Weinheim. Fast zwei Jahre liegt der tragische Fahrradunfall zurück, der das Leben einer ganzen Familie auf dramatische Weise verändert hat: In der Nacht auf den 12. März 2013 stürzte ein damals 37-jähriger Weinheimer im Ortsteil Lützelsachsen über eine auf die Fahrbahn gelegte Europalette. Beim Sturz zog er sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu und lag vier Wochen lang im Koma. Seit gestern muss sich nun ein heute 20-jähriger Mann wegen dieser Tat in einem Indizienprozess vor dem Amtsgericht Weinheim verantworten. Unmittelbare Tatzeugen oder handfeste Beweise gibt es nämlich nicht.
Keine leichte Aufgabe für Jugendrichterin Claudia Zimmer-Odenwälder, die daher auch damit rechnet, dass dieses Verfahren auf jeden Fall in die nächste Instanz gehen wird. Der tragische Unfall hatte damals in der Region großes Aufsehen erregt, was auch daran lag, dass sich Angehörige des Opfers mit Flugblättern und Aufrufen in den sozialen Netzwerken an der Suche nach dem Täter beteiligt hatten. Dem Angeklagten wirft Oberstaatsanwältin Christina Arnold vor, er habe vorsätzlich einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vorgenommen und sich damit auch der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht. Zu seinen Gunsten geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass der damals 18-Jährige niemanden gezielt habe schädigen wollen. Vielmehr habe es sich wohl um einen missglückten "Scherz" gehandelt - mit fatalen Folgen.
Keine Erinnerung
Eindrucksvoll schilderte das Unfallopfer vor Gericht, wie sein Leben durch den Unfall aus den Fugen geraten ist. Monatelang lag er im Krankenhaus, dann folgten lange Reha-Aufenthalte. Bis November 2013 saß er im Rollstuhl. "Ich habe bis heute Sprach- und Orientierungsprobleme. Ich muss alles wieder lernen. Mein altes Leben ist weg", berichtete er gestern vor Gericht. Er sei oft sehr traurig, fügte der frühere Produktmanager leise hinzu. An den Unfall vom März 2013 kann er sich überhaupt nicht erinnern. Schlimmer noch: Seine Vergangenheit vor dem Jahr 2007 sei in seinem Gedächtnis ausgelöscht. Damals heiratete der Weinheimer seine Frau; zumindest daran kann er sich erinnern.
Für den Angeklagten hat sich das Leben dagegen seit dem Unfall positiv entwickelt. Für den sportbegeisterten jungen Mann beginnt demnächst das vierte Semester seines Studiums. In der gestrigen Verhandlung wirkte er hochkonzentriert. Zwischendurch wies er seinen Verteidiger immer wieder auf Details in den Vernehmungsprotokollen hin. Lediglich bei der Aussage des Opfers wirkte er sehr angespannt, sein Blick war nach unten gerichtet.
Ansonsten verweigerte er die Aussage, was sein gutes Recht ist. Über seinen Verteidiger Martin Dittert erklärte er lediglich seine Anteilnahme für das Schicksal des verunglückten Radfahrers. Dafür sagte ein 19-jähriger Zeuge aus, dass er gemeinsam mit dem Angeklagten an jenem Abend auf dem Weg zu einer Party (kurz nach 23 Uhr) am Unfallort in der Schlossgasse eine Palette auf die Straße gestellt habe, im Lichtkegel der Laterne. Das sollte ein Scherz sein, quasi eine spontane Straßensperrung. Die erste Palette wurde zum Glück von einem Nachbarn entdeckt und wieder entfernt, bevor etwas passieren konnte.
Auf dem Rückweg von der Party (vermutlich kurz nach 2 Uhr), so der Zeuge weiter, sei man zwar wieder ein Stück gemeinsam gelaufen, habe sich dann aber an der Ecke Sommergasse getrennt. Dafür gibt es Zeugen. Ob der Angeklagte dann in der Schlossgasse erneut eine Palette auf die Straße gelegt habe, wisse er jedoch nicht, sagte der 19-Jährige vor Gericht.
Zweifel an Erklärung
Der Leiter der Ermittlungsgruppe der Polizei brachte gestern auf den Punkt, was viele der Zuhörer im Gerichtssaal dachten: "Wie wahrscheinlich ist es, dass zwei verschiedene Leute unabhängig voneinander in derselben Nacht an derselben Stelle dieselbe Idee haben und eine Palette auf die Straße legen?"
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