Schifferstadt. Vor zwei Jahren ist Sepideh Ghorbani nach Deutschland gekommen. Am Anfang fehlte ihr der Schlüssel zu diesem Land, zu seinen Regeln und Bräuchen, die hinter einer schwierigen Sprache versteckt waren. Hals über Kopf waren sie und ihr Mann aus Glaubensgründen aus dem Iran geflohen und zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Kusel gelandet. Kurz danach kamensie nach Schifferstadt. Es galt, ein neues Leben zu organisieren. Zudem musste die schwangere Sepideh Ghorbani ihr Kind zur Welt bringen. Sie stand also vor riesigen Herausforderungen. „Wir hatten keine Sprachkenntnisse, keine Bekannten, kein Geld“, so die 36-Jährige.
An Menschen wie Sepideh Ghorbani richtet sich die Integreat-App, die der Rhein-Pfalz-Kreis seit kurzem anbietet. Sie soll Geflüchteten – aber auch ausländischen Studierenden oder Fachkräften – Informationen in ihrer Muttersprache bieten, damit sie sich in der neuen Heimat zurechtfinden. Hinterlegt sind dort Gesetzesregelungen, etwa zum Aufenthaltsrecht. Zu finden sind aber auch Ansprechpartner bei Behörden oder grundlegende Tipps für den Alltag: Wie wird in Deutschland zum Beispiel der Müll sortiert? Im Rhein-Pfalz-Kreis ist das Angebot in acht Sprachen verfügbar: Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Türkisch, Arabisch. Zudem in Farsi – der Muttersprache von Sepideh Ghorbani – und in Tigrinisch (eine Sprache, die in Äthiopien und Eritrea gesprochen wird).
- Die Integreat-App ist ein Projekt der gemeinnützigen „Tür an Tür Digitalfabrik“. Deren Träger sind der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Technischen Universität München und der Augsburger Flüchtlingshilfe-Verein Tür an Tür.
- Die App soll ein Wegweiser für Geflüchtete, Zugewanderte, Fachkräfte oder ausländische Studierende sein und so die „Informationsarmut“ bekämpfen. Sie stellt Informationen und Kontaktadressen in mehr als 20 Sprachen bereit. Das Kölner Start-up DeepL hat dafür automatische Übersetzungen angefertigt. Die teilnehmenden Kommunen können ihre spezifischen Daten in der App hinterlegen, die für sie relevanten Sprachen auswählen und Übersetzungen prüfen lassen.
- Finanziert wird die Integreat-App aus den Support-Gebühren der Städte und Kreise, die sie nutzen. Derzeit ist sie in mehr als 62 deutschen Kommunen im Einsatz – in der Metropolregion Rhein-Neckar sind das neben dem Rhein-Pfalz-Kreis noch der Kreis Germersheim und die Stadt Landau. fab
Ihren Ursprung hat die App in Bayern, genauer gesagt beim Verein „Tür an Tür“ in Augsburg. Dessen Mitglieder engagieren sich schon lange in der lokalen Flüchtlingshilfe. Informationen für Neubürgerinnen und Neubürger hatten sie lange in einer mehrsprachigen Broschüre gesammelt. Doch irgendwann sei das Hantieren mit den verschiedenen Dokumenten und Sprachen zu unübersichtlich geworden, erzählt Laura Schmitz aus dem Team der Integreat-App. „Deswegen haben wir beschlossen, das Ganze digital zu optimieren.“
So entstand die Integreat-App – zunächst nur für Augsburg. Nach und nach wurden mehr Kommunen auf das Angebot aufmerksam. Deshalb stellt die Digitalfabrik interessierten Städten und Kreisen inzwischen ein Redaktionssystem mit automatischen Übersetzungen zur Verfügung. Dort können die Kommunen ihre Daten eintragen, die für sie relevanten Sprachen auswählen und die App so auf die lokalen Bedingungen zuschneiden. Das habe im Fall des Rhein-Pfalz-Kreises rund ein halbes Jahr in Anspruch genommen, schätzt Andreas Straßner, der zuständige Abteilungsleiter. Doch der Aufwand habe sich gelohnt. Die App stelle Informationen verständlich bereit, ohne dass man sie sich mühsam zusammensuchen müsse.
Auch Sepideh Ghorbani hat die App inzwischen auf ihrem Smartphone. Den Schlüssel zu ihrer neuen Heimat hat sie in Schifferstadt über die Flüchtlingsinitiative Team 31 gefunden. Die Mitglieder vermittelten ihr Möbel für die neue Wohnung und einen Sprachkurs. Derzeit versuche man, eine Stelle für ihren Mann zu finden, sagt der stellvertretende Vorsitzende Ralph Schäffner. Während zum Beispiel Menschen aus Syrien häufig auf eine kleine lokale Gemeinschaft von Landsleuten bauen können, ist das bei Iranern schwieriger. „Sie stehen oft in den Ortschaften, sind auf sich allein gestellt und müssen sich zurechtfinden“, sagt Schäffner.
Für die wichtigsten Informationen sei die Integreat-App daher eine große Erleichterung. Natürlich kann sie nicht jedes Hindernis aus der Welt räumen. Es komme zum Beispiel vor, dass gutgläubige Geflüchtete aufs Glatteis geführt werden und überteuerte Handy-Verträge angedreht bekommen. „Das Problem kann auch die App noch nicht lösen“, sagt Schäffner
Das Angebot muss ständig fortgeschrieben werden. So kam im vergangenen Jahr das Thema Corona mit all den Regeln und neuen Ansprechpartnern hinzu. Das Angebot sei „ein kleiner, aber wichtiger Baustein“, um die Integration voranzubringen, sagt die Erste Beigeordnete des Rhein-Pfalz-Kreises, Bianca Staßen. „Die App ist kein statisches Projekt und wird stetig Neuerungen enthalten. Wir freuen uns auf Verbesserungsvorschläge.“