Schriesheim. Ralph Eckerle hat eine spannende Aufgabe. Der junge Diplom-Ingenieur mit dem Titel eines Oberbaurates ist Bauleiter der größten Straßenbaustelle der Region: des Branichtunnels in Schriesheim an der Bergstraße. Und das noch anderthalb Jahre, bis 2016 das 85-Millionen-Euro-Bauwerk eröffnet wird.
Seit dem Tunnel-Anschlag Anfang 2012 residiert Eckerle in einer großen Containersiedlung am Westportal des Tunnels. Fast eine kleine Stadt. Das mit dem Landeswappen versehene Schild "Regierungspräsidium Karlsruhe, Dienstsitz Heidelberg, Bauleitung Branich-Tunnel" verleiht der Konstruktion sogar einen leicht offiziellen Charakter.
Nur 20 bis 30 Arbeiter
Hier wird gearbeitet - von der staatlichen Bauleitung, den privaten Firmen -, daneben aber auch gewohnt, von den Arbeitern, die hier tätig sind.
Dabei ist erstaunlich, wie wenige Menschen diese Großbaustelle am Laufen halten. 20 bis 30 sind es derzeit. "Selbst in den Spitzenzeiten waren es nur 50 bis 60", erzählt Eckerle. Sie stammen vor allem aus zwei weltbekannten Unternehmen: Züblin kümmert sich um den Tunnel, Strabag um den Straßenbau.
Unfälle hat es - toi, toi, toi - bislang nicht gegeben. "Bis auf einen gequetschten Daumen und so was", sagt Eckerle. Der eigens eingerichtete Landeplatz für den Rettungshubschrauber musste noch nie benutzt werden - der traditionsgemäß als Figur am Eingang wachenden Tunnelheiligen Barbara sei Dank.
Trotzdem: Weste in Leuchtfarben, Schutzhelm, Gummistiefel sind auch für uns unerlässlich, als wir mit Eckerle den Tunnel befahren - ein Erlebnis, das bislang nur wenige genossen haben. Unwillkürlich in den Sinn kommt einem dabei der legendäre Satz aus dem Vorspann der Kultserie "Raumschiff Enterprise" - von "unendlichen Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat".
Die Straße im Innern ist noch nicht ausgebaut. Es ist holprig. Und im unfertigen Zustand ist der Platz knapp. Immer wieder müssen wir uns an riesigen Baufahrzeugen vorbeizwängen. Eines ist so breit, dass die linken Reifen unseres Wagens einen Graben befahren müssen, der an der Seite für die Wasserleitung gezogen ist. "Da kommen wir auch ohne Allradantrieb raus", lächelt Eckerle. Er behält Recht.
Vom Straßenbelag und der Technik abgesehen, ist das Tunnelbauwerk fertig; Regen und Schnee können den Arbeiten und dem Zeitplan hier drinnen jetzt nicht mehr viel anhaben. Die Wände bestehen aus Stahlbeton, gegossen in Blöcken von zwölf Metern. Die Spuren der Verschalung sind deutlich zu erkennen.
Über der Tunnelröhre liegen bis zu 120 Meter Erdreich des Branich, zumeist Granit, der mühsam weggesprengt werden musste. Rechnerisch ergibt dies ein Gewicht von 250 Tonnen je Quadratmeter!
Die ersten hundert Meter der Tunnelröhre haben die Form eines Gewölbes, am Scheitelpunkt 7,20 Meter hoch. Der Großteil misst jedoch nur 5,10 Meter; hier ist die Decke abgehängt. Drüber wird die Belüftungstechnik ihren Platz haben. Entsteht Rauchentwicklung, melden Detektoren dies an das Betriebsgebäude am Westportal, von wo aus die Rauchabzugsklappen an der Tunneldecke geöffnet werden. Im Weinheimer Saukopf-Tunnel wurde das erfolgreich simuliert - "mit Disco-Nebel", wie Eckerle berichtet.
