Frankenthal. Mitte Oktober ist auf dem Streamingportal Netflix die Horror-Serie „The Watcher“ angelaufen. Darin wird eine Familie ausspioniert und bedroht. Die Serie, die auf einer wahren Begebenheit basiert, spielt mit der Angst. Mit einer Furcht, die eine Familie aus Lambsheim wahrscheinlich nur allzu gut nachempfinden kann. Immer wieder tauchte eine Frau vor dem Haus und im Umfeld der Familie auf, schrieb Mails, warf Post in die Briefkästen der Nachbarn - und hat zwei Romane über ihre Obsession geschrieben. Nun ist die 56-jährige Frau aus Wiesloch vor dem Frankenthaler Amtsgericht zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden - wegen Nachstellung und Nötigung.
Die Leidensgeschichte von Familie S. (Name von der Redaktion geändert) beginnt 2020. Wolfgang S. steht kurz vor der Pensionierung, als eine Angestellte seiner Abteilung beginnt, ihm nachzustellen. Weil er sie auf besondere Art und Weise angesehen hätte, sagt Irmtraud P. am Montag. Und weil sie ihm habe helfen wollen, so die 56-Jährige. Denn P. vermutet, dass ihr Vorgesetzter an Parkinson erkrankt ist. Beides sei aber völlig aus der Luft gegriffen, sagt der Familienvater während des Verfahrens. Er habe nie mit P. geflirtet. „Mein Bestreben war es immer, eine freundliche Distanz zu wahren - zu allen Kolleginnen und Kollegen“, sagt S.. Seine Stimme wird lauter, als er betont: „Ich bin auch nicht krank.“
Liebesschwüre und Strafanzeigen
S.s Blick wandert zu seinen drei Kindern, die den Prozess im Verhandlungssaal verfolgen. Bereits nach der ersten Nachricht habe er die Chefetage informiert. Auch als die 56-Jährige begann, seinen Ausstand zu organisieren. „Ich wollte das nicht“, sagt S. Irmtraud P. bestellte auf eigene Kosten ein Buffet, plante seinen letzten Arbeitstag. Die Einwände des Mannes blieben aber ungehört, sagt er. „Ich habe gehofft, dass mit der Pensionierung alles vorbei ist, dann ging es aber erst richtig los“, erinnert er sich. Immer wieder erhält er Mails. „Ich ziehe nach Darmstadt. Allein - oder wenn ich ganz viel Glück habe - mit Dir“, zitiert der Vorsitzende Richter Thomas Henn aus einer der vielen Nachrichten. P. schlägt ein Treffen vor. S. verständigt die Polizei.
Was folgt, ist ein Wechselspiel aus Liebesschwüren und Drohungen. Sie schreibt ihrem „liebsten Geliebten und geliebten Liebsten“ und stellt selbst mehrere Strafanzeigen gegen S., unter anderem wegen Nachstellung. Die Ermittlungen werden allesamt eingestellt. Sie droht ihm rechtliche Schritte wegen sexuellen Missbrauchs an. Sie taucht im Laden auf, in dem S.s Frau arbeitet. Und sie fängt an, ihre Version der Geschichte aufzuschreiben. Unter dem Pseudonym Charlotte Engel veröffentlicht sie die Bücher „Hidden Man - Weil er nichts sagte“ und „Hidden Man - Qual und Liebe“. P. wirft Bestellzettel in die Briefkästen der Nachbarn von Familie S.. Sie hängt ein Plakat in der Bäckerei um die Ecke aus. „Es gibt Leute, die glauben, was da drin steht“, sagt S. vor Gericht. Im Internet werde er angefeindet. „Es gibt Kommentare, in denen danach gefragt wird, warum ich mich nicht umbringe.“ Seine Familie habe Kameras rund um das Haus installiert und die Nachbarn ins Vertrauen gezogen.
Schon im April 2021 hat der Fall das Familiengericht in Frankenthal beschäftigt. Wolfgang S. und Irmtraud P. einigten sich damals auf einen Vergleich: P. durfte sich der Familie nur noch auf 100 Meter Entfernung nähern. Und sie nicht mehr kontaktieren. Insgesamt 47 Verstöße gegen diesen Vergleich hat die Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2021 und Februar 2022 gezählt und deshalb Anklage vor dem Amtsgericht erhoben.
Bis zu drei Jahre Haft stehen auf „Nachstellung“, das Gericht folgt der Forderung der Staatsanwaltschaft und verhängt eine neun Monate lange Haftstrafe - auf Bewährung. Auch weil Ingeborg P. sich seit Februar von der Familie fernhält. Und die Vorwürfe eingeräumt hat. „Ich bereue meine Rolle bei der Geschichte“, sagt sie und schnauft. „Ich würde das so nicht mehr tun. Ich kümmere mich nicht mehr um andere.“
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