Bürstädter Courage-Orden. Wie couragiert sind Sie?
Katrin Eigendorf: Das kommt auf die Situation an. Wenn es darum geht, für meine Überzeugung einzustehen, dann bin ich sehr couragiert. Was den Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten angeht, bin ich eher ein vorsichtiger Mensch, ich wäge Risiken und Gefahren sehr bewusst ab. Aber ich gehe sie auch ein, wenn es notwendig ist. Bestimmte Geschichten in Kriegsgebieten lassen sich nicht vom sicheren Schreibtisch aus machen. Da muss man manchmal auch dorthin, wo es gefährlich ist.
Sie sind überall dort auf der Welt, wo es lichterloh brennt, in Afghanistan, der Ukraine, in Gaza. Warum tun Sie sich das an?
Eigendorf: Das hat in jeder Situation andere Gründe. Im Fall von Afghanistan fand ich es wichtig, klar zu machen, wie groß die Gefahr eines Umsturzes durch die Taliban ist und wie naiv die westliche Welt dachte, dass der Abzug ohne einen Preis dafür möglich sei. Bei der Ukraine fand ich es extrem wichtig, zu zeigen, was für eine Art von Krieg das ist, nämlich ein Angriffskrieg Russlands. Mit Israel verbindet mich eine langjährige Erfahrung. Es ist nicht so, dass ich vom ZDF dahin geschickt werde, weil ich die Fachfrau dafür bin, wenn’s lichterloh brennt. In der Regel sind das Länder, in denen ich mich gut auskenne. Das motiviert mich, genau hinzuschauen. Wir alle sind mit einer ungeheuren Fülle von Informationen konfrontiert, durch Social Media, aber auch durch Propaganda und Desinformation. Insofern ist es wichtig, dass es Journalisten gibt, die die Wahrheit berichten. Das ist es, was mich antreibt: In jeder Situation die Wahrheit zu berichten.
In der Begründung des HCV heißt es: “Mutig und couragiert begibt sich Katrin Eigendorf in Krisen und Kriegsgebiete und geht dabei ein großes persönliches Risiko ein“. Wie groß ist ihr persönliches Risiko?
Eigendorf: Das ist schon groß. Unser ZDF-Team ist am 30. Dezember in einem Hotel in Charkiw von einer Rakete getroffen worden. Eine unserer Mitarbeiterinnen wurde dabei schwer verletzt. Wir befinden uns als Reporter in einem Kriegsgebiet. Gerade in einem Krieg, in dem der Angreifer darauf zielt, die Zivilbevölkerung anzugreifen, ist es auch für Journalisten besonders gefährlich. Aber man kann nicht über den Krieg aus einem Hotelzimmer berichten. Wir erleben eine Welt, in der es immer mehr Kriege gibt. Da muss es auch Reporter geben, die das Risiko eingehen. Aber: Es ist auch immer eine Gefahr für unser Leben.
Es gab schon Situationen, in denen ich mich gefragt habe: Wie kommst du hier wieder raus? Interessanterweise war die gefährlichste Situation, die ich erlebt habe, nicht in einem Kriegsgebiet
Was tun Sie für Ihren persönlichen Schutz in Kriegsgebieten?
Eigendorf: Wir analysieren sehr genau die Situation vor Ort. Dafür haben wir auch Sicherheitsberater. Bei der Vorbereitung auf einen Einsatz in einem Kriegsgebiet ist Information alles. Wir müssen wissen: Mit welchen Waffensystemen haben wir es zu tun? Wie schaffen wir es zum nächsten Schutzbunker? Das haben wir immer wieder in Charkiw erlebt. Im Osten der Ukraine bleibt vom Alarm bis zum Schutzbunker kaum Zeit. Alle in unserem Team beim ZDF haben außerdem eine Grundausbildung für den Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten gemacht. Das umfasst auch eine spezielle Art der Ersten Hilfe. In manchen Fällen, etwa in der Ukraine, haben wir auch Sicherheitsberater dabei. Die Ukraine ist ein herausragend gefährliches Kriegsgebiet.
Können Sie wählen und umgekehrt: Können Sie auch nein sagen zu einem Auftrag?
Eigendorf: Im ZDF wird kein Mitarbeiter dazu gezwungen, einen Einsatz in einem Kriegsgebiet zu leisten. Das muss der Reporter wollen. Die Chefredaktion entscheidet immer mit, in welches Kriegsgebiet die Reporter gehen und was sie dort machen. Und da gibt es durchaus Konflikte, was die Chefredaktion für zu gefährlich hält und was wir Reporter für machbar halten. Aber: Kein Einsatz passiert gegen den Willen des Reporters.
Hatten Sie jemals Todesangst in Ihrem Job? Was war Ihr gefährlichster Einsatz?
Eigendorf: Es gab schon Situationen, in denen ich mich gefragt habe: Wie kommst du hier wieder raus? Interessanterweise war die gefährlichste Situation, die ich erlebt habe, nicht in einem Kriegsgebiet, sondern mit niederländischen Fußball-Hooligans. Ich habe mit ihnen ein Interview geführt. Irgendwann ist die Stimmung gekippt. Dann sind die mit Messern auf mich und mein Team losgegangen. Die standen komplett unter Drogen.