Modernste Sicherheitstechnik
Im Normalfall jedoch wird es keiner künstlichen Belüftung des Tunnels bedürfen. "Die Steigung im Tunnel von West nach Ost beträgt 36 Meter", erläutert Eckerle. Dies und der eigene Fahrtwind der Autos sorgen für ausreichend Sauerstoff im Innern. Sollte es doch mal anders kommen, setzen sich automatisch sieben riesige Ventilatoren in Bewegung. Im Endausbau hat die Tunnelstraße eine Breite von 7,50 Meter, 3,75 je Richtung. Als wir auf der noch nicht ausgebauten Fahrbahn stehen, erscheint uns das ein wenig knapp. "Das täuscht", weiß Eckerle. "Man hält die Straße immer für schmaler und das Auto für breiter, als sie wirklich sind." Bei 1,80 Metern Stoßstangenlänge eines Pkw besteht jedoch ausreichend "Luft". Neben der Fahrbahn verläuft ein meterbreiter Not-Gehweg, in regelmäßigen Abständen sind Pannenbuchten ausgespart. Denn Sicherheit ist hier oberstes Gebot. Auf der Fahrbahn werden 144 bunte Lampen angebracht, alle 120 Meter besteht eine Nische mit Notrufstation, alle 120 Meter ein Hydrant für die Feuerwehr.
Fünf Notausgänge, 2,25 Meter hoch und 2,25 breit, führen ins Freie; vom ersten nach dem Ostportal aus sehen wir die Autos auf der Talstraße entlang fahren. Modernste Technik auch hier: Kameraüberwachung von der Leitstelle Ladenburg aus und zweitüriges Schleusensystem am Eingang. Wenn im Brandfall die erste Tür geöffnet wird, dann springt in dem kleinen Zwischenraum eine Überdrucklüftung an und verhindert, dass der Rauch eindringt. Auch sonst ist für die Sicherheit alles getan. Im Tunnel wird man Autoradio empfangen können - zumindest einen Sender, mit Anweisungen für den Ernstfall und Verkehrshinweisen für den Alltag.
Der Tunnel ist übrigens auch ein interessantes Objekt für den Verkehrsunterricht. Denn wer aus der Rheinebene in den Tunnel kommt, darf 70 Stundenkilometer fahren, wenn er ihn verlässt nur 50. Grund: In der Röhre ist die Trasse Landesstraße, danach innerörtlich. Im Frühjahr 2016 soll es so weit sein. Die Menschen im Schriesheimer Ortskern, vor allem in der Talstraße, ersehnen diese Entlastung von einem Großteil der bislang 12 000 Fahrzeuge pro Tag.
Für Ralph Eckerle wiederum beginnt dann eine neue Phase seines Berufslebens - mit Erinnerungen an eines der größten Straßenbauprojekte im deutschen Südwesten.
Technische Daten
Der Branichtunnel ist der unterirdische Teil der Ortsumgehung Schriesheim, die wiederum eine Verlängerung der L 536 darstellt.
Das eigentliche Tunnel-Bauwerk ist rund 1,8 Kilometer lang. Die Fahrbahn im Inneren hat eine Breite von 7,50 Metern.
Für die Errichtung des Bauwerks wurden nach Sprengung des Erdmaterials (Granit) 180 000 Kubikmeter Aushub entfernt.
Die Gesamtkosten belaufen sich auf 85 Millionen Euro. -tin
Chronik
Grund der Maßnahme ist die Verkehrsbelastung des Schriesheimer Ortskerns, vor allem der Talstraße.
Die Diskussion um eine Entlastung entsteht mit zunehmender Motorisierung in den fünfziger Jahren.
Erste konkrete Pläne werden 1956 diskutiert - allerdings nicht als Tunnel, sondern als Umfahrung des Ortskerns am Berghang entlang.
Als sich nichts tut, die Lage in der Talstraße aber immer unerträglicher wird, gründen Anwohner 1973 eine Bürgerinitiative. Sie macht erfolgreich Druck für eine Problemlösung in Form eines Tunnels.
1986 empfiehlt der damalige Innenminister Dietmar Schlee erstmals offiziell eine Tunnel-Lösung. Im Jahr 2000 beginnt das Planfeststellungsverfahren, das 2004 rechtskräftig wird. Nun folgt der Kampf um die Finanzierung der damals veranschlagten 60 Millionen Euro.
Der Durchbruch ist geschafft, als Ministerpräsident Oettinger im Januar 2008 ein Sonderprogramm für den Straßenbau ankündigt. Bestandteil der Maßnahmen für Nordbaden ist der Branich-Tunnel.
Im November 2008 setzt Innenminister Rech den Ersten Spatenstich, am 1. Februar 2012 erfolgt der Tunnel-Anstich durch Bürgermeister-Gattin Birgit Ibach-Höfer, am 1. August 2013 der Tunnel-Durchstich. Im Frühjahr 2016 soll das Bauwerk in Betrieb gehen. -tin
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