Heidelberg. Norbert Becker ist einer der renommiertesten Experten in der Stechmückenforschung und -bekämpfung. Seine Expertise ist nicht nur hierzulande gefragt. In seiner Laufbahn hat der Biologe die halbe Welt bereist und war beispielsweise jahrelang als Berater bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) tätig. Ans Aufhören denkt der 76-Jährige noch lange nicht. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit Mitstreiter Matteo Theilacker an einer neuen biologischen „Waffe“ gegen die Tigermücke: Er züchtet winzige, einäugige Ruderfußkrebse, auch Copepoden, Cyclops oder Hüpferlinge genannt.
Mittwochvormittag im Heidelberger Stadtteil Wieblingen. Die Tür zu den ehemaligen Verkaufsräumen einer Bäckerei steht offen. Direkt neben der Tür befindet sich eine sonderbare Apparatur, auf einem Tisch steht ein Mikroskop. Dahinter ein Regal mit mehreren Aquarien und unzählige runde, wassergefüllte Kunststoffbehälter. Dazwischen wuselt Norbert Becker umher. Hier züchtet der Biologe gemeinsam mit Firmenpartner Matteo Theilacker seine neue „Waffe“ gegen die Tigermücke – die Hüpferlinge.
Die Tierchen verspeisen mit Wonne die Larven der Tigermücke und könnten so einen großen Beitrag leisten, deren Verbreitung zumindest einzudämmen. Ganz verschwinden werden die Mücken aber nicht mehr, ist sich Becker sicher. „In nicht allzu ferner Zukunft werden auch Sie über Dengue-Fieber und das Chikungunya-Virus schreiben“, prophezeit er dem Autor dieses Artikels. Denn es sind unter anderem diese Viren, die von den Tigermücken übertragen werden können.
Norbert Becker: „Eigentlich bin ich ja Rentner“
Seine beruflichen Tätigkeiten aufzuzählen, würde hier mehr als nur den Rahmen sprengen. Norbert Becker studierte Biologie, Physik und Chemie in Heidelberg und promovierte 1984 in Biologie. 2007 habilitierte er an der Universität Heidelberg. In der Region ist er besonders wegen seiner Rolle als Wissenschaftlicher Direktor der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Stechmückenplage (KABS) bekannt, die er bis 2020 bekleidete.
Und heute? „Eigentlich bin ich ja Rentner“, sagt Becker und lacht. Doch im (Un-)Ruhestand ist Becker aktiver als so mancher im regulären Berufsleben. Denn heute ist der 76-Jährige noch immer unter anderem Wissenschaftlicher Direktor der Firma Icybac, einer unabhängigen Unternehmenstochter der KABS. Obendrein ist er außerplanmäßiger Professor am Center for Organismal Studies (COS, früher Zoologisches Institut) für medizinische Entomologie und Ökologie an der Uni Heidelberg und gehört der nationalen Expertengruppe der Stechmückenforscher an. Und diese Liste ließe sich noch weiterführen.
Aufhören will er noch lange nicht. „Nicht, solange ich körperlich und vor allem geistig noch fit genug bin“, bekräftigt der Biologe. Was ihn jung halte, seien vor allem seine acht Enkelkinder und seine Studenten. Wer mit Becker spricht, der merkt schnell, dass es ihm einfach großen Spaß macht, sein Wissen weiterzugeben und seine Studenten zu fördern. Seine Begeisterung für das Thema ist ansteckend. Deshalb könne er auch gar nicht anders, als weiterzumachen. Becker ist das Paradebeispiel eines Mannes, für den der Beruf vielmehr eine Berufung ist. „Außerdem würde sich meine Frau bedanken, wenn ich auf einmal nur noch zu Hause wäre“, scherzt der Biologe.