Sie kamen einigermaßen unbeschadet davon?
Eigendorf: Glücklicherweise hab’ ich einfach die Ruhe bewahrt und versucht, weiter mit ihnen zu reden. Das hat die Situation dann deeskaliert. Ich hatte solche Situationen auch schon 2015 mit russischen Soldaten in der Ostukraine, die auch unter Drogen standen.
Sie waren überall dort, wo die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht gerade das Top-Thema ist. Nehmen die Männer sie als Reporterin überhaupt ernst? Wie schwer ist es, sich als Frau in dieser Umgebung durchzusetzen?
Eigendorf: Es ist für Journalistinnen in der Regel nicht schwierig, das ist meine Erfahrung. Eine Ausnahme gab es in Ägypten während der Revolution. Es war für Frauen extrem gefährlich, sich auf der Straße zu bewegen. Da hat es Fälle gegeben, wo Reporterinnen auf dem Tahrir-Platz umzingelt wurden. Einer Kollegin eines amerikanischen Senders wurden die Kleider vom Leib gerissen. Und es gab auch Vergewaltigungen. Auf diesen Platz bin ich auf Anraten meines Producers nicht gegangen. In Afghanistan werden wir Reporterinnen dagegen etwa von konservativen Kräften vor allem in unserer Funktion wahrgenommen. Die Unterdrückung zielt auf die eigenen Frauen ab, weniger auf fremde Frauen. Ähnlich war das auch mit ukrainischen Separatisten und russischen Soldaten. Manchmal kann man da als Frau sogar ein bisschen deeskalierend wirken.
Katrin Eigendorf
- Die Journalistin arbeitet seit den 1990er Jahren als Auslandskorrespondentin.
- Seit 1999 arbeitet sie als außenpolitische Reporterin für das ZDF und berichtete unter anderem aus Georgien, Israel, Ägypten, der Türkei, Afghanistan, dem Irak und dem Libanon.
- Sie wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis, dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.
Sie sehen das geballte Leid dieser Welt vor sich: Tod und Zerstörung, Trauer, Wut. Was macht das mit Ihnen als Mensch? Wie lange bleibt das in den Klamotten hängen?
Eigendorf: Was wir als schrecklich erleben, dringt ja längst immer näher an uns heran. Dagegen können wir alle uns nicht mehr abschirmen. Das schöne sichere Deutschland gibt es nicht mehr. Auch hier müssen Reporter inzwischen zu manchen Demonstrationen mit Personenschützern gehen. Das Ausmaß an Gewalt, mit der wir’s zu tun bekommen, sehe ich auch bei uns wachsen. Aber natürlich ist es eine besondere Situation, wenn ich in einem Kriegsgebiet Menschen erlebe, die Angehörige verlieren oder schwer verletzt werden. Man muss als Reporter auch den Schmerz ein Stück an sich heranlassen. Mein Ziel ist es ja, die Geschichten dieser Menschen zu erzählen. Wenn man keine Empathie empfindet, kann man das nicht. Den Schmerz muss man zulassen. Der gehört einfach dazu.
Was sagt Ihre Familie dazu, dass Sie ein ums andere Mal ins Kriegsgebiet ziehen? Finden die das gut?
Eigendorf: Meine Tochter fand das lange Zeit nicht gut. Erst als sie erwachsen wurde, hat sie angefangen, das zu verstehen. Mein Mann ist selbst Journalist. Wir waren schon zusammen in Ausnahmesituationen, etwa in den 1990er Jahren in Russland und 2014 in der Ukraine. Er weiß, wie ich arbeite, und unterstützt mich sehr.
Sie haben renommierte Auszeichnungen wie den Grimme-Preis und den Hanns-Joachim Friedrichs-Preis erhalten. Wie ordnen Sie da den Courage-Orden ein, die Auszeichnung eines kleinen Karnevalsvereins aus Südhessen?
Eigendorf: Für mich ist jeder Preis ein anerkennendes Zeichen dafür, dass die Themen, für die ich stehe, im Bewusstsein der Öffentlichkeit eine große Rolle spielen. Das ist eine tolle Anerkennung. Und sie gibt Rückenwind. Ich nehme den Preis stellvertretend an für mein Team, aber auch für meine Kolleginnen und Kollegen. Auch der Preis eines kleineren Vereins ist eine Form der Anerkennung, über die ich mich sehr freue.
Sie sind am 21. Januar in Bürstadt zur Preisverleihung. Wo geht’s danach beruflich hin?
Eigendorf: Am 30. Januar geht’s wieder in die Ukraine. Ich werde bis zum 24. Februar, dem Jahrestag des Kriegsbeginns, dort bleiben. Wir sind aber noch in der Planung, weil sich die Sicherheitslage extrem verschlechtert hat. Wir erleben gerade die schlimmste Phase dieses Krieges. Deshalb müssen wir zeitnah planen, was wir machen können. Aber natürlich steht auf meiner Wunschliste auch ein Interview mit Wolodymyr Selenskyj.
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