Weinheim. Der Arbeitstag der Kolonne aus Mitarbeitern der Straßenmeisterei des Rhein-Neckar-Kreises und mehrerer Fremdfirmen beginnt um 20 Uhr. In der Betriebszentrale West an der Tunneleinfahrt bei Weinheim drückt der Kollege pünktlich zum Zeitsignal aus dem Radio den Knopf, der den Tunnel sperrt. Die Ampeln an der Einfahrt schalten auf rot, die Schranken senken sich. Auf zahlreichen Verkehrsschildern entlang der B 38 und ihrer Zufahrten klappen die Lamellen um und zeigen an: Der Saukopftunnel ist dicht. Bis um 5 Uhr am Morgen sind die Fachleute in dem 2,7 Kilometer langen Bauwerk unterwegs - und das die ganze Woche lang. Im Blick haben sie die zahlreichen Sicherheitseinrichtungen. Tests werden durchgeführt, kleine Defekte behoben - alles Arbeiten, die im laufenden Verkehr gar nicht möglich wären. Denn im Ernstfall müssen die Systeme reibungslos laufen.
Der Saukopftunnel
- Der Tunnel ist mit 2715 Metern der längste Tunnel mit Begegnungsverkehr in Mitteleuropa außerhalb der Alpen.
- Er führt die B 38 von Weinheim nach Birkenau.
- Eröffnet wurde er im Dezember 1999 und entlastet den Durchgangsverkehr im engen Weschnitztal.
- Erbaut hat ihn das Land Hessen, den Betrieb übernimmt der Rhein-Neckar-Kreis im Auftrag Baden-Württembergs.
- Beim bislang letzten ADAC-Tunneltest 2015 erhielt der Saukopftunnel die Bestnote „sehr gut“. bjz
Wie gut die Technik funktioniert, hat sie gerade erst wieder bewiesen. Am 22. Mai gab es einen schweren Unfall mit sieben zum Teil schwer Verletzten und sechs Fahrzeugen. Es war der Geistesgegenwart eines zufällig vorbeifahrenden Feuerwehrmanns zu verdanken, dass nicht noch weitere Autos in die Unfallstelle krachten. Der Mann hob einen Feuerlöscher aus seiner Halterung in einem der Sicherheitsschränke in der Tunnelwand. Alleine dieser Vorgang löst die sofortige Sperrung des Tunnels aus, weil die Technik auf ein Brandszenario schließt.
„Wir haben einen Schutzengel in diesem Tunnel“, sagt Benjamin May, der Sicherheitsbeauftragte für die vier Tunnel des Rhein-Neckar-Kreises und Leiter der technischen Anlagen beim Straßen- und Radwegebau des Rhein-Neckar-Kreises. Denn die Unfallverursacherin, die vermutlich einen medizinischen Notfall erlitt, fuhr ein E-Auto. Wenn dieses Feuer gefangen hätte, hätten die Sicherheitsmaßnahmen vermutlich kaum gefruchtet - E-Autos sind kaum zu löschen.
Es gibt nur eine Röhre - ein Sicherheitsmanko
Ein Unfallsachverständiger nutzt an diesem Montagabend nun die Tunnelsperrung, um die Abfolge des Unfalls noch einmal zu prüfen. Die Staatsanwaltschaft hat ihn beauftragt, um Klarheit in die Ereignisse zu bringen. Mit einer Kamera filmt er die gut 250 Meter lange Unfallstelle ab, die durch die Kreidestriche auf der Fahrbahn und Schleifspuren an den Wänden noch sehr deutlich zu sehen ist.
Das große Sicherheitsmanko des Saukopftunnels: Es gibt nur eine Röhre. Das heißt, der Verkehr begegnet sich. „Bei dem heutigen Verkehrsaufkommen würde der Tunnel vermutlich gar nicht mehr so gebaut werden“, sagt Benjamin May. Denn an Werktagen passieren rund 24 000 Fahrzeuge den Tunnel. Nur am Wochenende ist mit 15 000 bis 18 000 Fahrzeugen weniger los. Wenn die Zahl am Samstag und Sonntag auch auf über 20 000 steigt, werde man sich bei den Straßenbaubehörden Gedanken über eine zweite Röhre machen müssen, so May.
Die vermutlich wichtigste Sicherheitseinrichtung ist die Be- und Entlüftung des Tunnels. Riesige Lüfteranlagen an den Eingängen schaffen einen Durchsatz von 100 Kubikmetern pro Sekunde über eigene Röhren oberhalb der Fahrbahn. In der Mitte des Tunnels werden unter Volllast sogar 200 Kubikmeter pro Sekunde verbrauchte Tunnelluft durch den knapp 200 Meter hohen Kamin hinausgeblasen.
Doch die komplexe und intelligente Lüftungssteuerung kann noch sehr viel mehr. Während früher die ganze 2,7 Kilometer lange Röhre durchgepustet wurde, greift heute ein ganz anderes System. Die Steuerung öffnet die Lüftungsklappen rund um den Brandort und sorgt durch gezielte Zirkulation dafür, dass die Rauchschwaden nicht weiter in den Tunnel hineinwabern können, sondern eng begrenzt am Brandherd abgeleitet werden. So wird sichergestellt, dass sich Unfallopfer schnell selbst in die Sicherheit des parallel verlaufenden Fluchtstollens retten können.
Außerdem können Einsatzkräfte die Unfallstelle schnell erreichen. „Denn wenn es keine Belüftung gäbe, wäre der Tunnel bei einem Fahrzeugbrand auf seine komplette Länge binnen 20 Sekunden verraucht“, sagt May. Deshalb werde der Tunnel sofort sofort gesperrt, wenn die Be- und Entlüftung nicht funktioniert, versichert der Sicherheitsexperte. Das gilt auch für den Fall des Stromausfalls. Es gibt zwar Ringleitungen, die verschiedene Systeme permanent unter Spannung halten. Wird jedoch die zentrale Stromzufuhr unterbrochen, ist der Tunnel sofort dicht.
Zwei Brände erlebt
„In 99 Prozent aller Fälle läuft der Betrieb völlig reibungslos, in einem Prozent aber nicht. Und auf dieses eine Prozent müssen wir vorbereitet sein“, bekräftigt Benjamin May. Zwei Brände hat der Saukopftunnel immerhin schon erlebt. Einmal bei einem tödlichen Unfall im Dezember 2000, als ein Autofahrer gegen die Wand einer Nothaltebucht prallte, und dann 2010 ein Feuer in einem Technikraum, das den Tunnel ebenfalls für mehrere Tage stilllegte.
Dass in der Röhre sieben Radiosender ohne Funkunterbrechung zu hören sind, hat übrigens auch Sicherheitsgründe. Im Zweifel können sich Einsatzkräfte und Polizei direkt auf die Autoradios der Fahrzeuge im Tunnel aufschalten und die Verkehrsteilnehmer entsprechend warnen und informieren. Nicht zuletzt deshalb steht auf Schildern an den Einfahrten der Hinweis „Radio einschalten“.
Ein weiteres Thema beschäftigt Benjamin May und seine Mannschaft wohl künftig noch mehr. Die Tunneltechnik verbraucht im Monat Strom für rund 30 000 Euro. „Energiesparen ist ein Riesenthema“, sagt er. Ideen zu Einsparmaßnahmen gibt es schon. Aber May versichert: „Sie gehen in keinem Fall zu Lasten der Sicherheit des Tunnels.“
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