Rhein-Neckar. Rolf Henner kann sich gut an den Moment erinnern, in dem er zum ersten Mal vom Polizistenmord in Kusel hörte. „Ich war gerade auf dem Weg ins Elsass – zum Jagen“, sagt er. Henner ist Kreisjagdmeister für die Südwestpfalz – und Kriminalbeamter. Was passiert ist, hat ihn ungläubig zurückgelassen, ihn erschüttert – die Brutalität des Mordes und das Ausmaß der Wilderei, hinter dem ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell gesteckt haben soll. Ein Einzelfall? „Ja“, sagt Henner. „Wildereidelikte sind bei uns in der Region im Promillebereich angesiedelt.“
Deutschlandweit registrierte das Bundeskriminalamt 2020 1080 Fälle von Jagdwilderei. Dabei ist der Begriff weit gefasst. „Wenn Sie einen Hasen anfahren und den mitnehmen, dann fällt das unter Wilderei. Auch wenn Sie die Abwurfstange eines Rehbocks finden und diese in Ihrem Kofferraum gefunden wird“, sagt Moritz Krellmann, Kreisjagdberater für den Odenwaldkreis. Deshalb seien die Zahlen nicht wirklich repräsentativ. „Wir sprechen hier aber über eine Zahl, die verschwindend gering ist. Im Odenwald ist Wilderei eigentlich kein Thema“, sagt Krellmann, der als Vorsitzender der dortigen Kreisjägervereinigung auch 550 Jäger im Odenwald vertritt.
Wachsame Revierinhaber
Ähnlich sehen das Krellmanns Pfälzer Kollegen. „In unseren Revieren ist das eigentlich auszuschließen“, sagt Henner. Dort gebe es weniger Wild als auf den Flächen, auf denen der mutmaßliche Mörder der beiden Beamten illegal gejagt haben soll. Unweit der Stelle, an dem der Polizist und seine Kollegin erschossen wurden, befindet sich der Truppenübungsplatz Baumholder. „Das ist ein weitläufiges Areal, auf dem eine große Zahl an Dam-, Rot und Schwarzwild lebt“, weiß Henner.
Auf einem Truppenübungsplatz ist es außerdem nicht ungewöhnlich, wenn Schüsse fallen. „Auf so einem Gelände mag sich ein Wilderer unbeobachtet fühlen. Innerhalb unserer Reviersysteme wäre das kaum möglich“, sagt Karl Mang, Kreisjagdmeister für Bad Dürkheim und Neustadt an der Weinstraße. Die Revierinhaber verständigen sich untereinander, sind wachsam. „Es gibt sicherlich Bewegungen, hinter denen vielleicht Wilderer stecken könnten“, sagt Mang. Zum Beispiel ein Auto, das nachts auf Feldwegen in Waldnähe unterwegs ist. Oder ein Schuss, der aus der Ferne widerhallt. „Man weiß es aber nie ganz genau, dafür müsste man die Menschen eigentlich auf frischer Tat ertappen.“ Das sei aber schwierig. Und mitunter auch riskant, wie die Polizistenmorde von Kusel zeigen. „Aber auch diese Bewegungen – das sind alles nur Einzelfälle“, sagt Mang. Und ein Phänomen, das seit Jahren auftritt. „Das Problem von vereinzelten Schüssen, die sich nicht zuordnen lassen, besteht schon lange“, sagt Michael Kus, Hegeringleiter für das Gebiet Ludwigshafen-Nord, zu dem auch der Maudacher Bruch und der Schifferstadter Wald zählen.
Die Sprecherin des Rhein-Neckar-Kreises, Silke Hartmann, berichtet von zwei Fällen von Wilderei, die im vergangenen Jahr bei der Polizei angezeigt wurden – in Schönbrunn und in Hockenheim. „Es handelte sich jeweils um einen Einzelfund, so dass nicht von Wilderei im größeren Ausmaß ausgegangen wird“, so Hartmann. Ende des vergangenen Jahres meldete sich zudem ein Schriesheimer Jagdpächter bei der Polizei, weil er zwei tote Rehkitze in seinem Revier vorgefunden hatte – die Köpfe und Schulterblätter waren laut Polizei „fachgerecht abgetrennt“.
Imageschaden für Jäger?
Wer illegal jagt, muss mit einer Geldstrafe bis zu 1500 Euro rechnen, in bestimmten Fällen drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren, beispielsweise, wenn es sich laut Gesetzestext um „gewerbsmäßige oder gewohnheitsmäßige Taten“ handelt, um Wilderei in der Nacht- oder Schonzeit oder wenn Schlingen zum Einsatz kommen. „Die Morde in Kusel machen mich bis heute sprachlos“, sagt der Odenwälder Krellmann. Neben dem Entsetzen habe sich ihm schnell auch ein Gedanke aufgedrängt: „Hoffentlich war das kein Jäger.“ Nach kurzer Zeit kursierten schnell Nachrichten darüber, dass der mutmaßliche Täter seinen Jagdschein 2020 verloren haben soll. „Das hat mich beruhigt und darin bestärkt, dass unser System funktioniert“, sagt der Kreisjagdberater für den Odenwaldkreis.
Wer einen Jagdschein machen möchte, muss hohe Hürden nehmen. Mindestens sechs Monate dauert die Ausbildung, die klassischerweise an Jagdschulen oder bei Kreisgruppen der Landesjagdverbände absolviert wird. Am Ende der Ausbildung steht eine dreiteilige Prüfung. Diese besteht aus einer Schießprüfung, einem schriftlichen und einem mündlichen Prüfungsteil, in dem etwa Grundlagen der Biologie, Waffenkunde und im Umweltrecht abgefragt werden. „Unsere Ausbildung dauert ein Jahr“, sagt Krellmann. Dazu gehörten viele Präsenztermine und Exkursionen, auch am Wochenende. „Ich denke, das ist auch gut so, weil wir diejenigen anziehen möchten, die es wirklich ernst meinen. Tatsächlich tut das dem Andrang keinen Abbruch – die Jagdschulen sind voll, wir sind auf zwei Jahre ausgebucht“, sagt er.
Und so hoffen die Jäger, dass ihr Brauchtum keinen Imageschaden nimmt. „Man muss ganz klar sagen: Der Mann war ein illegaler Waffenträger“, sagt Krellmann. Ein „illegaler Waffenträger“, der auf brutalste Weise zwei Menschen getötet hat. „Was dieser Mann getan hat, hat mit Jägerei nichts zu tun. Aber das wird glücklicherweise auch sehr gut getrennt“, sagt Henner, der Kreisjagdmeister – und Kriminalbeamte.
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