Rhein-Neckar. Sie selbst bezeichnen sich als friedliche Aktivisten, im gesellschaftlichen Diskurs werden sie meist abwertend „Klima-Kleber“ oder gar „Klima-Terroristen“ genannt. Doch egal, welche Meinung man bezüglich der Letzten Generation vertritt – eins steht fest: Aufmerksamkeit erhalten die Aktivistinnen und Aktivisten für ihre Aktionen allemal.
Zum ersten Mal hat die Gruppierung im Januar 2022 eine Straße blockiert, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Damals ging es bei der Blockade um das Ende von Lebensmittelverschwendung. „Das ist aber erst der Anfang der Aktionen“, schreibt die Letzte Generation dazu in einem Instagram-Post. Womit sie Recht behielt: Mittlerweile fand eine Vielzahl an Protestaktionen in ganz Deutschland statt – und nicht selten kleben sich Aktivistinnen und Aktivisten dabei mit ihren Händen auf viel befahrenen Straßen fest, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.

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Doch was macht das eigentlich mit der Haut, wenn die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten regelmäßig ihre Hände auf dem Asphalt befestigen? Uwe Schwichtenberg, Facharzt für Dermatologie und Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen, erklärt dazu im Gespräch mit dieser Redaktion, dass vom Klebstoff an sich – sofern es sich um herkömmlichen Sekundenkleber handelt – grundsätzlich keine Gesundheitsgefahr ausgeht. „Vergleichbare Kleber, die wie Sekundenkleber Acrylate enthalten, verwenden wir auch bei Operationen, um Wunden zu verkleben“, erklärt er. Anders sieht es aus, wenn eine Person gegen Acrylate allergisch ist – was laut dem Dermatologen gar nicht selten vorkommt.
In anderen Ländern geht es teilweise rabiater zu
„Das größere Problem ist allerdings die Wunde, die beim Ablösen der Hände von der Straße entstehen kann“, so Schwichtenberg. Wird nur die oberflächliche Hautschicht dabei verletzt, so heilt die Wunde narbenfrei ab. Im Normalfall erneuert sich unsere Haut innerhalb von drei bis vier Wochen, sodass danach nichts mehr zu sehen sein sollte, erklärt der Dermatologe. Sind jedoch tiefergehende Hautschichten betroffen, kann die Haut an dieser Stelle nicht mehr vollständig regenerieren und es entstehen Narben.
Ob die Haut beim Ablösen tief verletzt wird, hängt maßgeblich davon ab, wie vorsichtig die Hände von der Straße entfernt werden. Im Gespräch mit dieser Redaktion erläutert Professor Günter Germann, Facharzt für Plastische Chirurgie und Handchirurgie sowie Ärztlicher Direktor der Ethianum Klinik Heidelberg, dass es sehr wichtig ist, die Handflächen mit viel Geduld und millimeterweise von der Straße zu lösen.
In Deutschland scheint dies überwiegend der Fall zu sein – der Berichterstattung aus anderen Ländern entnimmt Germann jedoch, dass die Hände der Festklebenden dort gerne mal rabiat von der Straße abgerissen werden. „Dann ist es natürlich möglich, dass auch tiefere Hautschichten auf der Straße kleben bleiben.“
Problematisch wird es außerdem, wenn die Aktivistinnen und Aktivisten ihre Aktionen häufig und mit wenig zeitlichem Abstand durchführen. „Die Dosis ist entscheidend: Wenn man eine noch nicht verheilte Handfläche immer wieder festklebt, ist die obere Schutzschicht der Haut irgendwann weg – das kann dann zu tieferen Wunden und Narben führen“, erklärt der Heidelberger Chirurg.
Dass Polizei und Rettungsdienst laut Berichten der Deutschen Presse-Agentur in vielen Fällen Speiseöl zum Lösen der Hände nutzen, bewerten beide Mediziner positiv. „Andere Lösungsmittel würden die Haut zusätzlich strapazieren“, meint Schwichtenberg. Das Polizeipräsidium Mannheim berichtet auf Nachfrage, dass die Beamtinnen und Beamten grundsätzlich mehrere Mittel zum Ablösen bereithalten. Welches genutzt wird, entscheiden die Einsatzkräfte vor Ort.
Das sagt ein Klima-Aktivist dazu
Weiterhin erklärt ein Polizeisprecher, dass die Beamtinnen und Beamten grundsätzlich versuchen, „die Klimaaktivisten möglichst schonend und schnell von der Straße zu lösen“. Dabei sprechen sie ihr Vorgehen mit den Betroffenen ab, um Verletzungen zu vermeiden. Man habe die Einsatzkräfte hierfür „entsprechend sensibilisiert und vorbereitet“. Zudem werden meist Feuerwehr und Rettungsdienst miteinbezogen. Eine zeitliche Angabe, wie lange das Ablösen der Hände dauert, macht der Sprecher nicht – dies hänge maßgeblich vom verwendeten Klebstoff ab.
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Und wie geht es der Hand eines Klima-Aktivisten, der sich bereits mehrfach auf Straßen in der Region geklebt hat? „Ich habe mit keinen Verletzungen oder Langzeitfolgen zu kämpfen“, gibt der Mannheimer Raúl Semmler gegenüber dieser Redaktion an. Generell hätten die Aktivistinnen und Aktivisten in den seltensten Fällen Schäden an den Händen. „Dann wären unsere Aktionen auch nicht mehr gewaltfrei, da wir uns selbst verletzen würden.“
Zum Ablösen seiner Hand habe man bisher immer Öl genutzt, manchmal in Kombination mit Desinfektionsmittel. Nach einer Protestaktion kribbelt er die Reste des Sekundenklebers selbst ab und wartet, bis sich seine Haut regeneriert, so der 38-Jährige.
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