Sicherheit im Straßenverkehr

Ehemaliger Mannheimer Verkehrspolizei Chef Dieter Schäfer im Interview

Von 
Bernhard Zinke
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Dieter Schäfer engagiert sich im Un-Ruhestand für Verkehrssicherheit. © B. Zinke

Dieter Schäfer hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Seine zahlreichen Aktionen für die Sicherheit im Straßenverkehr wirken bis heute. Auch nach seiner Pensionierung engagiert er sich für mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Herr Schäfer, Sie sind jetzt seit fast einem Jahr im Ruhestand. Oder sollte ich besser sagen: im Un-Ruhestand?

Dieter Schäfer: Mir geht’s sehr gut.

Sie engagieren sich bis heute mit großer Leidenschaft für die Sicherheit im Straßenverkehr. Sie arbeiten im Vorstand des Vereins „Hellwach mit 80 km/h“ vor allem für richtiges Verhalten im Lkw-Cockpit. Warum?

Schäfer: Die Wucht durch einen Lkw mit 40 Tonnen verursacht dreimal so viel Gefahr wie die Wucht durch ein eine Tonne schweres Autos. Wenn ein LKW-Fahrer nicht aufmerksam ist und auf seinem Handy herumdaddelt, dann fährt er im Blindflug. Wenn dann ein Stauende kommt, schlägt er mit aller Wucht ein. Wenn Autos davor stehen, sind die Insassen tot. Stehen keine dazwischen, ist in aller Regel der Lkw-Fahrer schwer verletzt oder tot.

Und das treibt Sie so um, dass Sie sich auch nach der Pensionierung noch für das Thema aufreiben?

Schäfer: Es gab diesen schrecklichen Unfall vom Rosenmontag 2018, als bei einem Unfall am Walldorfer Kreuz von einer vierköpfigen Familie nur ein 15-jähriges Mädchen überlebt hat. Die Aufarbeitung des Unfalls zerreißt einem das Herz. Der Unfall war so unnötig. Und in der Nachfolge kamen noch viele weitere unnötige Unfälle dazu. Die hätten durch wirksame Notbremsassistenzsysteme und aufmerksame Lkw-Fahrer verhindert werden können. Wenn Sie mit Leib und Seele Verkehrspolizist waren, dann hören Sie nicht auf, für die Sache zu kämpfen.

Was ist das Ziel des Vereins „Hellwach mit 80 km/h“ ?

Schäfer: Wir wollen nicht die Fahrer direkt, sondern über die Spediteure überzeugen. Es gehört unternehmerischer Wille dazu, den Fahrern mit sanftem Druck, vielleicht mit Motivationsanreizen beizubringen, dass sie regeltreu und vor allem in Stauzonen aufmerksam und vorausschauend fahren.

Wie viele Mitglieder gibt es und wie groß ist die Schlagkraft des Vereins für seine Ziele?

Schäfer: Die Mitgliederzahl klingt mit 36 nicht besonders groß. Aber wir haben die zwei hiesigen Landesverbände der Spediteure dabei, außerdem die Berufsgenossenschaften Nahrungsmittel sowie Handel und Warenlogistik, die für Hunderttausend Ablade-Rampen in Deutschland zuständig ist, viele mittelständische Unternehmer und eine große Fahrschule. Es sind also viele Experten Mitglied. Mit dieser Expertise sind viele Dinge gereift, die wir verbreiten wollen.

Ein Problem sind betrunkene Lkw-Fahrer, die das Wochenende auf dem Rastplatz versaufen und sich dann am Sonntagabend mit deutlich Restalkohol wieder hinters Lenkrad setzen. Wie kann man diesem Problem Herr werden?

Schäfer: Zunächst zuckt jeder zusammen wenn, wenn ich sage, wir haben ein importiertes Alkoholikerproblem mit Fahrern aus Nicht-EU-Ländern. Bedingt durch den Fahrermangel haben besonders die großen Speditionen in Polen und Litauen in den letzten vier Jahren massiv Fahrer angeworben - vorrangig in den letzten zwei Jahren. Das summiert sich auf über 200 000 Nicht-Europäer aus Weißrussland, Usbekistan, Aserbeidschan - alle ohne Gesundheitsprüfung. Die EU sagt zwar, die müssen die MPU-Kriterien (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) erfüllen. Das wurde aber maximal auf dem Papier gecheckt. Es wurde am Anfang noch nicht mal geprüft, ob die überhaupt einen Führerschein haben. Es wird immer wieder kolportiert: Diese Fahrer seien fern der Heimat, traurig, mit Kindern und Familien zuhause und müssten deshalb zur Flasche greifen. Nein! 98 Prozent der Fahrer können mit dem Problem umgehen. Da lasse ich mit kein X für ein U vormachen. Es geht um etwa zwei Prozent. Und die haben ihre Krankheit schon von Zuhause mitgebracht.

Es gibt aber auch deutsche alkoholkranke Berufskraftfahrer.

