Dominique Stites hat nicht aufgegeben. Seit dem Tod ihres Sohnes kämpfte die Mutter um Gerechtigkeit. Am 20. Juli 2019 starb Damon Stites bei einem tragischen Autounfall auf der B44 zwischen Lampertheim und Mannheim-Sandhofen.
Am Donnerstag hat die Jugendkammer des Landauer Landgerichts den Unfallfahrer Arif A. zu einer vierjährigen Jugendstrafe verurteilt – wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge, Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung. Außerdem hat die Kammer dem 23-Jährigen die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und der Führerscheinbehörde für die Dauer von fünf Jahren untersagt, eine neue Fahrerlaubnis auszustellen. Fünf Monate der Jugendstrafe gelten wegen der langen Verfahrensdauer als bereits verbüßt.
Mit knapp 180 Stundenkilometern – so die Berechnungen eines Sachverständigen – kam der hochmotorisierte BMW des Angeklagten am 20. Juli 2019 von der regennassen Fahrbahn in Fahrtrichtung Mannheim ab. Er geriet ins Schlingern und prallte dann gegen einen Baum, der durch den Aufprall aus der Erde gerissen wurde. Der hintere Teil des Wagens wurde dabei so stark zusammengedrückt, dass zwei Insassen auf der Rückbank keine Überlebenschance hatten. Damon wurde gerade einmal 19, sein Kumpel 18 Jahre alt. Der Bruder seines Freundes, der ebenfalls im hinteren Teil des Wagens saß, wurde so schwer am Kopf und an der Wirbelsäule verletzt, dass er sich wahrscheinlich nie von dem Unfall erholen wird.
„Ein Verfahren, das herausragt“
„Dieses Verfahren ist eines, das aus vielen herausragt“, sagte der Vorsitzende Richter Markus Sturm am Donnerstag. Vor allem wegen des vielen Leids, das „durch die Tat an sich, und das Verfahren selbst“ entstanden sei. In der Urteilsbegründung fand der Landauer Richter klare Worte für das Versagen der Frankenthaler Justiz in diesem Fall. „Ich will keine Kollegenschelte betreiben“, sagte Sturm. Und doch könne er nicht unerwähnt lassen, was in diesem Fall schief gelaufen sei: Zunächst wurde der Angeklagte Arif A. von einem Richter am Amtsgericht in Frankenthal per Strafbefehl – in einem verkürzten Verfahren ohne Hauptverhandlung – zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Amtsrichter folgte damit einem Antrag der Frankenthaler Staatsanwaltschaft. Außerdem musste der Unfallfahrer 2000 Euro für soziale Zwecke zahlen und seinen Führerschein für ein Jahr abgegeben.
Aber: „Der Strafbefehl war ,contra legem’ (lat. gegen das Gesetz) erlassen worden“, sagte Sturm. Kein Heranwachsender – und dazu zählte Arif A., weil er zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war – darf über einen Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Sturm widersprach auch der Verteidigung, die in ihrem Plädoyer von einem „Eintragungsfehler“ gesprochen hatte.
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Der Strafbefehl habe dazu geführt, dass das Verfahren „einfach so“, ohne die Beteiligung der Nebenkläger beendet worden sei. Dominique Stites’ Anwalt, Frank K. Peter aus Worms, hat in seinem Plädoyer am Dienstag beschrieben, wie er vergeblich versucht hatte, das Verfahren zu stoppen und dabei erfahren hatte, dass das Urteil bereits rechtskräftig sei.
Dominique Stites konnte das damals kaum glauben. „Es kann doch nicht sein, dass man zwei Menschenleben auslöscht und es kaum eine Strafe dafür gibt“, sagte sie Mitte November in einem Gespräch mit dieser Redaktion. Sie trug Videos zusammen, die dokumentierten, dass der Unfallfahrer Arif A. bereits in den Monaten vor dem Unfall durch Raserfahrten aufgefallen war – und erwirkte mit ihrem Anwalt schließlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens.
Wichtige Verhandlung
Auch die früheren Raserfahrten von Arif A. sollten juristisch geahndet werden – in einem anderen Verfahren. „Man hat dann versucht, dieses Parallelverfahren auch nach Landau abzugeben“, berichtete Sturm. Das Landauer Gericht hatte die Aufarbeitung des Raserunfalls übernommen, da der Fall in Frankenthal bereits mit einem Urteil geendet war. Doch das lehnte das Gericht in der Südpfalz ab, woraufhin das Verfahren nach Paragraf 154 der Strafprozessordnung eingestellt wurde. Demnach kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn die Strafe dafür angesichts einer zu erwartenden Strafe für eine andere Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt.
Für die Nebenkläger war die Entscheidung kaum nachzuvollziehen. „Ich kann dem Eindruck, der bei der Nebenklage entstanden ist, nichts entgegensetzen“, sagte Sturm. Und so betonte der Vorsitzende Richter die rechtsstiftende Funktion des neuen Prozesses, der Ende November in Landau seinen Anfang genommen hatte. Vor allem für die Angehörigen sei die Hauptverhandlung wichtig gewesen, so Sturm. Dominique Stites harrte Prozesstag um Prozesstag aus, berichtete selbst vor Gericht von dem Tag, der das Leben ihrer Familie für immer veränderte. Und sie war dabei, als andere Autofahrer vor Gericht ihre Beobachtungen schilderten, die hohe Geschwindigkeit, mit der A. an diesem Tag unterwegs gewesen sein soll, während eines schweren Unwetters. Auch als die Videos vergangener Raserfahrten gezeigt wurden, die sie selbst als Beweise gesammelt hatte, saß sie im Gerichtssaal.
„Für Raserei hat die Kammer wenig Verständnis“, sagte Sturm. Sein Blick ruhte auf dem Angeklagten. „Herr A. hat eine gewisse Tatreue gezeigt, sie hätte aber durchaus größer ausfallen können“, sagte der Vorsitzende Richter Markus Sturm, der ganz zum Schluss das Wort an Dominique Stites richtete – und ihr Respekt zollte. Dafür, dass sie nicht aufgegeben hat.
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