Kommentar Unfassbare späte Zinswende der EZB

Walter Serif über die Beschlüsse des EZB-Rats

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Walter Serif
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Zu spät – aber jetzt wenigstens mit Nachdruck: Nach elf Jahren macht die Europäische Zentralbank mit dem Stopp der Anleihenkäufe endlich den Weg frei für eine Zinserhöhung im Euroraum. Die erste wird im Juli erfolgen und mit einem Viertelprozentpunkt noch recht niedrig ausfallen. Doch dann könnten weitere Zinsschritte folgen. Das ist zwar noch kein Befreiungsschlag, aber immerhin hat die EZB den Ernst der Lage nun erkannt – und offensichtlich auch die Börsen überrascht, wie die Kursverluste belegen. Höhere Zinsen sind ja Gift für Aktien.

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Es ist auch im Rückblick unfassbar, dass die EZB die Gefahr der Inflation so falsch eingeschätzt hat und davon ausgegangen ist, die Preise würden sich wieder ohne eigenes Zutun beruhigen. Das ist unverzeihlich, denn der Anstieg der Inflationsrate hat zwar während der Corona-Krise begonnen, sich aber seit dem Ukraine-Krieg sprunghaft fortgesetzt. Die EZB hat da wertvolle Zeit verplempert. Die Preise spielen regelrecht verrückt – vor allem die für Energie. Weil die EZB sich der Inflationsbekämpfung verweigerte, musste die Politik eingreifen. Das hat nicht funktioniert, wie das traurige Beispiel Tankrabatt beweist. Die Mineralölkonzerne bekommen den Hals nicht voll – auf Kosten der Verbraucher, die den Rabatt mit ihren Steuern auch finanzieren.

Doch es liegt nicht nur an der krassen Fehleinschätzung der Inflationsgefahr durch die Zentralbanker, dass es inzwischen eine seltsame Arbeitsteilung gibt, wie es der Mannheimer Ökonom Klaus Adam auf den Punkt gebracht hat: Die EZB betreibt mit ihren Anleihenkäufen praktisch Finanzpolitik, die Politik muss sich mit der Inflation herumschlagen. Normalerweise müsste es andersherum sein.

Wie erfolgreich die EZB nun die Inflation bekämpft, ist noch nicht ausgemacht. Sie will zwar die Anleihenkäufe offiziell beenden, aber im mächtigen Zentralbankrat sitzen ja noch immer die Vertreter der Schulden-Staaten. Und die bremsen, wo es geht. Darunter leidet, wie der Mannheimer ZEW-Experte Friedrich Heinemann zurecht kritisiert, die Glaubwürdigkeit der EZB.

Kurzfristig dürften die Beschlüsse des EZB-Rats wenigstens die Importpreise für Energie und Rohstoffe dämpfen, weil höhere Zinsen den schwachen Eurokurs hochtreiben werden. Und auch die Sparer profitieren ein bisschen. Unterm Strich wird ihr Guthaben aber an Wert verlieren, solange die Inflation höher als der Leitzins ist. Kleiner Trost: Wenigstens sind bald keine Negativzinsen fürs Girokonto mehr fällig – zur Freude der Bankkunden.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft