Erziehung

Die Gründerin von 256 Kinderpflegen

Regine Jolberg: Vor 225 geboren und in Heidelberg aufgewachsen, wurde sie eine Pionierin der frühkindlichen Bildung. Was ihr Lebenswerk ausmacht.

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Kinder sollten sich nach den Vorstellungen von Regine Jolberg so oft wie möglich in der Natur aufhalten. © Privatarchiv Adelhed von Hauff

Heidelberg. Sie wollte die soziale und religiöse Not ihrer Zeit lindern: Regine Jolberg (1800-1870) gründete 1840 im badischen Leutesheim bei Kehl eine der ersten Einrichtungen für Kleinkinder in Deutschland und bildete Kinderpflegerinnen aus. Sie wurde vor 225 Jahren, am 30. Juni 1800, in Frankfurt am Main geboren und starb am 5. März 1870 im badischen Nonnenweier (Ortenaukreis). Aufgewachsen ist sie in Heidelberg.

Jolberg sei eine „Protagonistin der frühkindlichen Bildung“ gewesen, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Adelheid von Hauff, die über Jolberg promoviert hat. Neben einer sozialpädagogischen Motivation sei es deren Anliegen gewesen, Kindern den christlichen Glauben durch das Erzählen biblischer Geschichten näherzubringen.

„Religiöse Sozialisation beginnt in früher Kindheit“

„Wenn wir heute davon sprechen, dass unsere Kindertageseinrichtungen ein religiöses Profil aufweisen müssen, dann ist es genau das, was Regine Jolberg beabsichtigte“, erklärt von Hauff, die auch Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Die religiöse Sozialisation beginne in früher Kindheit und habe eine große Bedeutung für die Glaubensentwicklung. Daher solle die Kirche trotz Sparmaßnahmen alles dafür tun, um weiter in Kindertagesstätten mit einem religiösen Profil wirken zu können.

Regine Jolberg ist das drittälteste von elf Kindern des jüdischen Handelskaufmanns David Zimmern und seiner Frau Sara. Als Kind jüdischer Eltern lernt sie Hebräisch, ohne wirklich in der jüdischen Religion unterwiesen zu sein. Das ist für Mädchen in dieser Zeit nicht unüblich. Als Vierzehnjährige besucht sie für zwei Jahre ein christliches Pensionat in ihrer Heidelberger Heimatstadt.

Mit 26 Jahren zum christlichen Glauben konvertiert

Ihr Bruder Sigmund, ein Rechtsgelehrter, ist der Erste im Kreis der Geschwister, der sich taufen lässt. Sie selbst tritt im Jahr 1826 zusammen mit ihrem zweiten Mann Salomon Jolberg und ihren beiden Töchtern aus erster Ehe zum christlichen Glauben über. Ihr erster Mann, der Jurist Leopold Joseph Neustetel, ist bereits 1825 verstorben.

Als sie mit 29 Jahren erneut Witwe wird, widmet sich Jolberg der Erziehung ihrer Töchter sowie der Pflege des alternden Vaters. Das elterliche Vermögen ermöglicht ihr ohne ein eigenes Einkommen, zunächst mit ihren Töchtern in Stuttgart und dann ab 1832 im Haus ihres Vaters in Heidelberg zu leben. 1840 übersiedelt sie von Heidelberg nach Leutesheim bei Kehl. Dort wirkte ein aus Heidelberg stammendes Pfarrerehepaar.

Ein Porträt von Regine Jolberg. © Diakonissenhaus Nonnenweier

Mutterhaus für Kinderpflege gegründet

Dort übernimmt sie die Aufgabe von Pfarrersfrau Friederike Fink. Sie sammelt die Kinder von Tagelöhnern ein zum Singen, Spielen, Basteln, Stricken und vor allem zum Erzählen biblischer Geschichten. Neben der Arbeitsschule für Mädchen und Knaben gründet sie 1844 ein „Mutterhaus für Kinderpflege“ zur Ausbildung von Kleinkinderpflegerinnen.

Jolberg hat genaue Vorstellungen. Sie setzt sich dafür ein, dass in Kinderpflegen nicht mehr als 60 Kinder in einer Gruppe sind und die Einrichtungen über einen großen Garten verfügen. Außerdem sollen die Kinderpflegerinnen in geeigneten Räumen wohnen und arbeiten sowie einen Erholungsurlaub von sechs Wochen jährlich haben. Nach Zeiten politischer Unruhen, in Baden tobt 1848 die Revolution, findet „Mutter Julie“, wie sie sich am liebsten nennen lässt, 1851 mit ihrer Anstalt eine neue Heimat in Nonnenweier.

Ihre Einrichtungen nennt Jolberg „Kinderpflegen“

Da die „Anstalten für das zarte Kindesalter keine Schulen im eigentlichen Sinn des Wortes sein sollen“, nennt Regine Jolberg die durch sie entstandenen Einrichtungen weder Kinderschulen noch Kleinkinderbewahranstalten, sondern Kinderpflegen. Denn Kinder sind ihrer Auffassung nach wie kleine Pflänzchen, die gepflegt und nicht nur aufbewahrt werden müssen. „Die Liebe ist die beste Erzieherin und Lehrerin“, schreibt Jolberg 1857. Sie macht Kindern Angebote, die diesen in ihrer Entwicklung helfen sollen – ohne Druck, aber mit Anleitung. Die Hochschätzung der kindlichen Individualität kennzeichnet ihre Pädagogik. Allerdings sieht auch sie, dass dem kleinen Kind Grenzen gesetzt werden, denn Freiheit sei keine Wilkür.

Insofern ist ihr bei der Erziehung von Kindern auch das Einhalten bestimmter Ordnungen wichtig. Dazu gehört etwa das Aufräumen. Auch Sport ist für sie zentral. Der Tagesablauf in den Kinderpflegen ist entsprechend strukturiert und beginnt mit Gesang, Gebet und dem Erzählen einer biblischen Geschichte. Für Regine Jolberg ist die Sprache das Medium, mit dem Kinder zum Glauben an Gott geführt werden sollen.

Regine Jolberg stirbt am 5. März 1870. Zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits 256 Kinderpflegen, die allesamt von ihr gegründet worden sind. epd/bjz

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