Rhein-Neckar. Es ist ein Vermächtnis der besonderen Art am Ende der Amtszeit: die ganz persönliche Hitparade, die sich scheidende Bundeskanzler beim Großen Zapfenstreich, dem feierlichen Abschiedszeremoniell, wünschen dürfen. Die Soldatinnen und Soldaten des Stabsmusikkorps der Bundeswehr studieren die Lieder der sogenannten Serenade eigens zu diesem Zweck ein, weil sie zuweilen nicht ins Standardrepertoire gehören. Und meist verbinden die Kanzler bei der Auswahl der Titel auch persönliche Vorlieben mit politischen Statements.
Drei Stücke hat jeder Amtsinhaber frei: So hat sich Olaf Scholz für seinen musikalischen Abschiedsgruß an diesem Montag drei stilistisch außerordentlich unterschiedliche Lieder gewünscht: „In My Life“ von den Beatles, vertonte Erinnerungen an liebgewordene Menschen und Orte. Als zweiten Titel will Scholz einen Auszug aus dem zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach hören. Sicher der bedeutungsvollste Titel dürfte der Soul-Klassiker „Respect“ von Otis Redding/Aretha Franklin sein. Forderte Scholz in seiner politischen Arbeit doch immer wieder Respekt. Es war auch der tragende Begriff seiner Wahlkämpfe.
Scholz’ Vorgängerin Angela Merkel hatte den DDR-Hit von Nina Hagen „Du hast den Farbfilm vergessen“ auf ihrem Wunschzettel stehen, dazu den Choral „Großer Gott, wir loben dich“ und den Schlager „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef. Gerhard Schröder ließ „Die Moritat von Mackie Messer“ aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ aufspielen, den Jazzstandard „Summertime“ und „My Way“ von Frank Sinatra.
Da hielt es Helmut Kohl bei seinem Abschied 1998 in der Pfalz doch deutlich traditioneller, wenngleich auch der Kanzler der Einheit es mit seiner Auswahl nicht an Symbolkraft mangeln ließ. Intonierte das Stabsmusikkorps der Bundeswehr doch auf dem Festplatz neben dem Speyerer Kaiserdom als beeindruckende Kulisse als ersten Titel die „Ode an die Freude“ von Ludwig van Beethoven. Das Musikstück aus dem vierten Satz der 9. Symphonie gilt als Europa-Hymne. Es folgten der Choral „Nun danket alle Gott“ und „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“.
Eingebettet war die Musik in ein festliches Zeremoniell für Kohl, der sich in seiner Ansprache herzenswarm ausdrücklich auch „an meine lieben Landsleute aus meiner pfälzischen Heimat“ wandte. Der Platz vor der Kulisse des Kaiserdoms „gehört für mich, und ich denke für viele, zu den eindrucksvollsten in ganz Deutschland“. Vor der Silhouette dieses Doms spüre man „in besonderer Weise die Einheit von deutscher und europäischer Geschichte“, begründete Kohl, warum er ausgerechnet hier seinen Abschied von der großen politischen Bühne inszeniert haben wollte. Hier könne man beinahe körperlich erfassen, was es heiße, Erfahrung der Geschichte in sich aufzunehmen und welche Chance dies biete, die Zukunft zu gestalten.
Den Zapfenstreich nutzte der Kanzler seinerzeit auch zum ausdrücklichen Dank an die Bundeswehr für deren Dienst für Frieden und Freiheit. „Die Wehrpflicht ist und bleibt für mich ein herausragender Ausdruck der Bürgerverantwortung in einer freiheitlichen Demokratie“, sagte Kohl. Es war ein Seitenhieb auf die Grünen, die seinerzeit die Wehrpflicht infrage stellten. Es ist ein Kuriosum der Geschichte, dass nicht die Grünen, sondern sein „Mädchen“ und Nach-Nachfolgerin Angela Merkel als CDU-Kanzlerin die Wehrpflicht abschaffte.
In einer anderen Prognose lag der Kanzler seinerzeit gründlich daneben: Nach dem friedlichen Vollzug der deutschen Einheit und der Überwindung des Ost-West-Konfliktes könne er zu seinem Ausscheiden als Bundeskanzler der jungen Generation sagen, „dass sie nach menschlichem Ermessen ihr ganzes kommendes Leben in einem neuen Jahrhundert in Frieden und Freiheit verbringen wird“. Ein fundamentaler Irrtum.
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