Mannheim. "Diese rohe Gewalt" hat ihn erstaunt, "ja diese Urgewalt", sagt Dominik Eisen, der stellvertretende Vorsitzende des Ältestenkreises, als die glühende Bronze in die Form geflossen, die Zeremonie abgeschlossen ist. "Ein unglaubliches Erlebnis mit allen Sinnen", schwärmt Lehrvikar Marcus Held, "wirklich super". Diese beiden Vertreter der Petruskirche Wallstadt durften dabei sein, als in der Glockengießerei Bachert in Neunkirchen (Neckar-Odenwald-Kreis), ganz in der Nähe der Wolfsschlucht, die neue Glocke der evangelischen Petrusgemeinde Wallstadt gegossen wurde. "Schade, dass diesen großartigen Moment nicht mehr Gemeindemitglieder miterleben konnten", bedauerte Eisen. Wegen der Corona-Pandemie war es nicht möglich, dass - wie mal geplant - die Gemeinde mit einem Bus zur Gießerei fährt, um bei dem feierlichen Akt dabei zu sein. Aber sie werden erzählen und Bilder zeigen, sicher schon am heutigen Sonntag im Gottesdienst um 10 Uhr. Da kommt in der Predigtreihe "Glocken der Petruskirche" Gastprediger Dekan Ralph Hartmann. Es gilt die 2G-Regel.
Bis die Glocke nach Wallstadt kommt, dauert es aber noch. Zunächst muss sie auskühlen, dann geprüft werden. Frühestens am kommenden Wochenende ist der Transport aus dem Odenwald in die Petrusgemeinde vorgesehen, Ende Januar dann die festliche Glockenweihe. Bis dahin soll auch der Glockenstuhl saniert sein. Das beginnt am 10. Januar und dauert mehrere Wochen, da sich im Turm der Petruskirche auch eine Antennenanlage eines Mobilfunkanbieters befindet. "Die muss erst raus, dann werden der Glockenstuhl, das Gestell und die Schallläden erneuert, danach muss die Mobilfunkanlage wieder rein", erläutert Dominik Eisen.
Schäden am Glockenstuhl waren auch Auslöser des Wunschs nach einer neuen Glocke. Schließlich ist der Glockenstuhl des teils auf das 17., teils auf das 18. Jahrhundert zurückgehenden Kirchturms schon lange altersschwach ist. Seit 2019 darf die mit 680 Kilogramm schwerste und tiefste Glocke, die Sterbeglocke, gar nicht mehr geläutet werden. Sie erklang nicht mehr bei Sterbefällen, zudem fehlt ihre Stimme im vollen Geläut, und auch die beiden verbleibenden Glocken - eine stammt von 1980, eine sogar noch von 1791 - sind seltener zu hören gewesen. Mit der Sanierung des hölzernen Turmgestühls, will die Kirche die Chance nutzen, dass das Geläut wieder vielstimmig vom Turm der Petruskirche erklingen soll.
Dabei hat sich der Ältestenkreis die Entscheidung nicht leicht gemacht und - da wegen Corona eine Gemeindeversammlung nicht möglich war - andere Formen der Meinungsbildung genutzt, etwa den Schaukasten und das Internet. "Ein paar negative Stimmen gab es", so Dominik Eisen, aber die große Mehrheit der Gemeinde habe dem Plan zugestimmt. "Wir haben lange überlegt, aber es gibt Zuschüsse für neue Glocken, und so eine Chance bekommen wir die nächsten 100 Jahre nicht", erklärt der Vertreter des Ältestenkreises. Daher sei man sich einig gewesen, neben der Sterbeglocke nun eine Taufglocke anzuschaffen. "Wir haben damit Glocken, die Leben und Tod wiederspiegeln", so Eisen.
Lehrvikar Marcus Held freute sich riesig, dass er - in Vertretung von Pfarrerin Anna Maria Baltes - mit Eisen bei der Herstellung der Glocke dabei sein durfte. "Mein Liturgieprofessor hat das erfahren und er wollte unbedingt mitkommen", der sei "richtig neidisch" gewesen, erzählt Held: "Der hat so etwas in 30 Jahren noch nicht erlebt, und ich stehe jetzt hier", freute er sich.
Insgesamt wurden mit der Wallstadter Glocke acht weitere Glocken für insgesamt sechs Gemeinden gegossen - für Gemeinden im ganzen Bundesgebiet. 6,8 Tonnen Glockenbronze, "Glockenspeise" genannt und aus 78 Prozent Kupfer sowie 22 Prozent Zinn bestehend, wurden dazu auf über 1000 Grad erhitzt. Die Wallstadter Glocke ist 220 Kilogramm schwer und trägt die Inschrift "Lasst die Kinder zu mir kommen; denn ihnen gehört das Himmelreich" (Matthäus 19,14). Nach den Worten von Nicolai Wieland, Geschäftsführer der Glockengießerei Bacherts , die seit 1725 besteht, ist der Guss gelungen. "Näheres sieht man, wenn sie aus der Form genommen wurden und das erste Mal angeschlagen", so Wieland. Doch bis dahin müssen sie noch auskühlen.
Ganz wie es Tradition ist, begann der Guss am Freitag um 15 Uhr - zur Todesstunde Jesu. Zuvor sprachen die Geistlichen der Gemeinden, für die Glocken gegossen wurden, gemeinsam mit den Arbeitern und den Vertretern der Gemeinden ein Gebet. "Sieh auf das Werk unserer Hände und segne dieses flüssige Metall, das für den Guss der Glocken bestimmt ist", heißt es darin: "Leite seine feurigen Ströme und schenke unseren Mühen Erfolg. Gib, dass die neuen Glocken Deinen Namen verherrlichen inmitten Deiner Gemeinde", so das Gebet. Nach dem erfolgreichen Glockenguss sprachen alle - Chef, Mitarbeiter und Gäste - Fürbitten und das Vaterunser. Auch wenn man die einzelnen Arbeitsschritte oft gemacht habe, bleibe der Respekt vor der Aufgabe: "Bei jedem Guss ist Spannung da, ob wir Gusserfolg haben und alle Mitarbeiter gesund von der Grube runterkommen", so Wieland.Doch natürlich sei es "ein eingespieltes Team: Jeder Handgriff sitzt", so der Geschäftsführer der Firma Bachert.
Die früher in Karlsruhe und nun im Neckartal ansässige Firma zählt zu den ältesten Vertretern des traditionsreichen Handwerks. 60 Glocken gießt sie im Jahr, nach alten Regeln wie seit Jahrhunderten. "Das wird von Generation zu Generation weitergegeben", so Nicolai Wieland.
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