Herxheim. Das Theater Chawwerusch besteht seit 40 Jahren und ist im südpfälzischen Herxheim bei Landau zu Hause. Hier hat das professionelle Theaterkollektiv seine eigene Spielstätte.
Derzeit steht ein Generationenwechsel bevor. 2024 wird Geburtstag gefeiert. Wir haben deshalb mit zwei Ensemblemitgliedern gesprochen: Felix S. Felix – Schauspielerin der ersten Stunde und künstlerische Leitung – sowie Danilo Fioriti. Er ist mit 38 Jahren der Jüngste im Ensemble.
Frau Felix, Herr Fioriti, 40 Jahre sind kein rundes Jubiläum. Trotzdem soll gefeiert werden. Was war der eigentliche Anlass?
Felix S. Felix: Wir feiern durchaus einen runden Geburtstag, nämlich zehn Jahre junge Sparte „Expedition Chawwerusch“ und 40 Jahre Theater Chawwerusch Theater. Also insgesamt 50 Jahre.
Was überwiegt: Stolz auf das Geleistete und Zuversicht? Oder Bedauern und Sorge?
Felix: Ich kann immer mehr schätzen, was wir als freies Theater geschafft, welches regionale Netzwerk wir aufgebaut haben und wie treu unser Publikum ist. Das beflügelt uns, weiterzumachen. Gemeinsam mit den jüngeren Ensemblemitgliedern arbeiten wir am Wechsel von Alt zu Neu. Es ist ein gutes Gefühl, ein solches Projekt in jüngere und kompetente Hände geben zu können.
Wo kommen die Neuen her?
Danilo Fioriti: Der Verjüngungsprozess hat schon vor zwölf Jahren begonnen, vor allem mit dem Aufbau der „Expedition Chawwerusch“ als junger Sparte. Ich selbst habe seit zehn Jahren immer mal wieder als Gastautor für Chawwerusch geschrieben. Im Sommer 2022 bin ich für einen anderen Schauspieler eingesprungen und seit Januar dieses Jahres bin ich als festes Ensemblemitglied Teil des Kollektivs.
Chawwerusch-Theater
- Chawwerusch ist ein professionelles Theaterkollektiv mit eigener Spielstätte in Herxheim bei Landau.
- „Chawwerusch“ leitet sich von Chawer (Kamerad, Gefährte), einem spätmittelalterlichen sondersprachlichen Begriff, ab und bedeutet Bande.
- Seit seiner Gründung 1984 hat das Theater nach eigenen Angaben mehr als 120 Stücke auf die Bühne gebracht.
- Eigenproduktionen, aber auch Projekte mit Amateuren dokumentieren: Chawwerusch will nicht nur Theater fürs Publikum machen, sondern auch mit ihm.
- Hierfür wurde das Theater vielfach mit Kulturpreisen ausgezeichnet. Die „Expedition Chawwerusch“ ist seit 2014 die junge Sparte des Theaters.
- Die Theaterleute bieten auch theaterpädagogische Workshops an, etwa an Schulen. Der Trägerverein „Spurensicherung und Volkstheater“ zählt rund 360 Mitglieder.
- Ab Januar lädt Chawwerusch zu mehreren Jubiläumsveranstaltungen ein. Eine Neufassung des Don Quijote von Cervantes feiert aus Anlass des Theatergeburtstages am 15. Juni Premiere.
- Infos im Internet: www.chawwerusch.de
Chawwerusch führt vor allem eigene Stücke auf. Ist also die Doppelbegabung – Schauspieler und Autor – konstitutiv?
Fioriti: Die meisten Ensemblemitglieder stehen auf der Bühne. Alle sind aber auch hinter der Bühne aktiv. Unser großes Freilichtstück „Don Quijote“, das im Juni 2024 Premiere feiern wird, habe ich geschrieben. Es wird von fünf Ensemblemitgliedern und einer Gastschauspielerin aufgeführt. Aber wir sind auch als Produzenten tätig. Für die Finanzen ist das Kollektiv verantwortlich.
An der Kultur wird gespart. Bekommen Sie das auch zu spüren?