Rund 100.000 Euro in Start-up investiert
Neben seinen Studenten gilt seine Aufmerksamkeit derzeit vor allem der Tigermücke und ihrer Bekämpfung – und insbesondere den Hüpferlingen. „Die sind mein Steckenpferd und wohl auch mein letzter großer Aufschlag in der Mückenbekämpfung“, sagt Becker mit einem Schmunzeln. Mit Matteo Theilacker hat er dazu das Start-up Copex gegründet und rund 100.000 Euro investiert. In den jetzigen Räumlichkeiten können sie alle zwei Wochen rund 200.000 Hüpferlinge ernten. Die werden dann mithilfe einer Apparatur in kleine Tüten verpackt. Damit immer genau die gewünschte Anzahl im Beutel landen, hat Theilacker die Maschine eigens dafür entwickelt.
Der Vorteil der Tigermücken-Bekämpfung mit den kleine Krebstierchen liegt auf der Hand: Während der Effekt einer Behandlung mit den bekannten BTI-Tabletten nur rund zwei Wochen anhält, fressen sich die Hüpferlinge mindestens zwei Monate lang an den Larven satt. Da sie aber nur Tigermückenlarven im ersten Entwicklungsstadium fressen, müssen trotzdem auch weiterhin die BTI-Tabletten zum Einsatz kommen. „Am besten in Kombination“, sagt Becker. „BTI-Tablette ins Wasserfass, Hüpferlinge hinterher und das Fass anschließend abdecken - schon habe ich mindestens zwei Monate Ruhe.“
Interesse an Beckers neuer Waffe gegen Tigermücken ist jedenfalls vorhanden. „Die Nachfrage ist riesig und wir planen schon, wie wir künftig noch größere Mengen züchten können“, erklärt der 76-Jährige. Im kommenden Jahr soll die Produktion deshalb mindestens verdoppelt werden. „Wenn dann aber alle Kommunen, die ein Problem mit den Tigermücken haben, Hüpferlinge haben wollen, müssen wir die Produktion wohl gar verzehnfachen“, blickt der Biologe voraus. Geld verdienen wolle er aber damit nicht. „Nur genug, um die Auslagen zu decken und Matteos Gehalt zu bezahlen“, sagt Becker.
Feldversuche liefern überzeugende Ergebnisse – Bürger sollen eingebunden werden
Ein Feldversuch in Heidelberg habe bereits erfreuliche Ergebnisse erbracht. „Dort haben wir rund 3.000 Regenfässer so behandelt und nach zwei Monaten haben wir in 98 Prozent der Fässer keine Tigermückenlarven mehr gefunden“, berichtet der Biologe. Den Hüpferlingen schadet BTI übrigens nicht – im Gegenteil. Sie gedeihen sogar besser, wenn sich der Wirkstoff im Wasser befindet. Deshalb sollen künftig Tabletten, Hüpferlinge und ein Netz zum Abdecken von Regentonnen als Kombi-Paket an die Bürger ausgeteilt werden. Über Winter wolle man nun testen, ob die Copepoden auch in den Regenfässern überwintern können.
Verschwinden wird die Tigermücke also nicht mehr. Zu günstig sind die Voraussetzungen für ihre Vermehrung. Die Klimaerwärmung spielt den Plagegeistern sogar in die Karten. Aber wir können ihnen zumindest die Fortpflanzung so schwer wie möglich machen - indem wir beispielsweise Regenfässer im Garten abdecken, Gießkannen nicht gefüllt herum stehenlassen, auch kleine Wasseransammlungen beseitigen, damit die Mücken ihre Eier dort nicht ablegen können.
Und indem wir entsprechende Mittel einsetzen, wie eben BTI und Hüpferlinge. „Ohne das Engagement der Bürger geht es nicht. Wir alle können – und müssen – unseren Beitrag leisten, wenn die Tigermücke sich nicht extrem vermehren soll“, verdeutlicht Becker. Wer jetzt noch Fragen zu diesem Thema hat, der findet alle wichtigen Informationen im Internet unter www.tigermuecke-icybac.de.
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