Afghanistan könnte so eine Art Norwegen Asiens sein. Der Wert der Bodenschätze dort entspricht etwa der aktuellen Bewertung des norwegischen Staatsfonds, der sich aus Öleinnahmen speist. Die Bürger des Landes könnten sorgenfrei und zivilisiert in einem Sozialstaat leben. Doch jetzt haben die Taliban die Macht übernommen. Die Vision vom wohlhabenden Afghanistan bleibt also ein Traum.
Es ist in mehrfacher Hinsicht jammerschade, dass Afghanistans Potenzial ungenutzt bleibt. Schon die Lage des Landes ist günstig in einer Zeit, in der Handelsströme reich machen können. Es verbindet Süd- mit Zentralasien ebenso wie West- und Ostasien und könnte Drehkreuz für Chinas neue Seidenstraße sein, wenn es die nötigen Häfen, Straßen und Zugstrecken gäbe. Deren Bau wiederum würde auf Jahre Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Da Afghanistan jedoch Brutstätte des Terrors ist, hat China das Gegenteil getan und Pläne für neue Straßen in das Nachbarland auf unbestimmt Zeit verschoben. Es ist lieber durch das Karakorum-Gebirge von Afghanistan getrennt.
Dabei wäre wirtschaftliche Entwicklung das beste Mittel gegen Extremismus. Das wusste auch die westliche Allianz unter US-Führung, die seit 2002 versuchte, eine selbsttragende Volkswirtschaft aufzubauen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit war mit Experten dabei. Sie alle scheiterten aber an der Unzugänglichkeit der Regionen, an Korruption und Stammesdenken. Am Ende bewirkten sie nur in einzelnen Blasen der Aufklärung in den Großstädten etwas – in denen die Menschen jetzt von der Gewalt der Taliban bedroht sind. Jetzt wird das Land wieder in Armut abrutschen. Kein Wunder, wenn gut ausgebildete Menschen in andere Länder fliehen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Traum vom reichen Land
Finn Mayer-Kuckuk zur Wirtschaft in Afghanistan