Felix: Tatsächlich sind wir in diesem Jahr mit heftigen Kürzungen konfrontiert worden. Wir haben uns bisher als elementarer Bestandteil der Südpfalz gesehen. Für viele Leute sind wir nicht mehr wegzudenken. Aber die Sicherheit ist verloren gegangen. Was wir hier machen, scheint auf einmal nicht mehr selbstverständlich zu sein. Zum Glück haben wir mehrere Förderquellen: Kommunen, Kreis und Land sowie Sponsoren. Und einen erheblichen Anteil der Finanzen spielen wir selbst ein.
Was würden Sie einem Politiker auf die Frage antworten, warum es heute noch ein Theater geben muss?
Felix: Ich würde den Leuten, die derzeit so munter den Rotstift spitzen, empfehlen, ein Praktikum bei uns zu absolvieren. Es wird nämlich oft verkannt, was hinter einem Theater alles steht und was alles zu tun ist, um eine Aufführung auf die Bühne zu bringen.
Fioriti: Durch Corona hat sich die Entwicklung verschärft, dass Menschen eher zu Hause bleiben, gerade auch hier auf dem Land. Theater schafft einen öffentlichen Raum.
Felix: Theater kreiert einen Ort der Begegnung, des Gesprächs, der Auseinandersetzung. Und: Theater ist ein Ort für Visionen. Das Unmögliche denken – das muss zelebriert und sichtbar gemacht werden.
Inwieweit muss Theater mit Streamingdiensten wie Netflix & Co. konkurrieren?
Felix: Theater bietet ein absolutes Live-Erlebnis. Für alle Beteiligten geschehen unerwartete Dinge. Das lässt sich durch andere Medien nicht ersetzen. Was Theater in erster Linie ausmacht, sind die Möglichkeiten der Kommunikation.
Was liegt an Themen, die Sie künstlerisch aufgreifen, aktuell auf dem Tisch?
Fioriti: Das Älterwerden der Gesellschaft, die Spannung zwischen den Generationen, der politische Rechtsruck.
Sehen Sie durch Cancel Culture die Freiheit des Theaters eingeengt?
Felix: Für uns ist eher das Problem der kulturellen Aneignung ein Thema. Wir denken oft darüber nach, ob wir berechtigt sind, einen bestimmten Stoff aufzugreifen, ob wir da nah genug dran sind. Andererseits kann es nicht sein, dass Nazis nur von Nazis oder Juden nur von Juden gespielt werden können. Es ist das Wesen von Theater, dass man als Schauspieler in eine andere Figur schlüpfen kann.
Gibt es Grenzen des Humors?
Felix: Die gab es schon immer. Für uns muss das Lachen über andere gebrochen sein, es darf den, über den man lacht, nicht der Lächerlichkeit preisgeben.
Wie lassen sich Kinder und Jugendliche für Theater begeistern?
Fioriti: Mit den Angeboten unserer jungen Sparte, der „Expedition Chawwerusch“, sprechen wir Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an. Wir haben zehn professionelle Produktionen entwickelt; die jüngste heißt „Livename“. Sie widmet sich hochaktuellen gesellschaftlichen Themen wie Gendern oder dem binären Geschlechtermodell. Theaterpädagogisch sind wir mit Workshops und Projekten an Schulen. In unserem Jugendclub „Theaterscouts“ machen derzeit 18 Heranwachsende zwischen zwölf und 27 Jahren mit. Gerade arbeiten sie an Szenen zum Thema „Wald“, die im September 2024 aufgeführt werden.
Was begeistert Sie am Theater?
Felix: Ich schätze die Phasen von der Entwicklung eines Stückes bis zur Aufführung. Im Frühstadium gibt es einen Moment, in dem alles möglich ist. Und auf der Bühne kommt dann ein Moment, in dem ich die Figur, die ich spiele, auch wirklich bin, ohne nachdenken zu müssen.
Welche Wünsche gibt es zum Geburtstag von Chawwerusch?
Felix: Dass trotz der Kürzungen die Einsicht überwiegt, dass unser Theater als feste Größe der Kulturlandschaft erhalten bleibt.
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