Kommunalpolitik

Gibt es den nächsten Bürgerentscheid in Weinheim?

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat dem Eilantrag der Gegner des Gewerbegebiets Hintere Mult stattgegeben.

Von 
Carsten Propp
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Schon 2019 wurde in Weinheim die Gemeinderatsdebatte über das geplante Gewerbegebiet Hintere Mult von Protesten begleitet. © Fritz Kopetzky

Weinheim. Über das geplante Gewerbegebiet Hintere Mult wird in Weinheim seit 2017 gestritten. Jetzt sieht es so aus, als könnte dazu doch noch ein Bürgerentscheid erforderlich werden. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe einem Eilantrag der Gegner des Gewerbegebiets stattgegeben. Mit dem Beschluss des Gerichts wird der Stadt Weinheim vorläufig untersagt, das Bebauungsplanverfahren weiterzuführen. Aber nicht nur das: Die 10. Kammer des VG Karlsruhe hat auch „die vorläufige Zulässigkeit des Bürgerbegehrens“ festgestellt.

Wörtlich heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts: „Es sei ganz überwiegend wahrscheinlich, dass das Bürgerbegehren zulässig sei. Der mit dem Hauptsacheverfahren verbundene Zeitablauf hätte zudem voraussichtlich eine Erledigung des Bürgerbegehrens zur Folge.“

Oberbürgermeister Manuel Just „überrascht und etwas irritiert“

Damit folgte die Kammer in vollem Umfang der Argumentation der Kläger. Sollte der Beschluss in dieser Form Bestand haben, würde dies auch bedeuten, dass die Stadt Weinheim die Verfahrenskosten der klagenden Bürger übernehmen müsste, wie deren Rechtsanwältin Dr. Bärbel Andres auf Nachfrage erklärte.

In einer ersten Reaktion zeigte sich Weinheims Oberbürgermeister Manuel Just „überrascht und etwas irritiert“ über den Beschluss der Kammer. Wörtlich erklärte er: „Unsere Rechtsauffassung, die auch in den Gemeinderatsbeschluss geflossen ist, fußt auf Gutachten von zwei Fachanwälten, die sich unabhängig voneinander mit dem Thema befasst haben. Auch das Regierungspräsidium kam nach Abwägung zu derselben Einschätzung. Das ist jetzt sehr unbefriedigend, vor allem im Sinne eines verlässlichen kommunalen Handelns.“

Dennoch halte er eine Beschwerde gegen diese vorläufige Eilentscheidung nicht für ratsam, da die Stadt dann begründen müsste, warum das Bebauungsplanverfahren zwingend zum jetzigen Zeitpunkt fortgeführt werden müsse. Abgesehen davon stehe ja eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ohnehin noch aus.

Verein Breitwiesen sieht sich in seinem Vorgehen bestätigt

„Die eigentliche Frage, ob ein Bürgerentscheid zu diesem Zeitpunkt des Bebauungsplanverfahrens zulässig ist oder nicht, ist noch nicht entschieden“, betonte Just und fügte hinzu: „Falls das Gericht im Hauptsacheverfahren zur gleichen Entscheidung kommt, werde ich allerdings dem Gemeinderat empfehlen, eine höchstrichterliche Entscheidung anzustreben, damit diese grundsätzliche Frage vom VGH beantwortet werden kann. Das sollten wir auch im Sinne anderer Kommunen tun.“

Der Verein Breitwiesen hatte sich bereits wenige Stunden zuvor in einer Pressemitteilung geäußert: „Der Verein Breitwiesen und die sieben Antragsteller sind sehr erleichtert über diese Entscheidung des Karlsruher Gerichts und sehen sich in ihrem Vorgehen gegen die Ablehnung des Bürgerentscheids bestätigt. Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Rettung der landwirtschaftlich genutzten Hinteren Mult, die als Kaltluftentstehungsfläche und Wasserspeicher für Weinheims Klima bedeutsam ist.“