Schäfer: Natürlich. Eine Million Menschen gelten in Deutschland als alkoholkrank,, weitere 1,7 Millionen als alkoholgefährdet. Darunter sind mit Sicherheit auch Berufskraftfahrer. Nur: Das traditionell gewachsene Trinkverhalten ist bei deutschen Alkoholikern anders als bei ost- oder außereuropäischen. Die sind viel näher am Wodka und anderen harten Sachen dran. Sie brauchen viel Training, um sich auf 4,7 Promille hochzusaufen.

Wieviel muss man denn trinken, um - sagen wir - zwei Promille Alkohol im Blut zu haben?

Schäfer: Sie schaffen es nicht, mit sozialem Trinkverhalten, also mit fünf Pils in fünf Stunden über ein Promille zu kommen. Das geht nur mit Beschleunigern und harten Sachen. Ein Mensch, der nur Bier trinkt, muss eine Badewanne leer saufen, um auf drei Promille zu kommen.

Bei alkoholkranken deutschen Lkw-Fahrern gibt es Sanktionsmöglichkeiten, wenn sie erwischt werden. Welche Möglichkeiten gibt es, ausländische Alkoholiker am Steuer aus dem Verkehr zu ziehen?

Schäfer: Es ist einfach, einen Alkoholauffälligen zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu veranlassen. Fällt ein Wiederholungstäter bei einem häuslichen Streit oder beim Ladendiebstahl mit zwei Promille auf - er muss gar nicht gefahren sein, hat aber den Führerschein - , dann bekommt er eine Einladung zur MPU. Deren Ergebnis muss er binnen drei Monaten vorlegen. Lässt er diese Frist verstreichen, untersagt ihm die Führerscheinbehörde das Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland. Gleiches gilt rechtstheoretisch auch für Ausländer. Aber die Verwaltungspraxis ist noch nicht so weit, dass sie diese Gefahr erkennt. Ab 1,6 Promille gilt ein Mensch als alkoholgewöhnt, die Schwelle zur MPU wäre überschritten. Gegenwärtig machen die örtlichen Führerscheinstellen da aber nicht mit. Und wir haben keine Handhabe bei der Erstauffälligkeit. Wenn man bedenkt, dass rund 300 000 osteuropäische Lkw-Fahrer in Deutschland unterwegs sind, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass man jemanden zweimal am gleichen Ort erwischt. Insofern ist dieses präventive Überwachungsinstrument für Osteuropäer ungeeignet.

Was wäre geeignet?

Schäfer: Wir sortieren am Sonntagabend auf Großparkplätzen aus den fast Hundert Prozent osteuropäischer Fahrer die zwei Prozent der Alkoholkranken aus. Die fallen auch auf. Denen nimmt man die Frachtpapiere ab und lässt sie ausnüchtern. Das dauert manchmal bis zum Montagabend. Man hat also einen gesamten Werktag Zeit, um ihn in die Verwaltungsmangel zu nehmen. Die Polizei schreibt eine Meldung an die Führerscheinbehörde. Die Verwaltung könnte ob der drohenden Gefahr gegen Leib und Leben den Sofortvollzug und eine MPU anordnen, versehen mit einer Dreimonatsfrist für das Ergebnis. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Usbeke oder Weißrusse daheim zu Arzt geht, ist relativ gering. Also könnte man nach drei Monaten diesem Menschen das Fahren von Kraftfahrzeugen in Deutschland untersagen, seinen Namen in die Fahndungssysteme einstellen. Wenn er dann nochmal kontrolliert wird, begeht er eine Straftat. Eigentlich müsste eine Maßnahme aber sofort wirken. Wer drei Promille hat, muss am nächsten Tag wieder trinken. Mit drei Promille reagiert man am Stauende nicht mehr.

Kann der Verein „Hellwach mit 80 km/h“ als Impulsgeber auf die Rechtssprechung einwirken?

Schäfer: Er kann auf die Verwaltungspraxis einwirken. Wir haben uns an die Petitionsausschüsse der Länder gerichtet. Mittlerweile habe ich auch schon drei Antworten bekommen. Der Tenor: Der deutsche Rechtsrahmen lasse eine solche Maßnahme nicht zu. Dann muss man ihn halt schaffen. Die Gefahr wächst. Wir hatten unlängst auf der A 40 einen Tanklastzug-Fahrer mit osteuropäischem Migrationshintergrund. Der hat seinen Tanklastzug mit 30 000 Liter Sprit an einen Brückenpfeiler gesetzt. Die Brücke ist abgebrannt. Streiche diesen Brückenpfeiler und nehme einen Schulbus mit 40 Kindern, die dann verbrennen. Dann führen wir eine ganz andere Diskussion. Aber wolle wir wirklich so lange warten?

Ein anderes Problem ist die Ablenkung am Steuer. Was kann man dagegen tun?

