Kurz vorm Chaos

Birgit Holzer schätzt, dass der Premierminister viel Verhandlungsgeschick benötigt, um seinen Haushaltsplan durchzusetzen

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Birgit Holzer
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Eine erste Hürde hat Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier am Dienstag überwunden: Der Misstrauensantrag des links-grünen Parteienbündnisses erzielte keine Mehrheit, da der rechtsextreme Rassemblement National (RN) sich ihm nicht anschloss. Sie werde die Regierung erst auf Basis ihrer Politik bewerten und das Land „nicht ins Chaos stürzen“, versicherte RN-Fraktionschefin Marine Le Pen. Doch sie kann jederzeit den Daumen nach unten senken und gemeinsam mit den Linken Barniers politisches Ende besiegeln.

Die nächste Schwierigkeit für ihn folgt bereits am heutigen Donnerstag, wenn der 73-Jährige seinen Haushaltsentwurf vorstellt und einen scharfen Sparkurs einleiten wird. Um die Staatsfinanzen ist es schlecht bestellt. Die EU-Kommission hat im Juni ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet, die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen sind stark gestiegen.

Seit Jahrzehnten lebt das Land über seine Verhältnisse, doch unter Präsident Emmanuel Macron – dem früheren Investmentbanker und Wirtschaftsminister, der einst als „Mozart der Finanzen“ gerühmt wurde – erreichte der Schuldenberg nie gekannte Höhen. Dieser beläuft sich inzwischen auf 3328 Milliarden Euro, also 112 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Der Élysée-Palast rechtfertigt die desaströse Lage mit der Aufeinanderfolge von Krisen. Doch mit den meisten von ihnen waren auch die anderen EU-Länder konfrontiert. Tatsächlich hat sich Macron immer wieder sozialen Frieden erkauft, angefangen bei der Revolte der „Gelbwesten“, die er mit Milliarden-Zusagen besänftigte, über großzügige Hilfen während der Corona-Pandemie bis hin zur massiven Deckelung der Energiepreise. Das Ausmaß des Finanzlochs wurde lange nicht ehrlich kommuniziert, schließlich standen im Juni EU-Wahlen an.

Umso schmerzhafter ist das Aufwachen. Die Neuverschuldung, die in diesem Jahr sechs Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen wird, soll laut Barniers Plan 2025 auf fünf Prozent gedrückt werden und erst 2029 wieder unter drei Prozent gemäß den Maastricht-Kriterien der EU liegen.

Um das Finanzziel zu erreichen, sieht der Regierungschef Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen für die reichsten Franzosen und umsatzstärksten Konzerne vor.

Doch noch bevor alle Details bekannt sind, gehen schon die Ersten auf die Barrikaden. Die Vereinigung der Bürgermeister ließ wissen, dass sie „keine einzige Sparmaßnahme akzeptiert“. Ex-Minister Macrons, die jetzt wieder einfache Abgeordnete sind, kündigten Widerstand an. Verantwortungsbewusste Politik sieht anders aus.

Sollte keine Mehrheit im Parlament zustande kommen, könnte Barnier das Haushaltsgesetz mit dem Sonderartikel 49.3 durchsetzen. Dann aber droht der nächste Misstrauensantrag. Seine Regierung ist die fragilste in der jüngeren Geschichte Frankreichs. Weite Teile der Bevölkerung zweifeln zu Recht ihre Legitimität an, weil nicht die Sieger der Parlamentswahlen, sondern mit Macrons Lager und den Republikanern ausgerechnet die Wahlverlierer an der Macht sind. Da sie gemeinsam nur über eine relative Mehrheit in der Nationalversammlung verfügen, hängt der Premierminister von der Opposition ab, zugleich muss er angesichts der Budgetlage einen unpopulären Sparkurs führen. Barnier, der frühere Brexit-Chefunterhändler für die EU, wird viel Verhandlungsgeschick brauchen bei dem brenzligen Balanceakt, der ihm bevorsteht. Dieser kann jederzeit brutal enden – mit unkalkulierbaren Folgen für das Land.

Korrespondent

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