Kommentar Nach der Wahl in Berlin: Bitte nicht Weiterwursteln

Jörg Quoos findet, dass die Hauptstadt nach der Wahl einen echten Neuanfang braucht. Dafür muss die SPD in Berlin den Weg frei machen, auch wenn es schwer fällt

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Jörg Quoos
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Die Hauptstadt hat gewählt, und schon das ist eine gute Nachricht: Nach der historischen Pannenwahl haben es die Verantwortlichen geschafft, die Wahllokale vernünftig auszustatten und ausreichend korrekte Stimmzettel bereitzuhalten.

Mit den ordnungsgemäß abgegebenen Stimmen beginnt jetzt aber der anstrengende politische Part: die Regierungsbildung. Die CDU hat in der Hauptstadt zwar deutlich gewonnen, aber nach Berliner Tradition heißt das noch lange nicht, dass sie regieren darf. Rot-Grün-Rot und die CDU sind zwei Planeten auf unterschiedlichen Umlaufbahnen. Und die FDP spielt mal wieder die Nebenrolle, fast egal ob sie knapp drin oder knapp raus aus dem Abgeordnetenhaus ist. Da hilft auch nicht, dass man den Spitzenkandidaten kopfüber plakatiert. Der FDP fehlt es an inhaltlichen Ideen, nicht an Werbegags.

Rechnerisch reicht es wieder für ein Bündnis der Unterlegenen – sprich SPD, Grünen und Linke. Keiner der drei hat Lust darauf, den Mini-Partner bei der erstarkten CDU zu geben. Das hat sehr eigennützige Gründe: Die SPD will das Rathaus nicht hergeben. Die Linke ist ideologisch Lichtjahre von den Schwarzen entfernt. Und die Grünen? Sind ebenfalls wie Feuer und Wasser mit der Hauptstadt-CDU.

Die Grünen hatten die Chance auf einen historischen Wahlsieg und haben es mit einer irrwitzigen Verkehrspolitik versemmelt. Aber was nun? Es wäre schön, wenn Sieger und Verlierer sich von der Frage leiten lassen würden: Was braucht Berlin am dringendsten? Und hier lautet die Antwort: Eine breite, stabile Mehrheit, die alle Berlinerinnen und Berliner im Blick hat. Und die endlich das legendäre Berliner Chaos beendet, dessen vorläufiger Höhepunkt die verpatzte Wahl war. Das Vertrauen der Menschen in eine gute Entwicklung von Deutschlands größter Metropole ist auf einem Tiefpunkt. Das ist die Ausgangslage für alle, die jetzt versuchen, eine Koalition zu basteln. Ein Weiter-so würde den Frust und die Unzufriedenheit der Wähler nur verstärken und den politischen Graben vertiefen. Das wäre weder gut für die Berlinerinnen und Berliner noch für den Ruf der Hauptstadt im Land und in der Welt.

Es ist naheliegend, dass die Regierende Bürgermeisterin am liebsten weitermachen würde wie bisher. Sie säße weiter im Chefzimmer des Roten Rathauses und der Kanzler hätte in der Hauptstadt den Rücken frei. Vier weibliche Ministerpräsidentinnen, acht von sechzehn Bundesländern SPD-geführt – das ist eine kommode Situation für Olaf Scholz und die Parteiführung. Franziska Giffey würde also Unterstützung finden, wenn sie sich am Sessel der Bürgermeisterin festkrallen will.

Für CDU-Chef Merz dagegen muss es der Sessel im Roten Rathaus sein. Aus diesem deutlichen Sieg der Christdemokraten würde eine Niederlage werden, wenn der nächste Regierende Bürgermeister der Hauptstadt nicht Kai Wegner hieße. Die Christdemokraten haben sich aus dem Keller von Platz drei auf Platz eins hochgearbeitet. Aus diesem Ergebnis muss man einen Regierungsanspruch ableiten.

Und Olaf Scholz sollte auf die Genossen einwirken, damit sie den Weg für einen Neuanfang frei machen. Er weiß als früherer Vizekanzler einer schwarz-roten Koalition schließlich am besten, dass sie gut funktionieren kann. Scholz hat in seinen Jahren unter Angela Merkel auch gelernt: Auch aus der zweiten Reihe kann man als Sozialdemokrat wieder angreifen und am Ende ganz an der Spitze landen.