Justiz

Cold Case Jutta Hoffmann: Was weiß der Angeklagte?

Die 15-jährige Jutta Hoffmann aus Lindenfels wurde vergewaltigt und ermordet. 37 Jahre später hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. Was nach vier Prozesstagen über die Tat und den Mann bekannt ist

Von 
Agnes Polewka
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Jutta Hoffmann wurde vor 37 Jahren ermordet - in Darmstadt steht nun ein Mann vor Gericht, der die damals 15-Jährige vergewaltigt und umgebracht haben soll. © LKA

Lindenfels. Der 29. Juni 1986 markiert eine Zäsur im Leben von Familie Hoffmann aus Lindenfels (Kreis Bergstraße), unterteilt es in ein „Davor“ und in ein „Danach“. An diesem Tag verschwand Jutta Hoffmann nach einem Schwimmbadbesuch in ihrem Heimatort. Zurück blieben ihre Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern, die anderthalb Jahre später erfuhren: Jutta ist tot.  

37 Jahre danach sitzen die Mutter, der Vater – beide sind heute weit über 80 - und zwei Geschwister im Sitzungssaal 213 des Darmstädter Landgerichts dem Mann gegenüber, der Jutta Hoffmann vergewaltigt, ermordet und sie dann vergraben haben soll: Peter F., 62, ein mehrfach vorbestrafter Sexualstraftäter. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Mordes gegen ihn erhoben.

"Wollen die Möglichkeiten, die wir als Polizisten haben, in Anspruch nehmen."
Ermittler

Am vierten Prozesstag berichtet ein Ermittler vom hessischen Landeskriminalamt (LKA), wie er am 23. März diesen Jahres nach Schleswig-Holstein fuhr, wo sich Peter F.  im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus befand. Dort war er seit 2012 untergebracht, Grundlage dafür war ein Urteil des Landgerichts Kiel.

"Aktenzeichen XY...ungelöst" hat wichtige Rolle gespielt

Am Abend vor dem Besuch des Ermittlers in der Klinik in Norddeutschland war eine Folge der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“ ausgestrahlt worden. Seine Kollegin Tanja Becker war im Studio in München zu Gast, erklärte, es gebe neue Hinweise im Fall der ermordeten Jutta Hoffmann und lancierte einen Hinweis - offenbar um den mutmaßlichen Täter Peter F. aus der Reserve zu locken.

Der Polizeibeamte gibt an, er habe Peter F. darüber informiert, dass gegen ihn ermittelt werde, und dass weitere Maßnahmen anstünden. Allerdings erst am nächsten Tag, denn die Ermittlungsführerin Tanja Becker habe aus München nach Norddeutschland reisen müssen.  Offenbar wollte man durch die frühe Ankündigung weiterer Maßnahmen noch etwas anderes bezwecken. „Das diente doch dazu, Druck auf Herrn F. auszuüben?“, fragt der Vorsitzende Richter Volker Wagner.

Verdeckter Ermittler gab sich als Praktikant aus

„Wir wollten die Möglichkeiten, die wir als Polizisten haben, in Anspruch nehmen“, sagt der Ermittler.

Die Beamten hatten einen verdeckten Ermittler eingeschleust, der sich als Praktikant in dem psychiatrischen Krankenhaus ausgab und offenbar den Auftrag hatte, Peter F. in diesen Stunden zu beobachten. Noch steht nicht fest, ob und wann der verdeckte Ermittler als Zeuge vor Gericht gehört werden wird.

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Dass die Ausstrahlung der Episode den 62-Jährigen beschäftigt habe, schilderte ein Pfleger der Klinik bereits am Dienstagnachmittag vor Gericht. Peter F. soll mit ihm über die Sendung gesprochen haben, darüber, dass Jutta Hoffmann mit einem Messer ermordet worden sei. Und er soll sich gewundert haben, dass man die Leiche nicht fand, insbesondere deshalb, weil ein vermisster Senior doch kurz nach dem Verschwinden der Jugendlichen dehydriert und „blutüberströmt“ in dem Waldstück in der Nähe des Schwimmbads aufgefunden worden sei. Und zwar an einer Stelle, die nur zehn, vielleicht 15 Meter entfernt von der Erdgrube lag, in der sich die Leiche befunden habe.

Wusste Peter F. Dinge, die womöglich nur der Täter wissen kann?

Woher wusste Peter F.  von dem Messer, das er erwähnt haben soll? Und woher wusste er, dass der orientierungslose Senior, der sich wahrscheinlich verlaufen hatte, „blutüberströmt“ war? Und wo er gefunden wurde, wie es der Pfleger berichtete? Obwohl die Sendung diese Details aussparte? Dass es sich dabei um Täterwissen handelt, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Und diese Fragen treiben auch den Vorsitzenden Richter um. Akribisch fragt Volker Wagner nach, wieder und wieder, bei dem Pfleger, dem Ermittler und bei anderen Zeugen, er versucht Beweismittel und Aussagen zusammenzuführen, in diesem besonderen Prozess, in dem die Erinnerungen nach 37 Jahren verschwimmen, in dem viele Zeugen längst tot sind, Akten schon vor Jahren geschreddert wurden.

"Peter F. hat keine besonderen sexuellen Vorlieben."
Ehefrau von Peter F.

Wagner befragt am Mittwoch eine weitere Ermittlerin, die Internetforen nach den Details durchsucht hat, die Peter F. gegenüber dem Pfleger geäußert haben soll. „Bis zu seiner Festnahme fand sich darin kein Wort zu einem Messer“, sagt sie.

Peter F. hält den Blick gesenkt, es geht ihm nicht gut, lässt er über seinen Verteidiger verlauten. Die Medikamentengabe in der JVA klappe nicht gut, er habe sein Beruhigungsmittel nicht erhalten, und er bekomme  Morddrohungen, berichtet er später selbst.

Zeugen berichten über Peter F.

Die Momente, in denen man Peter F.s Stimme im Gerichtssaal hört, sind selten. Er hat sich bislang nicht zu Vorwürfen geäußert und auch nichts dazu gesagt, wie es ihm in seinem Leben erging.  Was die Kammer an diesen ersten vier Prozesstagen über ihn erfahren hat, berichteten andere. Brüder, die von einem aggressiven Vater sprachen, der viel trank. Schwestern, die andeuteten, sexuelle Gewalt durch den Vater erfahren zu haben. Eine Ehefrau, die keine besonderen sexuellen Vorlieben bemerkte und eine Bewährungshelferin, mit der er durchaus über sexuelle Gewaltfantasien sprach, vor allem, nachdem er das Medikament Androcur abgesetzt hatte, das den Geschlechtstrieb mindert.

Auch seine beiden Söhne sprachen - schon am ersten Prozesstag - im Zeugenstand über den Vater, einer von ihnen auch über ein abgehörtes Telefonat, in dem er den 29. Juni 1986 erwähnt haben soll. Und seinen Vater,Peter F., der an diesem Tag in Lindenfels gewesen sein soll, gemeinsam mit einem Freund.

Während der Begleiter aufbrach, um Fußball zu schauen  – es war der Abend des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft – habe F. noch „etwas zu erledigen“ gehabt. Der Sohn gab an, diese Informationen  im Internet gefunden zu haben, während der Blick seines Vaters auf ihm ruhte.

Redaktion

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