Rhein-Neckar. Stau! Auf der A 5 am Walldorfer Kreuz geht gar nichts. Ein Lkw-Fahrer bemerkt die stehenden Fahrzeuge nicht. Er ist abgelenkt und fährt nahezu ungebremst in das Stauende. Zwei Autos werden ineinandergeschoben, vier Menschen sterben, von einer Familie überlebt nur die Tochter. Dieser furchtbare Unfall am Rosenmontag 2018 hat den langjährigen Chef der Mannheimer Verkehrspolizei, Dieter Schäfer, so betroffen gemacht, dass er etwas tun musste. Herausgekommen ist die Initiative „Hellwach mit 80 km/h“, die mittlerweile als Verein gegen das Sterben am Stauende kämpft.
Engagiertes Team
Mit dem ehemaligen Managing Director des Logistikunternehmens „Contargo RN“, Konrad Fischer, und Roland Koch, dem Marketing-Leiter der Mannheimer Versicherung, engagieren sich dort zwei weitere Verkehrsexperten. „Wir erobern Europa mit Max Achtzig“, sagt Schäfer im Gespräch mit dieser Redaktion.
Da Unfälle am Stauende ein europäisches Problem sind, musste das Maskottchen der Präventionsinitiative – der hemdsärmelige Fernfahrer Max Achtzig – eben kurzerhand 17 Sprachen lernen. „Kein Lkw-Fahrer fährt absichtlich auf ein Stauende. Aber er muss verstehen und verinnerlichen, dass er 40 Tonnen Verantwortung hat. Deshalb haben wir mit erfahrenen Fahrern zehn Regeln erarbeitet, die helfen, Ursachen wie Ablenkung oder Übermüdung zu beseitigen. Die haben wir mit Erläuterungen in einer Präventionsbroschüre illustriert und wollen damit einen Großteil der 800 000 Lkw-Fahrer erreichen, die täglich auf deutschen Straßen unterwegs sind. Zudem geht es darum, die Chefs der Trucker, die Disponenten sowie deren Auftraggeber überzeugen“, erklärt Schäfer. Im Zentrum der Europa-Aktion stehe deshalb ein Schreiben, das mit vielen Fakten Werbung für die Kampagne macht. Und in bunten Comics präsentiere Max Achtzig seine zehn Regeln, die in allen Sprachen erklärt werden und die Fahrer auf ihren Touren begleiten.
Viele Firmen machen mit
„Renommierte deutsche Unternehmen aus der Transportwirtschaft, dem Versicherungsgewerbe und eine Berufsgenossenschaft haben bisher 12 000 Exemplare in mehreren Sprachen bestellt, die sie an ihre Fahrer, Mitarbeiter und Kunden verteilen werden“, fasst Schäfer zusammen. Er wolle ein belastbares Netz spinnen, um den Truckern ins Gewissen zu reden. „Vielen von ihnen mangelt es tatsächlich an einer Einweisung und der Kenntnis ihrer technischen Ausstattung wie dem Notbremsassistenten. Außerdem sind sich viele nicht bewusst, welche tödlichen Risiken sie bei zu geringem Abstand und nicht angepasster Geschwindigkeit oder bei Unaufmerksamkeit durch Ablenkung auf den Stau belasteten Transitrouten eingehen“, fasst der Experte zusammen. Deshalb gehe man an alle großen Lkw-transport-tangierten Unternehmen.
Die große Masse der Fahrer unterstütze die freiwillige Selbstverpflichtung. „Aber es gibt auch Maulhelden, die meinen, sie könnten die Physik überlisten und die mich in den sozialen Netzwerken sogar beleidigen.“ All jene, die mit ihm diskutieren wollten, warum sie 89 statt 84 Stundenkilometer fahren müssen, um nicht einzuschlafen, hat der Ideengeber jüngst mit einem Facebook-Posting bedacht, das innerhalb von einem Tag eine Reichweite von 51 600 erreicht hat.
Für Schäfer ist Max Achtzig ein „Kapitän der Landstraße“, der Rücksicht nimmt, vorausschauend und defensiv fährt und den Schwächeren hilft. Angelehnt sei die neue Bewegung an den 7. Sinn – die Mutter aller Verkehrserziehungssendungen – aus den 60er, 70er und 80er Jahren. „Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht lautete damals das Motto. Und ich finde, das würde uns heute auch noch sehr guttun.“ Auch Slogans wie „Nimm’ Dir Zeit und nicht das Leben“, seien so aktuell wie damals. Es vergehe nämlich kein Tag, an dem auf deutschen Straßen nicht mehrere Lastwagen ineinander krachten. „Die Öffentlichkeit nimmt es gar nicht wahr, dass seit Beginn des Jahres bereits 31 Lkw-Fahrer bei Unfällen gestorben sind.“
Smarte Stauwarner
Ideen, wie man Unfälle am Stauende verhindern könnte, hat Dieter Schäfer einige: „Es wäre technisch möglich, Stauwarnsysteme an neuralgischen Punkten anzubringen, die nur dann die Geschwindigkeit begrenzen, wenn sich ein Stau bildet. Ansonsten bleibt der Bildschirm schwarz.“ Seine Erfahrung am Walldorfer Kreuz habe gezeigt, dass simple Schilder, die das Tempo dauerhaft beschränken, wenig Wirkung haben.
Da die Zulassung und Umsetzung einer solchen smarten Stauwarnanlage laut Bundesverkehrsministerium aber mindestens fünf Jahre dauern würde, hofft Dieter Schäfer, viele Fernfahrer zu Max Achtzigern zu machen. „Das geht sicher schneller und ist sehr effektiv.“
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