Sie hat es sich nicht anmerken lassen: Aber bei ihrem wohl letzten Washington-Besuch als Kanzlerin dürfte Angela Merkel doch etwas mulmig geworden sein. Keiner ihrer Amtsvorgänger hat eine solche Achterbahnfahrt in den deutsch-amerikanischen Beziehungen hinter sich wie sie. Der Wechsel von Donald Trump zu Joe Biden war für die Kanzlerin der Übergang von einem Polit-Tsunami in eine Schönwetterzone. Die heitere atmosphärische Thermik verspricht den großen Neustart zwischen Washington und Berlin. Und dennoch darf man sich davon nicht täuschen lassen. Die USA kehren auch unter Joe Biden nicht in die transatlantische Behaglichkeit der 1990er-Jahre zurück.
Heute ist der Aufstieg Chinas die zentrale geopolitische Herausforderung für Washington. Der Präsident will eine globale Allianz der Demokraten schmieden, die autoritären Regimen Paroli bieten – verbal, mit militärischer Präsenz und notfalls mit Sanktionen. Chinas Menschenrechtsverletzungen gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren oder der Opposition in Hongkong werden scharf angeprangert.
Merkel sieht die Beziehungen zur Volksrepublik wesentlich differenzierter als Biden. Die Kanzlerin will einen Kalten Krieg 2.0 unter allen Umständen vermeiden. Ihre Tonlage gegenüber China ist klar mit Blick auf Menschenrechtsverstöße. Für sie ist Peking „Rivale“ und „Partner“. Die gleiche Doppel-Strategie fährt Merkel gegenüber Moskau. Biden, der Präsident Wladimir Putin einen „Killer“ genannt hatte, setzt auf Polarisierung.
Ob China, Russland, Verteidigungsausgaben oder Handel: Auch unter Biden gibt es unterschiedliche Sichtweisen zwischen Washington und Berlin. Sie konstruktiv auszutragen, ist die neue Qualität in der Beziehung.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Neustart: Ja, aber …
Dirk Hautkapp zu den Beziehungen zwischen USA und Deutschland