Schäfer: Das wird nur über die Einsicht der Nutzer funktionieren. Schon Kindergartenkinder bekommen Handys. Das ist ja grundsätzlich auch nicht schlecht. Aber laut Studien gibt es da auch viel Suchtpotenzial. Man muss das Bewusstsein schaffen, dass es eine gute und eine schlechte Smartphone-Nutzung gibt. Zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, bringen Sie einem Pubertierenden aber nicht mehr bei. Das Thema müsste in den Grundschulen standardisiert stattfinden. Später wirkt’s nicht mehr. Die Handynutzung am Fahrzeugsteuer ist eine Seuche. Wir brauchen eine Ächtung des Smartphones generell im Straßenverkehr.

Raserei ist eine weitere Todsünde im Straßenverkehr. Wie groß ist Ihre Genugtuung, dass das Land Baden-Württemberg nun elf so genannte Enforcement Trailer, also Anhänger mit integrierter Radarfalle, angeschafft hat? Sie haben lange Jahre dafür gekämpft.

Schäfer: Im Sinne der Verbesserung der Verkehrssicherheit ist das eine ganz große Genugtuung. Meine Idee war nicht, dem Land Einnahmen zu verschaffen - die Dinger amortisieren sich ja in wenigen Wochen. Wer in einer Gefahrensituation abgelenkt ist, braucht einen Weckreiz. Überall an Dauerbaustellen auf vielbefahrenen Autobahnen entstehen zum Teil über Jahre hinweg tägliche Staus. Staus verursachen Unfallgefahren. Wer abgelenkt ist, neigt dazu, aufs Stauende draufzurumpeln. An Dauerbaustellen auf hochfrequentierten Autobahnen sollten standardmäßig mit einer integrierten intelligenten Stauwarnanlage ausgestattet werden, die über Funk mit einem solchen Enforcement Trailer verbunden ist. Sobald sich ein Stau aufbaut, kann die Stauwarnanlage die Geschwindigkeit reduzieren. Der abgelenkte Lkw-Fahrer wird mit Tempo 80 geblitzt. Er bekommt nicht nur ein saftiges Bußgeld, sondern auch den Weckreiz, den er in diesem Moment braucht und der die Gefahr am Stauende verhindert. Wir sind technisch noch nicht so weit, dass diese Schnittstelle geschaffen ist. Aber, meine Idee ist bei den Herstellern angekommen. Diese brauchen einen Auftrag einer Länderverwaltung, damit in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig daran gearbeitet wird.

Sie haben sich auch einen Namen gemacht in ganz Deutschland, indem sie Jagd auf die sogenannten Auto-Protzer gemacht haben. Haben Sie das Thema eigentlich noch auf dem Schirm?

Schäfer: Klar. Bisher haben 13 Städte in ganz Deutschland unser Konzept übernommen, unter anderem Hamburg mit einer noch größeren Gruppe als in Mannheim. Die scheuen sich auch nicht davor, einen Lamborghini Aventador an den Haken zu nehmen, wenn er zu laut ist. Wir hatten jetzt diesen tödlichen Unfall bei einem illegalen Rennen auf der A 66 bei Wiesbaden. Beteiligt war ein Instagram-Star aus Frankfurt mit 1,1 Millionen Followern. Auf seinem Instagram-Profil - er sitzt in teuren Schuhen mit kurzen Hosen und Jackett neben seinem Pitbull-Terrier vor seinem Lamborghini Aventador, der in den Unfall verwickelt war - erntet er nur noch Beleidigungen. Wie schnell sich Anerkennung in Verachtung drehen kann, ist für mich immer wieder erschütterlich. Auch er hat ein faires Verfahren verdient. Natürlich muss er betraft werden - wenn man es ihm nachweisen kann, auch wegen Mordes. Aber unsere Gesellschaft schafft es nicht, solche Menschen, meist Männer aus Macho-Kulturen zu integrieren. Das sind Randgruppen, die genau dies brauchen, um in „ihrer“ Gesellschaft Geltung zu erlangen. Da fehlt es an Integrationswillen oder -möglichkeiten.

Sie haben im Laufe ihrer Karriere an vielen Stellen gewirkt und jetzt auch viele Themen mit in den Un-Ruhe-Stand genommen.

Schäfer: Es waren alles nachhaltige Maßnahmen, die bis heute wirken. Ich freue mich schon, wenn ich auch weiterhin gefragt werde. Auch die Initiative „Hellwach mit 80 km/h“ wird nicht mehr, wie Anfangs unter Präventionsprofis, belächelt, sondern in Fachkreisen anerkannt und unterstützt.

Dieter Schäfer

  • Der gebürtige Heidelberger wurde am 1. März 1980 Polizist.
  • Seine Karriere begann er als Streifenpolizist im Heidelberger Revier Nord.
  • Später wurde er Dienstgruppenleiter im Revier Mitte und wechselte 1994 schließlich nach Mannheim, wo er 1995 Leiter der Verkehrspolizei wurde.
  • Schäfer ist Vorstandsmitglied im Verein „Hellwach mit 80 km/h“.

 

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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