Michelstadt. Wenn Elon Musks Weltraumfirma SpaceX mal wieder ein paar Starlink-Satelliten in den Himmel schießt und diese dann wie eine Perlenkette übers Firmament sausen, dann weiß Hansjürgen Köhler: Seine Nachruhe kann er vergessen. Dann klingelt das Handy im Viertelstundentakt. Der gebürtige Mannheimer betreibt in Michelstadt im Odenwald das „Centrale Erforschungsnetz außergewöhnlicher Himmelsphänomene“ (CENAP). Die Ufo-Meldestelle ist seit fast 50 Jahren Ansprechpartner für alle Ratsuchenden, die scheinbar Unerklärliches am Himmel beobachtet haben. Am Freitag feierte Köhler vorab ein kleines Jubiläum: Um 1.30 Uhr ging die insgesamt 10 000. Anfrage bei ihm ein.
„Schon fast 50 Jahre bin ich auf Geisterjagd“, schmunzelt der 66-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion. Auf Spuren außerirdischen Lebens ist er freilich noch nicht gestoßen. Die allermeisten Sichtungen am Himmel können er und seine vier bis fünf Mitstreiter als natürliche Phänomene erklären, eben als Satelliten oder Planeten, die besonders hell strahlen, als Wetterballons oder als Lichtfinger, die bei großen Party aus Beamern über den Himmel huschen. Nur für etwa 1,5 Prozent hat er keine Erklärung geben können. „Aber das sind alles keine Hinweise auf den Besuch von kleinen grünen Männchen. In den Fällen haben schlicht nicht genügend Daten vorgelegen“, sagt er. Wie solle man auch Fälle aufklären, von denen die Beobachter erst Wochen oder Monate nach dem Ereignis nachfragen und dann noch nicht mal das genaue Datum wüssten.
Verglühende Raketenstufe
Highlights hat Köhler freilich in seiner Laufbahn als Ufo-Jäger genügend erlebt. Etwa an Heiligabend des Jahres 2011. Gegen 17 Uhr flog die schöne Bescherung über den Himmel, die Weihnachten für ihn ausfallen ließ. Ein Riesenlichtspektakel erhellte da das Firmament, beobachtet von Bürgerinnen und Bürgern auf dem Weg zur Christmette oder Bescherung bei Freunden und Verwandten - also zur allerbesten „Sendezeit“. Das vermeintliche Ufo entpuppte sich als russische Raketenstufe, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre zerbrach und in prächtigem Lichterglanz inklusive Schweif verglühte. „Da konnte ich Weihnachten vergessen. Da war Telefondienst angesagt.“
Die 10 000. Sichtung
- Am frühen Freitagmorgen gegen 1.30 Uhr ging die 10 000. Anfrage bei der Ufo-Meldestelle von Hansjürgen Köhler ein: Eine Frau aus Wimsheim bei Pforzheim hatte beim Rauchen einen hell blinkenden Lichtpunkt am tiefen Horizont entdeckt und konnte sich keinen Reim darauf machen.
- Es handelte sich um den Fixstern Sirius, der zu den hellsten Sternen am nördlichen Sternenhimmel zählt. Durch seinen tiefen Stand über dem Horizont blinkt er durch die Atmosphäre bläulich-weiß.
Dann gab es die Lichtkugel, die der Besitzer einer Infrarot-Wildkamera auf den Bildern sah. Da flog eine weiße Kugel durchs Bild, machte völlig untypische Flugbewegungen, wurde plötzlich hell und war unvermittelt wieder weg. Eineinhalb Wochen grübelten Köhler und sein Netzwerk über diese Lichtkugel, bis Nachfragen und Beobachtungen am Standplatz der Kamera die Erleuchtung brachten. Das vermeintliche Ufo war eine kleine Spinne, die sich direkt vor dem Objektiv der Kamera abgeseilt hatte. Das konnte der Autofokus aber gar nicht erfassen. „Es war der normale Bewegungsablauf einer Spinne, den wir dann wunderbar nachvollziehen konnten.“ Mittlerweile müsse er also nicht nur aktuelle Planetenkonstellationen, den Start von Satelliten und die Bahn der Raumstation ISS präsent haben, sondern auch fototechnisches Grundwissen. „Man braucht manchmal detektivischen Spürsinn“, schmunzelt Köhler.
Kein Thema mehr sind die chinesischen Himmelslaternen, die Anfang der 2000er Jahre die Menschen vor Rätsel stellten. „Da waren plötzlich 30 bis 40 orangerote Lichtpunkte zu sehen, und das fast jeden Abend irgendwo anders.“ Seit die fliegenden Kerzen Brände ausgeöst haben und verboten sind, sind sie kein Thema mehr für CENAP. Dafür sorgen Drohnen am Nachthimmel mit einem sehr unnatürlichen Flugverhalten für neues Rätselraten. Vor allem Industriedrohnen, weiß Köhler, sind nachts unterwegs, um ungestört Überlandleitungen zu kontrollieren oder Messungen vorzunehmen.
Die Mondlandung wirkt nach
Begonnen hat die Begeisterung Köhlers für den Sternenhimmel und die Astronomie mit der Mondlandung 1969. Die Fernsehübertragung des ersten Mannes auf dem Mond hat die lebenslange Leidenschaft geweckt. Mit seinem Freund Werner Walter radelte er als Schüler von Mannheim zur Sternwarte Schriesheim, um den Himmel zu beobachten. Dort erlebten die Freunde auch, dass immer wieder Bürger anriefen, die scheinbar Unerklärliches beobachtet hatten und nach Erklärungen suchten. Daraus entwickelten Köhler und Werner ihr CENAP - kostenlos für die Anrufer.
Auch wenn Köhler als gelernter Kaufmann die Astronomie nur als Hobby betreibt: Längst ist er nicht nur bei Fans eine Kapazität seines Fachs. Sogar die Europäische Weltraumagentur ESA und die Deutsche Flugsicherung verweisen Anrufer mit deren Beobachtungen an CENAP - ein Ritterschlag für den Mann, der seit vergangenem Jahr pensioniert ist und sich nun quasi rund um die Uhr den vermeintlichen Ufos widmen kann
Ein besonderes fotografisches Schnäppchen hat Köhler von Forschern in den Lofoten ergattert. Die hatten die Nordlichter ins Visier genommen, als plötzlich ein weißer Schweif im grün wabernden Sonnenwind aufblitzte. Köhler betrachtete die Fotos, machte sich schlau und hatte schnell die Lösung. Es war ein sogenannter Burn-up: Eine Trägerrakete hatte den Resttreibstoff gezündet, um in eine höhere Umlaufbahn zu gelangen. Angestrahlt von der Sonne war der Schweif in ganz Europa zu sehen. Köhler gab den Forschern die Erklärung und freute sich über das qualitativ hochwertige Fotodokument eines „Ufos“, senden ihm die meisten Zeitgenossen doch unscharfe verwackelte Handyvideos oder Fotos, auf denen kaum etwas zu erkennen ist.
Dabei sind es weniger die Freaks, die bei CENAP die Bestätigung für das Auftauchen der Aliens auf der Erde suchen, sondern vielmehr die wirklich Ratsuchenden, die ein ihnen unerklärliches Phänomen erklärt haben wollen. Auch das Wetter spielt bei Köhlers Leidenschaft eine große Rolle. Denn vor allem am wolkenlosen Himmel machen die Menschen ihre Beobachtungen. Köhler weiß: Die Ufos kommen nur bei gutem Wetter.
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