Limburgerhof. Ein Lächeln, eine Umarmung, ein selbst gemaltes Bild – Anna Grohmann liebt ihren Beruf und weiß, warum sie jeden Morgen aufsteht. „Ich bin aus vollem Herzen Erzieherin. Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, ihnen Impulse zu geben und sie zu unterstützen, ist eine Tätigkeit, die meine Seele erfüllt“, schreibt sie in ihrem schonungslos offenen Brief an Eltern, Kolleginnen, Träger, Regierungsverantwortliche und Leidensgenossinnen. Denn wie lange sie ihrer Berufung noch folgen kann, weiß Anna Grohmann nicht: „Ich bin am Ende meiner geistigen Kräfte.“
Wutreden erduldet
Mit Überzeugung erzählt die 37-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion davon, dass sie ihre Arbeit immer geliebt hat – trotz der schlechten Rahmenbedingungen, trotz Personalmangel, Stress und dem Spagat zwischen den Bedürfnissen der Kinder, den Erwartungen der Eltern, den Vorstellungen des Arbeitgebers und dem eigenen Anspruch an die pädagogische Arbeit. „Ich habe verlorene Kuscheltiere gesucht, aufgeschlagene Knie verarztet, nasse Hosen gewechselt und Wutreden über mich ergehen lassen. Ich habe versucht, alles Erdenkliche möglich zu machen und mir dann angehört, dass es doch nie genug war oder viel zu viel: zu wenige Waldtage, aber zu viele zerrissene Klamotten, zu viele Regeln, aber zu wenig Konsequenz. Das Fass hat sich nicht in den vergangenen zwei Wochen gefüllt, da hat sich viel angesammelt. “
Und dann kam die Pandemie. Mit Wucht, wie die Erzieherin erzählt. „Seit Februar 2020 haben sich fünf Ordner mit Verordnungen, Hygienerichtlinien, Schnupfenpapieren, Empfehlungen, Anordnungen, Maßnahmenkatalogen und Ähnlichem gefüllt, teilweise heben sich die Schriftsätze gegenseitig auf oder sind in sich widersprüchlich. Neue Entwicklungen, die unseren Arbeitsalltag betreffen, habe ich immer nur aus den Medien erfahren. Konkrete Informationen gab es oft erst nach Tagen, und wenn sie kamen, dann grundsätzlich an einem Nachmittag vor einem Feiertag oder einem Wochenende – umzusetzen bitte ab Montag. Wir schaffen diese Kurzfristigkeit gar nicht mehr. Da jede Kita die Vorgaben individuell verwirklichen darf, müssen wir uns immer mit dem Träger und dem Elternausschuss absprechen, ob alle mit unserer Interpretation der Vorgaben leben können“, berichtet sie.
Corona in der Region
Erst habe die Notbetreuung für die Kinder systemrelevanter Eltern in den Kitas Einzug gehalten. Dann jene für alle, die nachweislich an ihrer Arbeitsstelle Präsenz zeigen müssen. Es folgten Betreuungsangebote für alle Kinder zumindest stunden- oder tageweise, der Wechsel in den eingeschränkten Regelbetrieb und nun im derzeitigen sogenannten Regelbetrieb unter Corona-Bedingungen. „Das heißt für meine Einrichtung in Limburgerhof: Fast alle 135 Kinder sind da, fast alle sechs Gruppen voll belegt, aber mischen dürfen sie sich nicht, und Kollegen und Kolleginnen dürfen sich nicht wechselseitig aushelfen. Unter diesen Voraussetzungen einen funktionierenden Betrieb zu organisieren, zehrt an unserer Kraft“, sagt die Pfälzerin.
Denn alle Änderungen hatten eines gemeinsam: „Uns hat keiner gefragt und an uns hat auch keiner gedacht, wir wurden einfach ins Feuer geschickt.“ Auch die eigene Verunsicherung belaste Erzieherinnen und Erzieher: Kinder sind nicht ansteckend. Oder vielleicht auch nur ein bisschen. Pandemietreibend wirken sich die Kitas nicht aus. „So hieß es jedenfalls. Oberstes Gebot ist, die Betreuung zu gewährleisten – komme was da wolle. Dass auch wir eine Familie haben, die wir nicht gefährden wollen, hat niemanden wirklich interessiert“, sagt Grohmann. Sie sei überzeugt, „dass wir in unserer Kita ein Betreuungsangebot gewährleisten können, nicht für alle Kinder gleichzeitig, dafür in kleineren Gruppen. Aber dazu muss man uns machen lassen und auch mal auf uns hören. Keine Angst, wir haben das gelernt, wir kriegen das hin.“
Antwort aus Mainz erhalten
Die Maskenpflicht für Erzieherinnen – die Nähe zu den Kindern beinahe unmöglich macht – sei auch verfügt worden. Zum Glück gingen Kinder relativ gefasst damit um: „Die zuppeln daran herum, wenn wir sie beim Trösten mal auf den Arm nehmen, so wie sie das mit Schmuck auch tun.“ Am Mittwoch hat Anna Grohmann eine Antwort aus Mainz auf ihren Brandbrief erhalten. „Sie ist sehr wertschätzend geschrieben“, sagt sie. Und obschon das Schreiben keinen Hoffnungsschimmer für sie bereithält, „einen Plan B habe ich nicht. Ich bin gerne Erzieherin – das ist das, was ich richtig gut kann und was ich tun möchte“.
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