Die Nachricht wirkt für alle Bahnkunden wie ein Befreiungsschlag. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) und die Deutsche Bahn haben sich nach tagelangen geheimen Verhandlungen auf einen Tarifvertrag geeinigt. Weitere Streiks der GDL sind damit wohl für die nächsten zwei Jahre vorerst vom Tisch. Diese Nachricht erfreut Millionen Pendler, Berufstätige und Bahnreisende, die in den vergangenen Wochen unter den Streiks gelitten haben, ihre Urlaubspläne ändern oder auf andere Verkehrsmittel umsteigen mussten. Nun können sie endlich wieder verlässlicher planen.
Auch die Beschäftigten dürfen sich freuen. Die GDL hat für die Mitarbeiter immerhin Lohnerhöhungen von insgesamt 3,3 Prozent herausgeholt, eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro sowie die betriebliche Altersvorsorge für die bestehenden Beschäftigten abgesichert. Ein respektabler Abschluss. Ob dafür jedoch ein derart langwieriger Arbeitskampf notwendig war, der den Staatskonzern mehrere Millionen Euro an Einnahmeausfällen kostete und auch bei Unternehmen im Güterverkehr zu hohen Schäden führte, ist fraglich. Hier wurde wohl auch auf der Seite der Bahn nicht schnell genug der passende Ton gefunden, den charismatischen Gewerkschaftschef mit den richtigen Angeboten einzufangen.
Das Hauptproblem liegt aber in der praktischen Umsetzung des Tarifeinheitsgesetzes. Dieses schreibt vor, dass in jedem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten soll – und zwar jener Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder hat. Dieses Prinzip ist an sich zu begrüßen. Jeder Beschäftigte sollte in einem tarifvertraglich gebundenen Unternehmen auch das Gleiche verdienen. Doch das Gesetz stößt schnell an seine Grenzen, wenn es mehrere Gewerkschaften gibt, die für alle Mitarbeitenden verhandeln möchten.
Auch deshalb, weil ein Arbeitgeber rechtlich nicht die Frage stellen darf, ob seine Mitarbeiterin oder sein Mitarbeiter Mitglied einer Gewerkschaft ist – und wenn ja, in welcher. Ohne diese Feststellung kann aber nicht nachgewiesen werden, welche Gewerkschaft tatsächlich die größte ist – und damit bei Tarifverträgen richtungsweisend. Hier muss das Gesetz deutlich nachgebessert werden.
Die unklare Mitgliedergröße ist ein Grund, warum auch die nächste Lohnrunde bei der Bahn erneut mit Arbeitskämpfen verbunden sein dürfte. Die GDL will weiter auf Mitgliederfang gehen und dürfte dabei auch bei der größeren Konkurrenz fischen. Vielleicht sogar mit Erfolg. Denn manchen hat der konsequente Einsatz des GDL-Chefs für die Mitarbeiterinteressen sowie der etwas bessere Abschluss durchaus imponiert. Angesichts ihrer vielen Mitglieder unter den Lokführern hat die GDL zudem immer das Schlüsselpersonal auf ihrer Seite, mit der sich Streiks am wirkungsvollsten durchsetzen lassen. Ähnliche Wirkungsmacht kennt man auch bei Streiks von Ärzten oder Piloten.
Wie stark die Konkurrenz um Mitglieder unter den Gewerkschaften ist, lässt sich auch an der erbosten Reaktion der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft ablesen. Ihr Vorsitzender erwägt, den bereits geschlossenen Tarifvertrag durch eine Sonderkündigungsklausel wieder aufzuheben – mit Verweis auf das dann wieder bestehende Streikrecht. Eine Tarifgemeinschaft ist nicht in Sicht. So herrscht weiter Krawall-Stimmung bei den Arbeitnehmervertretern. Die Bahn-Manager haben es da tatsächlich nicht leicht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Wieder streikfrei
Beate Kranz begrüßt die Einigung zwischen Bahn und GDL – der Konflikt zeigt, dass das Tarifeinheitsgesetz dringend nachgebessert werden muss