Weinheim. Eine ältere Dame sitzt im Beratungszimmer der Arbeiterwohlfahrt Rhein-Neckar (AWO) in Weinheim. Sie schildert ihre finanziellen Sorgen - und die privaten Probleme, die sie dorthin geführt haben. Ihr gegenüber ist Brigitte Bell, eine der Ansprechpartnerinnen in der Beratungsstelle für Altersarmut. Sie hört zu, macht sich Notizen. Anschließend wird Bell prüfen, wie sie der Frau helfen kann.
Hauptsächlich Frauen betroffen
"Ich hätte vorher nicht gedacht, dass es so viele arme alte Menschen in Deutschland gibt", sagt Bell. Seit der Eröffnung der Beratungsstelle im April 2015 arbeitet sie dort zusammen mit einer Kollegin. Ausgewählt wurden die beiden Beraterinnen von Bettina Latsch, Abteilungsleiterin und Stellvertreterin der Geschäftsführung der AWO Rhein-Neckar. "Wir haben darauf geachtet, Frauen im fortgeschrittenen Alter und mit großem Erfahrungsschatz einzustellen, damit eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist", betont Latsch.
Etwa 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen. "Viele sind durch eine Scheidung in die Armut gerutscht", erläutert Bell. In der Generation der heute über 60-Jährigen sei es noch üblich gewesen, dass sich Frauen um Haushalt und Kinder gekümmert haben. Auch Krankheitsfälle könnten in die Armut führen. "Eine Frau, die zu uns kam, hat elf Jahre lang ihren krebskranken Mann gepflegt und konnte deshalb nicht arbeiten. Heute fehlen ihr die Rentenpunkte", schildert Bell einen Fall.
Wer sich Hilfe in der Beratungsstelle suchen möchte, kann sofort zur Sprechstunde kommen oder sich zunächst telefonisch melden. Der Erstkontakt am Telefon ist anonym möglich. Um tatsächlich Hilfe zu beziehen, muss eine persönliche Beratung vor Ort stattfinden. Unabhängig davon, ob das Anliegen am Telefon oder persönlich vorgetragen wird, an Dritte gelangt es nicht. "Wir unterliegen der Schweigepflicht. Es ist sehr wichtig, dass sich die Menschen bei uns geschützt und nicht gläsern fühlen", sagt Latsch.
Die Betroffenen können nach Prüfung ihrer finanziellen Situation eine einmalige Einzelfallhilfe in Höhe von bis zu 400 Euro erhalten. Die finanziellen Mittel dafür erhält die AWO von der Stiftungsinitiative Altersarmut in Weinheim. Schirmherrin der Initiative ist Martina Schildhauer. Sie rief die Stiftung 2009 ins Leben. "Wir bieten keine monatlichen Zuwendungen, sondern eine einmalige Zahlung aus dem Stiftungsstock. Es geht uns darum, das Gröbste zu lindern", erklärt Latsch.
Zu den Hilfen zählten beispielsweise Brillen oder Elektrogeräte, die langfristig die Stromrechnung senken. Daneben würden Kostenfresser wie zu hohe Telefontarife aufgespürt und beim Wechsel des Anbieters geholfen. Künftig seien auch haushaltsnahe Dienste geplant. Ebenso wichtig wie finanziellen Hilfen sei für die Betroffenen, dass sich jemand der Probleme annimmt. "Die Senioren, die zu uns in die Beratung kommen, sind oft schon glücklich darüber, dass man ihnen zuhört", betont Bell. Die größte Schwierigkeit besteht für die Beraterinnen darin, an Betroffene heranzukommen. Der Begriff Altersarmut sei sehr negativ besetzt und meist mit Scham verbunden. Die alten Menschen scheuten sich, anderen von ihrer Situation zu berichten und Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Altersarmut bringt einen Rattenschwanz an Problemen mit sich", sagt Latsch. "Betroffene werden oft depressiv, auch vereinsamen sie, da sie sich - aufgrund ihrer finanziellen Situation - nicht mehr an gesellschaftlichen Anlässen beteiligen können."
Netzwerk wichtig
"Wir wollen sie aus der Isolation holen, machen auf kostenlose Angebote aufmerksam, um mit anderen zusammenzukommen." Bisher hätten etwa 15 Menschen Hilfe in der Beratungsstelle gesucht. "Unser Ziel ist es, mehr zu erreichen, deshalb haben wir in den vergangenen Monaten auch ein Netzwerk mit Kirchen, Jobcenter, Stadtseniorenrat und weiteren Stellen aufgebaut."
Neben Hilfen für Betroffene bieten Bell und ihre Kollegin auch frühzeitige Beratungen an. "Frauen ab 50, die sich von Altersarmut bedroht fühlen, können zu uns kommen". Auch eine Informationsveranstaltung mit einem Experten habe es gegeben. Für 2016 solle das Präventionsangebot ausgeweitet werden. "Wir wollen das Thema in der Gesellschaft bekannt machen und für Akzeptanz sorgen, damit das Schamgefühl verschwindet."
Unterstützung bei Armut im Alter
Die Beratungsstelle Altersarmut der AWO Rhein-Neckar besteht seit April 2015.
Das Angebot richtet sich an Menschen aus dem nördlichen Rhein-Neckar-Kreis.
Es umfasst finanzielle Einzellfallhilfen für Personen ab 60, individuelle Beratungsgespräche zu Themen wie Rente, Grundsicherung, Zusatzleistungen und weiteren finanziellen Hilfen. Begleitungen zu Behörden und Hilfe bei bürokratischen Vorgängen sind ebenfalls möglich.
Die Sprechstunden finden immerdienstags von 14 bis 16 Uhr und freitags von 9 bis 11 Uhr statt. Interessierte können sich telefonisch (06201-4853421) und unter www.awo-rhein-neckar.de über die Beratungsstelle informieren. akd
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