Nach dem Dank an alle Bürger, die die rechtlichen Schritte gegen den Bebauungsplan unterstützt haben, teilte Ingrid Hagenbruch als Vorsitzende des Vereins Breitwiesen abschließend mit: „Wir hoffen und gehen davon aus, dass das Verwaltungsgericht sich auch in der endgültigen Entscheidung für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens ausspricht, sodass die Weinheimer Bürgerschaft über das weitere Schicksal der Hinteren Mult entscheiden kann.“

Satzungsbeschluss für Bebauungsplan im Mai 2019 gefasst

Der Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan stand im Mai 2019 auf der Tagesordnung der allerersten Gemeinderatssitzung, die Manuel Just als Oberbürgermeister leitete. Er setzte sich damals – und bis heute – vehement für das Gewerbegebiet ein, obwohl eine Allianz von Boden- und Naturschützern ebenso vehement dagegen protestierte.

Dass das Thema immer noch aktuell ist, liegt daran, dass der Verwaltungsgerichtshof im Mai 2022 den Satzungsbeschluss wegen formaler Mängel für unwirksam erklärte. Im November 2022 entschied der Gemeinderat, an der Zielsetzung des Bebauungsplans festzuhalten und die Mängel in einem „ergänzenden Verfahren“ zu beheben.

Dagegen regte sich freilich erneut Widerstand. Im Februar 2023 wurden 4.980 Unterschriften (davon 4.500 gültige) für ein Bürgerbegehren eingereicht, das zum Ziel hatte, die landwirtschaftlichen Flächen in der Hinteren Mult zu erhalten. Nach Überzeugung der Gewerbegebietsgegner war der Beschluss vom November 2022 eine Grundsatzentscheidung und damit ein „verfahrenseinleitender Beschluss“, gegen den ein Bürgerbegehren zulässig sei.

Bürger stellten im Mai einen Eilantrag

Die Stadt vertrat dagegen die Rechtsauffassung, dass der Startschuss für das Verfahren bereits 2017 gefallen sei, weshalb ein Bürgerbegehren aus formal rechtlichen Gründen unzulässig sei. Der Gemeinderat folgte mehrheitlich dieser Rechtsauffassung, der sich auch das Regierungspräsidium anschloss.

Dagegen reichten mehrere Bürger im Januar 2025 eine Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe ein. Doch die Stadt lehnte es ab, mit der Fortsetzung des Bebauungsplanverfahrens zu warten, bis das Gericht über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entschieden hat. Da die Kläger befürchteten, dass dadurch „irreversible Fakten“ geschaffen werden könnten, stellten sie im Mai 2025 beim VG einen Eilantrag auf „vorläufigen Rechtsschutz“. Zu diesem Antrag hat das Gericht jetzt den Beschluss gefasst.

Auch Rechtsanwältin Andres betonte gegenüber der Redaktion die „grundsätzliche Bedeutung“ dieser Entscheidung. Zum ersten Mal habe ein Gericht die Frage (vorläufig) beantwortet, ob nach der Aufhebung eines Bebauungsplans ein „politischer Grundsatzbeschluss“ des Gemeinderates zur Wiederaufnahme des Planungsverfahrens zur Behebung der Mängel erforderlich sei. „Die Kammer hat das bejaht, das stärkt die direkte Demokratie“, sagte die Anwältin. Denn dadurch könnten auch zu solchen Beschlüssen Bürgerbegehren herbeigeführt werden. Deshalb sei sie davon überzeugt, dass dieser Präzedenzfall weit über Weinheim hinaus Aufmerksamkeit erlangen werde.

Noch ist offen, wie es weitergeht

Noch ist offen, wie es nun weitergeht. Es gibt noch keinen Termin für das Hauptsacheverfahren. Zudem ist das VG nicht unbedingt die „letzte Instanz“. Sollte es tatsächlich zu einem Bürgerentscheid kommen, wäre dies das zweite Mal in der Amtszeit von Oberbürgermeister Just, der ja kürzlich angekündigt hat, 2026 als Landrat des Rhein-Neckar-Kreises zu kandidieren.

Beim ersten Bürgerentscheid seiner Amtszeit im Juni 2024 hatte Just die Pläne für ein Hotel und Parkdeck am Miramar ausdrücklich unterstützt; eine knappe Mehrheit der Weinheimer Bürgerschaft sprach sich jedoch dagegen aus.

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