Manchmal wiederholt sich Geschichte doch. Zumindest ein bisschen. Die unglückliche Viertelfinal-Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im eigenen Land gegen Spanien erinnerte an die als Sommermärchen verklärte Heim-WM 2006, als der spätere Weltmeister Italien der DFB-Elf in der Verlängerung des Halbfinales den Knockout verpasste.
Was sich damals wie heute gleich anfühlt: Obwohl die deutsche Auswahl nicht den erhofften Titel holte, geht das Turnier mit ein bisschen Abstand als Erfolg und nicht als Enttäuschung zu Ende.
Das Ziel, die Fußball-Fans in der Republik nach schlimmen Jahren wieder hinter dem DFB-Team zu versammeln, hat diese Mannschaft erreicht. Mit Teamgeist, Nahbarkeit, Mentalität und ansehnlichem Fußball. Es war endlich wieder ein würdiger Auftritt für diese stolze Fußballnation, die bei den drei verkorksten vergangenen Turnieren arg leiden musste.
In Deutschland herrscht wieder Begeisterung für die DFB-Elf
Die komplett gedrehte Atmosphäre rund um die DFB-Elf – aus fortgeschrittener Entfremdung ist wieder eine ehrliche Begeisterung geworden – sind eine stabile Grundlage für die nächsten Jahre. Man darf froh sein, dass zumindest bis zur WM 2026 Erneuerer Julian Nagelsmann die Verantwortung tragen wird. Auch wenn der Bundestrainer gegen Spanien mit den – zur Pause eilends korrigierten – Startelfnominierungen für Emre Can und Leroy Sané daneben lag.
Nagelsmann hat diesem Team Struktur und Widerstandsfähigkeit verpasst. Wenn die von ihm angestoßene positive Entwicklung so weitergeht, gehört die DFB-Elf bei der nächsten WM wieder zu den Mitfavoriten.
Zunächst steht aber ein mittlerer Umbruch an. Das Karriereende von Toni Kroos, dem besten deutschen Fußballer der vergangenen 20 Jahre, reißt eine riesige Lücke im Mittelfeld. Sollten auch noch Manuel Neuer und Ilkay Gündogan in der Nationalelf aufhören, müsste sich eine komplett neue Achse bilden.
Die deutsche Hoffnung auf eine große Zukunft hört dabei auf die Namen Jamal Musiala und Florian Wirtz. Beide erst 21 Jahre alt, beide auf dem Weg zu Weltklasse-Spielern. Schon bei dieser EM gehörten der Münchner und der Leverkusener mit drei beziehungsweise zwei Toren zu den besten Offensivspielern, und sie dürften bei den kommenden Turnieren noch besser werden.
Kein Qualitätsproblem im DFB-Tor
Vielleicht hält den beiden deutschen Verheißungen Joshua Kimmich in wieder zentralerer Rolle den Rücken frei, die Abwehr scheint mit Jonathan Tah und Antonio Rüdiger mittelfristig robust aufgestellt, ohne Neuer schlägt nach endlos langer Wartezeit die Stunde von Marc-André ter Stegen – im DFB-Tor gibt es also bestimmt keine Qualitätsprobleme. Dazu noch Nico Schlotterbeck, Kai Havertz, Niclas Füllkrug, vielleicht Aleksandar Pavlovic für die Mittelfeld-Zentrale. Das klingt schon nach einem Gerüst, mit dem man konkurrenzfähig zur nächsten WM fahren kann.
„Weltmeister“ hat Nagelsmann direkt nach dem schmerzhaften EM-Aus von Stuttgart als Ziel 2026 in den USA, Kanada und Mexiko ausgerufen. Das war halb ernst, halb im Scherz gemeint. Der 36-Jährige hat Gefallen an seiner Aufgabe beim DFB gefunden. Bei der Heim-EM beschränkte sich Nagelsmann darauf, dem Team Sicherheit und klare Strukturen zu vermitteln – eine richtige Reaktion auf die große Verunsicherung im Vorfeld.
Jetzt hat der Bundestrainer zwei Jahre Zeit, ein neues Team nach seinen Vorstellungen zu entwickeln. Ihm ist es nach seinen erfolgreichen radikalen Reformen im vergangenen März locker zuzutrauen, dass der Trend weiter nach oben zeigt. Dass durch die teils begeisternden Auftritte der vergangenen Wochen die Menschen im Land der Nationalelf gegenüber wieder positiv eingestellt sind, ist auf dem Weg zur WM ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Deshalb ist die Heim-EM unterm Strich als uneingeschränkter Erfolg zu werten. Trotz des bitteren Scheiterns im Viertelfinale, das aufgrund seiner dramatischen Entstehungsgeschichte sicher noch ein paar Tage schmerzen wird.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/meinung/kommentare_artikel,-kommentar-nach-dem-em-aus-gegen-spanien-das-geruest-fuer-eine-schoene-zukunft-steht-schon-_arid,2222848.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach dem EM-Aus gegen Spanien: Das Gerüst für eine schöne Zukunft steht schon
Das Scheitern der DFB-Elf gegen Spanien schmerzt, vor allem aufgrund seiner dramatischen Entstehung. Doch unterm Strich bleibt die Heim-EM dennoch ein Erfolg - und der Blick in die Zukunft verheißt Gutes. Ein Kommentar