Viernheim. Nein, ein paar Kinderschuhe können die Welt nicht retten. Dennoch ist der Viernheimer Prozess „Kinderarmut / Bildungs- und Teilhabe-Chancen“ großartig. Die Stadt schreibt sich gern ihren hohen sozialen Anspruch auf die Fahnen. Zu Recht. Das betrifft Stadtverwaltung und Parlamentarier, das gilt genau so für die vielen Initiativen außerhalb des Rathauses. Es wird nicht postuliert, es wird gehandelt. Wie jetzt mit dem Projekt gegen Kinderarmut.
Das ist um so bemerkenswerter, als die Ursachen von hinreichend beschriebenen gesellschaftlichen Verwerfungen natürlich nicht hausgemacht sind. Es ist eine übermächtige Großlage, gegen die sich Idealisten wie Kulturamtsleiter Horst Stephan und viele weitere Mitstreiter stemmen. Inzwischen quasi mit letzter Kraft. Und ja, auch wenn es nur ein paar Kinderschuhe sind.
Jede erleichterte Kinderseele, jedes erwärmte Mutterherz sind diese Anstrengungen wert
Es ist der Effekt, auf den es ankommt: Wir sind ja tatsächlich nicht allein. Wir werden gesehen. Es wird uns geholfen. Jede erleichterte Kinderseele, jedes erwärmte Mutterherz sind diese Anstrengungen wert. Und dieser Prozess hat das Potenzial, überzugreifen auf größere Teile der Stadtgesellschaft. Denn er ist positiv und proaktiv: Wir können im Guten dazu beitragen, Kindern und deren Eltern das Gefühl geben, gut aufgehoben zu sein bei uns. Das stärkt die Werte-Gemeinschaft. Das wirkt bei den Gebenden wie bei den Empfängern. Es entstehen engere Kontakte, es wird miteinander gesprochen, es werden miteinander Lösungen erörtert. Wunderbar!
Auch wenn sich die Tausch-Regale in den Kitas nahezu unbemerkt füllen und leeren – es entsteht zumindest mittelbar ideelle Nähe. Bekommen Mama oder Papa einen Schuh-Gutschein über 50 Euro in die Hand gedrückt, entsteht auch unmittelbar Nähe. Oder wenn das Kind aus Mangel an Mitteln in der Familie die Musikschule nicht verlassen muss. Diese Nähe kann unsere Gesellschaft sehr gut gebrauchen. Sie tut Not.
Ein Mädchen kann nicht dabei sein bei der musikalischen Früherziehung in seiner Kita, weil die Eltern das Geld dafür nicht haben. Es muss zuschauen durchs Fenster. Es trifft zu, wenn Horst Stephan sagt: „Hier beginnt Spaltung.“ Diese Konsequenz kann Viernheim nicht in toto zum Guten wenden. Orte dafür sind Berlin und Brüssel. Die Positionen (?) zur Zuwanderung aus Bund und EU haben nach wie vor kakophonischen Charakter.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Viernheimer Ideen gegen Kinderarmut: Es entsteht Nähe
Martin Schulte ordnet den Viernheimer Prozess „Kinderarmut / Bildungs- und Teilhabe-Chancen“ ein.